Hamburg. Der Vibrafonist Wolfgang Schlüter wird am Sonnabend mit dem Hamburger Jazzpreis ausgezeichnet. Und hat einen besonderen Auftritt.

Langsam tastet sich Wolfgang Schlüter die Treppe herunter zum Proberaum, den er sich im Keller seines Hauses in Henstedt-Ulzburg eingerichtet hat. „Ich muss jeden Tag üben, damit ich das Gefühl nicht verliere. Sonst wird das Spielen zur Angstpartie“, sagt der Vibrafonist. Seit einigen Jahren ist der Jazzmusiker nach einem Augeninfarkt stark gehandikapt. Sein Sehvermögen beträgt nur noch wenige Prozent. Doch Schlüter, inzwischen 83 Jahre alt, gibt nicht auf und spielt und spielt und spielt.

Im vergangenen Herbst hat er zusammen mit dem Pianisten Boris Netsvetaev das Album „Breathing As One“ aufgenommen. Noch einmal ist darauf die Virtuosität und das Gefühl zu erkennen, das Schlüter in seine Musik legt. „Jazz muss impulsiv und intuitiv sein“, sagt er. „Man darf vorher nicht im Kopf ausrechnen, was man spielen will. Das wird kalter Kaffee. Dann wird der Jazz unnahbar.“

Für Schlüter ist es die dritte große Auszeichnung

Am kommenden Sonnabend wird Wolfgang Schlüter im Rahmen des Elbjazz-Festivals mit dem Hamburger Jazzpreis geehrt. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird seit 2007 alle zwei Jahre vergeben. Das Preisgeld wird von der Stiftung Dr. E.A. Langner zur Verfügung gestellt.

Bisherige Preisträger waren unter anderen die Saxofonisten Gabriel Coburger und Stefan Gille, die Sängerin Ulita Knaus und der Arrangeur und Hochschulprofessor Wolf Kerschek. „Die Auszeichnung ist eine gewisse Genugtuung – man hat all die Jahrzehnte nicht umsonst gearbeitet“, kommentiert der Preisträger die Wahl der Jury. „Aber man musiziert nicht für Preise. Ich wollte immer die Musik machen, die ich liebe.“

Bereits 2001 wurde Schlüter mit dem mit 20.000 Euro dotierten Albert-Mangelsdorff-Preis und 2012 mit einem Echo Jazz ausgezeichnet. „Vielleicht hat die Jury jetzt meine Arbeit mit jungen Leuten an der Hochschule gewürdigt“, mutmaßt er.

Jazz muss Gefühl vermitteln

Seit 1985 hat der gebürtige Berliner an der Hochschule für Musik und Theater (HfMT) gelehrt. Die Dozententätigkeit erfüllt ihn mit Stolz. „Ich glaube, ich habe die jungen Musiker ganz gut ausgebildet. Einige von ihnen spielen jetzt in der NDR Bigband.“ Und auch in seinem eigenen Quartett wie der Bassist Philipp Steen und der Pianist Boris Netsvetaev. Als „beflügelnd“ und „erfrischend“ empfindet Schlüter das gemeinsame Spiel mit Musikern, deren Großvater er sein könnte. An der Hochschule hat er versucht, ihnen zu vermitteln, dass Jazz immer ein Gefühl erzählen muss, und er hat ihnen gezeigt, wie man richtig phrasiert und wie man eine Komposition zum Swingen bringt.

Die Initialzündung für ihn selbst, sich mit Haut und Haaren dem Jazz zu verschreiben, war ein Konzert des amerikanischen Vibrafonisten Lionel Hampton 1952 im Berliner Sportpalast. „Da habe ich Blut geleckt“, beschreibt Schlüter diesen Schlüsselmoment. Damals studierte er an der Hochschule in Berlin Pauke und Schlagzeug. Ursprünglich wollte er in einem klassischen Orchester Solopauker werden, doch nach einer Gelenkstuberkulose wurde sein linkes Bein steif. Das war es dann mit diesem Wunsch.

Schlüter beschäftigte sich deshalb notgedrungen mit Vibra- und Marimbafon. Kurze Zeit nach dem Lionel-Hampton-Konzert lernte er den Pianisten Michael Naura kennen und wurde von ihm in die deutschen Jazzkreise eingeführt. 1956 kam der Berliner dann nach Hamburg und war sieben Jahre lang Mitglied im Jazz-Quintett von Naura. Das „Barrett“, eine Kellerbar an den Colonnaden, war der Stammclub des Ensembles, das in der Art des Modern Jazz Quartets musizierte. „Das war ein Wahnsinnsspaß“, erinnert sich Schlüter.

In den folgenden Jahren verdiente Schlüter sein Geld in verschiedenen Bigbands; er war auf England-Tournee mit dem Orchester von James Last, spielte im Duo mit dem Pianisten Christoph Spendel und wieder mit Michael Naura; er gehörte lange der NDR Bigband an und verfolgte immer wieder unterschiedliche Jazz-Projekte. Nur in die USA, die Heimat des Jazz, hat Wolfgang Schlüter es nie geschafft. Dabei zählt er zu den wenigen deutschen Musikern, die in die Ranglisten des renommierten Jazzmagazins „Downbeat“ gelangten. „Ich hatte 1963 überlegt, in die USA zu gehen. Doch der Klarinettist Rolf Kühn erzählte mir, wie hart die Musiker dort ums Überleben kämpfen. Das wollte ich meiner Frau nicht zumuten“, erzählt er ohne Wehmut.

„I Remember Karin“ ist seiner Frau gewidmet

Umso wichtiger war für diese Legende des deutschen Jazz die Veröffentlichung eigener Kompositionen. Auf „Breathing As One“, beim Hamburger Label Skip Records erschienen, zeigt Schlüter seine großen melodischen Fähigkeiten in Nummern wie „I Remember Karin“, eine zarte Erinnerung an seine verstorbene Frau, „Summertime In Rhen“ oder „Kinderträume“. Sein Schüler Netsve­taev begleitet ihn einfühlsam.

Beim Preisträger-Konzert am 3. Juni um 17 Uhr bei Blohm+Voss kann Netsvetaev wegen anderer Verpflichtungen nicht dabei sein, aber Schlüter hat erstklassigen Ersatz gefunden. Sein Klavierpartner ist dann Vladyslav Sendecki, der 2011 dem Hamburger Jazzpreis verliehen bekam und den Schlüter seit vielen Jahren kennt. Gemeinsames Proben ist ebenfalls kein Problem: In Schlüters Übungsraum steht auch ein Klavier.

CD Wolfgang Schlüter: „Breathing As One“ (Skip Records) Konzert Sa 3.6., 17.00, Blohm+Voss, Maschinenbauhalle, im Rahmen des Elbjazz-Festivals, Karten: siehe Kasten