Hamburg. Der Autor Tuvia Tenenbom provoziert gern. Diesmal mit seinem neuen Buch „Allein unter Flüchtlingen“.

Nein, Freunde werden Tuvia Tenenbom und Deutschland nicht mehr. Schon sein Buch „Allein unter Deutschen“ war Erfolg und ­Ärgernis zugleich – monatelang stand es auf den Bestsellerlisten, löste heftige Debatten aus, und einige der ­Gesprächspartner Tenenboms erzwangen sogar Schwärzungen. Entweder man mochte das Buch – oder lehnte es ab. Mit seinem neuen Buch verhält es sich nicht anders: Es heißt „Allein unter Flüchtlingen“ und sieht in den Deutschen wieder einmal Rassisten. ­Allerdings lohnt es trotzdem, die Lektüre zu wagen. Denn Tenenbom ist ein guter Reporter, tabu- und respektlos wie ein Michael Moore, an vielen Stellen ein mutiger Freidenker, der Deutschland den Spiegel vorhält. An anderen Stellen leider auch als billiger Provokateur.

Eigene Sichtweise auf Willkommenskultur

Seine Reise durch das Deutschland der Flüchtlingskrise beginnt in Harvestehude an den Sophienterrassen, wo nun Asylsuchende leben. „Wenn ich ­jemals deutscher Kanzler werde, was mein nächstes Lebensprojekt ist, kaufe ich mir eine Villa hier“, spottet er. „Sollte dieser Traum allerdings nicht in Erfüllung gehen, nehme ich einen Flug nach Syrien und kehre als Flüchtling nach Deutschland zurück.“ Damit hat er im zweiten Satz seines zweiten Kapitels den roten Faden in seinem Buch gespannt. Allerdings hat Tenenbom eine ganz eigene Sichtweise auf die Willkommenskultur der Deutschen. Er hält sie für falsch – und wirft den Deutschen vor, sich damit moralisch vom Holocaust befreien und sich in ein besseres Licht setzen zu wollen.

„Lupenreine Rassisten“

Er trifft sich mit Rechtsaußen wie dem Polit-Aktivisten Götz Kubitschek oder dem Pegida-Kopf Lutz Bachmann und stellt sie arg freundlich dar. Auch Frauke Petry bekommt eine Streicheleinheit und ein Selfie mit Tenenbom: „Sie ist keine Dämonin, muss ich ihnen leider mitteilen; sie ist eine Deutsche, eine deutsche Lady, die laut ausspricht, was die größten deutschen Machos sich nicht einmal zu flüstern wagen. Ich mag diese Lady.“

Viele Flüchtlingsfreunde hält er hingegen für „lupenreine Rassisten“. Er stößt auf Unterstützer und Aktivisten, denen er stets versucht, Antisemitisches zu entlocken. Er wird immer ­fündig. Diese Wiederholungen ­haben etwas Obsessives. „Warum sind die ­guten Menschen, denen Flüchtlinge, und ganz allgemein Menschenrechte, so am Herzen liegen, irgendwie nicht in der Lage, Juden als Menschen zu ­betrachten?“

Polarisieren um des Polarisierens willen

Zugleich empört er sich über die unmenschlichen Lebensbedingungen der Flüchtlinge in Messehallen und Massenunterkünften. Er wirft den Deutschen vor: „Sie geben sich vor ­aller Welt als das rechtschaffendste Volk auf Erden, allerliebst und fürsorglich, aber sind sie’s auch? Würden Sie einen Hund so leben lassen?“, empört er sich. „Wo sind wir, in Gottes ­Namen? Im ­islamischen Staat?“

Tenenbom polarisiert um des Polarisierens willen. Aber auch das vermag der eingefahrenen deutschen ­Debatte durchaus Impulse zu geben. Er besucht eine skurrile „Du. Wir. Queer-Party“ der Grünen, bei der er „queere Syrer und Trans-Afghanen“, aber fast nur Deutsche findet. Das ist lustig. ­Tenenbom kämpft für Meinungsfreiheit und postuliert: „Jeder Interviewte, welche Meinung er auch vertritt, verdient eine faire Behandlung, ob er Götz, Frauke oder Mutti heißt.

Viele sogenannte Journalisten sehen das aber leider anders.“ Das ist diskussionswürdig. An anderer Stelle schreibt er über die Aufnahme der Flüchtlinge: „Ja, Deutschland hat vielleicht ihre Körper gerettet, doch es zerstört ihre Seelen.“ Das ist geschmacklos.

Tenenbom macht es niemandem leicht. Mal lacht man, mal tobt man – und manchmal wird man nachdenklich, etwa bei seinem Besuch des Schriftstellers Akif Pirinçci. Der schrieb einst erfolgreich Katzenkrimis, bevor er politisch schräg drauf kam und bei Pegida-Demonstrationen auftrat. Seitdem ist er erledigt, seine ­Bücher werden vom Buchhandel boykottiert. „In früheren Tagen verbrannte man in diesem Land Bücher; heutzutage vernichtet man Autoren“, schreibt Tenenbom.

Tuvia Tenenbom
„Allein unter
Flüchtlingen“.
Suhrkamp,
234 S.,
13,95 Euro
Tuvia Tenenbom „Allein unter Flüchtlingen“. Suhrkamp, 234 S., 13,95 Euro © Suhrkamp

Das ist Holzhammer, nicht Florett. Der israelisch-amerikanische Autor mag es derb und brachial. „Das Einzige, was an dieser ganzen Willkommenskultur-PR-Maschinerie wie geschmiert funktioniert, ist das, was auch im letzten Jahrhundert prima geklappt hat: die perfekte Organisation der Transporte.“ Es sind solche Sätze, die aus einem stellenweise wichtigen und ­mutigen Buch manchmal ein selten dämliches machen.