Hamburg/Seebüll. Norddeutschland feiert den 150. Geburtstag des berühmten Expressionisten. Acht Orte, an denen man seine Kunst sehen kann.

Am 7. August würde der Maler Emil Nolde 150 Jahre alt. Nach wie vor ist der Expressionist einer der populärsten deutschen Künstler, auch wenn seine Haltung zur NS-Ideologie inzwischen einen Schatten auf die Persönlichkeit des in Hitler-Deutschland selbst verfolgten Künstlers wirft. Wir sprachen mit Christian Ring, Direktor der Nolde Stiftung Seebüll.

Emil Nolde ist seit Jahrzehnten anhaltend populär. Woran liegt das?

Christian Ring: Ich glaube, das liegt daran, dass Nolde es uns einfach macht, sich auf seine Kunst einzulassen. Sie spricht unweigerlich die Gefühle der Menschen an und erfordert keinen schwierigen intellektuellen Zugang. Man sieht seine Bilder und wird sofort von seiner Farbgewalt und den Motiven angesprochen.

Was ist in diesem Jubiläumsjahr neu in Seebüll?

Erstmalig ist jetzt die letzte Ruhestätte von Ada und Emil Nolde für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Gruft am Rande des Gartens war von Emil Nolde in den 1940er-Jahren offiziell als Bunker gebaut worden, um dort Bilder auszulagern. Ich glaube, dass er das von vornherein als letzte Ruhestätte geplant hatte.

War die Gruft für die Öffentlichkeit bisher überhaupt nicht zugänglich?

Doch, allerdings nur an Noldes Geburts- und Todestag. Wir haben das jetzt geändert, um zu zeigen, dass Seebüll nicht nur der Ort ist, an dem Nolde gelebt und gearbeitet hat, sondern eben auch beigesetzt worden ist.

In diesem Jahr gibt es eine große Aktion unter dem Titel „Nolde im Norden“, an der sich acht Museen in Norddeutschland und Dänemark beteiligen. Gibt es dafür eine gemeinsame Konzeption?

Der Grundgedanke besteht darin, dass die verschiedenen Häuser jeweils bestimmte Charakteristika aus dem Werk Noldes herausstellen, die sich mit ihrer eigenen Sammlung verbinden. So zeigt Schloss Gottorf in Schleswig die Südsee-Motive, weil diese bereits in der dort vorhandenen Sammlung Horn einen Schwerpunkt bilden. In Flensburg geht es um die persönliche Beziehung des Künstlers zur Stadt und zum Museumsberg, die sich durch den wunderbaren Fund der Briefe des Möbelfabrikanten Heinrich Sauermann, bei dem Nolde als Schnitzer ausgebildet wurde, eindrucksvoll belegen lässt.

In Seebüll stellen Sie erstmals in der 61-jährigen Geschichte der Stiftung neben Nolde einen anderen Künstler aus, nämlich Henry Moore. Was verbindet die beiden?

Auf den ersten Blick haben sie nicht viel miteinander zu tun, aber es gibt Verbindungen. Sowohl Nolde als auch Moore haben sich mit der menschlichen Figur auseinandergesetzt. Von Moore kennen wir Mutter-und-Kind- sowie Frauenmotive. Das ist ähnlich wie bei Nolde, der sich ja zum Erstaunen vieler Beobachter als Figurenmaler verstanden hat. Auch die Landschaft hier ist ähnlich wie die, in der Henry Moore gelebt hat. Es gibt auch Zitate der beiden Künstler, die in ihrem Kunstverständnis verblüffend ähnlich sind. Viele Kunsthistoriker haben beide Künstler sehr geschätzt, auch Kunstliebhaber wie zum Beispiel Helmut Schmidt, der ein großer Nolde-Fan war und vor dem Kanzleramt in Bonn Moores Bronzeskulptur „Large Two Forms“ aufgestellt hat.

Emil Nolde: „Kerzentänzerinnen, 1912
Emil Nolde: „Kerzentänzerinnen, 1912 © NOLDE STIFTUNG SEEBÜLL

Seebüll ist recht abgelegen und nicht so leicht zu erreichen. Wie viele Besucher kommen pro Jahr zu Ihnen?

Wir haben in den vergangenen zwei ­Jahren wieder steigende Besucher­zahlen, 2016 sind 64.000 Menschen zu uns gekommen. Das ist eine gute Zahl, auch wenn man einerseits bedenkt, dass wir nur von März bis November geöffnet haben, und andererseits, dass man eben nicht zufällig hier vorbeikommt, sondern es sich wirklich vornehmen muss. Aber hier kann man auch wirklich den gesamten „Nolde-Kosmos“ komplett erleben und verstehen: Es ist der Ort, den er selber gestaltet hat. Das Haus, das nach seinen eigenen Plänen gebaut wurde, es ist seine Landschaft, sein Garten, sind seine Blumen. Alles, was man draußen im Garten und in der Landschaft sieht, findet man auch in seiner Kunst wieder.

Dieses Jahr gibt es neben der Schau in Seebüll sieben weitere Nolde-Ausstellungen. Was erwarten Sie von diesem Schwerpunkt im Jubiläumsjahr?

Da wir hier in Seebüll schon aufgrund des Platzes nur eine begrenzte Anzahl von Werken zeigen können, bietet sich in diesem Jahr die Chance, viele ­Facetten seiner Kunst auf großem Raum dort zu zeigen, wo seine Landschaft war: im Norden Deutschlands und im Süden Dänemarks. Wenn man sich die Ausstellungen ansieht, die zum Teil bis 2018 laufen, kann man Nolde so gut kennenlernen, wie das sonst selbst bei einer große Retrospektive nicht möglich wäre.

Welche Rolle wird Noldes problematische Haltung zum NS-System in diesem Jahr spielen?

Wir werden aktiv weiter daran arbeiten, dass das Ganze transparent dargestellt wird. Über diese dunkle Seite in Noldes Vergangenheit wird nicht geschwiegen, denn es ist ein Teil seiner Biografie. Emil Nolde hat wie Millionen andere das Hitler-Regime begrüßt. Im Herbst werden wir eine Tagung veranstalten, die Nolde in dieser Zeit darstellen und einordnen soll. Außerdem hoffe ich, dass zum Ende des Jahres auch eine entsprechende Studie von Bernhard Fulda und Aya Soika unter dem Titel „Emil Nolde und der Nationalsozialismus“ erscheinen wird.

Gibt es denn neue Aspekte zu diesem ­Thema?

Seit etwa drei Jahren hat sich herauskristallisiert, dass Nolde wirklich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs an Hitlerdeutschland geglaubt hat und von den Nationalsozialisten anerkannt ­werden wollte. Auch der Antisemitismus ist bei ihm stark vorhanden. Einerseits war er der verfolgte Künstler, andererseits hat er trotz seines Berufsverbots weiter an Hitler geglaubt. Das ist ein erstaunlicher Aspekt für mich, den ich noch immer nicht ganz verstanden habe.

Emil Noldes 150. Geburtstag ist der ­7. August 2017. Was passiert an diesem Tag?

Am Tag selbst gibt es in Seebüll natürlich eine „Geburtstagsfeier“, aber wir feiern schon im Juni im Zusammenhang mit unserem Stiftungsjubiläum ein ­großes Familienfest. Außerdem gibt es weitere Veranstaltungen im Laufe des Jahres, zum Beispiel ein Fest für den Freundeskreis, und im Oktober setzen wir uns bei einer Lesung mit der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz auseinander, in der noch einmal klar werden soll, dass dies ein Roman ist, aber eben keine Nolde-Biografie.