Hamburg. „Theater der Welt“ kommt nach Hamburg. Zwei Intendanten sind dafür rund um den Globus auf der Suche nach starken Produktionen.

Es könnte spektakulär werden im Hamburger Kulturjahr 2017. Nicht nur, dass ein viel beachtetes Konzerthaus am Hafen endlich seine Säle öffnet, auch das Festival „Theater der Welt“ wird im Frühsommer 2017 in Hamburg Station machen. Es gilt als eines der bedeutendsten Festivals der darstellenden Künste in Deutschland und lädt Produktionen aus allen Teilen der Welt ein. Erstmals wird das Programm nicht von einem Einzelkurator, sondern von einem Viererteam geplant: Joachim Lux und Sandra Küpper (Thalia) sowie Amelie Deuflhardund András Siebold (Kampnagel). Ein Gespräch mit den Intendanten Lux und Deuflhard, die, rund zehn Monate vor Festivalstart, mitten in den Vorbereitungen stecken.

Das Festival „Theater der Welt“ wurde in einer Zeit erfunden, in der die Internationalisierung an den Theatern längst nicht so weit war wie heute. Nun sind auch das Sommerfestival auf Kampnagel und die Lessingtage am Thalia bewusst international, beide erweitern die Genregrenzen. Worin liegt der Unterschied zum „Theater der Welt“?

Lux : Zum Beispiel darin, dass wir es zusammen machen. Das Thalia und Kamp­nagel sind zwei Häuser, die völlig verschieden organisiert sind, verschieden produzieren, auch künstlerisch komplett verschieden denken. Und sich trotzdem zusammen auf den Weg machen. So etwas hat es noch nie gegeben.

Deuflhard: Und die thematische Fokussierung auf den Hafen, die wir uns für „Theater der Welt“ vorgenommen haben, gibt einen inhaltlichen Rahmen.

Man könnte ja einwenden, dass „Hafen“ jetzt nicht das verblüffendste Thema für ein Festival in Hamburg ist. Da gibt es das Harbour Front Literaturfestival, das Elbjazz Festival...

Lux: Es gibt im Grunde nix Unoriginelleres. Aber es kommt drauf an, wie man es anpackt.

Deuflhard: Wir wollen nicht nur hübsch auf Kräne gucken, sondern eine künstlerische und intellektuelle Auseinandersetzung. Am Hafen kann man etwa den Transformationsprozess unserer Stadt ablesen. Und das ist nicht singulär, es haben sich ja weltweit Städte zum Wasser gedreht.

Lux: Das Thema soll sich in ganz vielen Bereichen des Festivals wiederfinden. Wo hat die Stadt Wunden und Schmerzen? Der Hafen ist auch ein Ort für gesellschaftliche Widersprüche zwischen Ökonomie, die notwendig ist, und Ökologie, die natürlich auch notwendig ist. Uns interessiert Wasser als Ursprung allen Lebens, faszinierend ist der weltweite Verkehr von Waren, Menschen und Kulturen. Auch die konkrete Erforschung des Hamburger Hafens gehört dazu, wir wollen zum Beispiel einen Kakaospeicher bespielen. Es macht Spaß in solche Welten einzutauchen.

Wer ist Ihr Zielpublikum?

Lux: Da gibt es verschiedene Überlegungen. Man könnte es als eine Messe der avanciertesten Kunst begreifen oder als ein Publikumsfestival.

Was ist es denn für Sie?

Deuflhard: Wir sind uns da nicht ganz einig. Im besten Fall beides.

Lux: Es wäre schön, solche Kategorien durcheinanderzuwirbeln.

Deuflhard: Es muss natürlich spannend sein für internationale Kuratoren. Es ist ja auch in unserem Interesse, dass die massenhaft kommen. Aber es wird auch ein großes Publikumsfestival sein. Das ist ein unglaublich spannender Prozess. Wir streiten auch, klar.

Wo liegen Ihre Reibungspunkte?

Lux: Die sind nicht persönlich, sondern inhaltlich. Nehmen Sie eine Produktion aus Afrika, die in sich glänzt und auch den Sehgewohnheiten unserer Zuschauer entspricht. Aber: Sie erzählt keine besonders spezifisch afrikanische Geschichte. Auf der anderen Seite gibt es dann Aufführungen, deren Geschichte aufrichtig und spezifisch erzählt wird, aber vielleicht etwas schlicht daherkommt. Gehen wir nur auf die avancierte Ästhetik, haben wir einen sinnentleerten Blumenstrauß. Gehen wir nur auf die Inhalte, haben wir am Ende einen Volkshochschulkurs. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe.

Deuflhard: Wir streiten auch über einzelne Künstler. Kann vorkommen, dass ich einen Künstler ganz toll finde und Joachim sagt: Das ist doch Osnabrück!

Ihre schlimmste Künstler-Beleidigung ist „Osnabrück“?

Lux: Oder Castrop-Rauxel.

Sie haben ein „politisches Festival“ angekündigt. Wie wird sich das darstellen?

Lux: Nicht unbedingt tagespolitisch. Als ich nach Hamburg kam, habe ich in­stinktiv gesagt: Wir müssen uns lokal verankern und von da aus kosmopolitisch denken. So kamen wir auf den Hamburger Weltbürger Lessing. Das ist der Grundgedanke auch für „Theater der Welt“: „Glokalisierung“. Das Wort klingt ein bisschen lustig, aber es beschreibt gut, was wir hier anstreben. Wir versuchen Kuratoren, Künstler und Themen aus Hamburg mit internationalen Künstlern zu verbinden. Damit sind wir mitten in der Diskussion, die uns derzeit auch politisch umtreibt. Wenn wir ausschließlich nach außen gerichtet denken, vernachlässigen wir unsere Wurzeln, unseren Alltag. Bleiben wir allerdings nur lokal, nur auf uns selbst fixiert, dann greift irgendwann ein anderer Begriff: Nationalismus. Wie kriegen wir es also hin, die Begriffe lokal und global zu vereinigen?

Deuflhard: Am Beispiel des Hafens lässt sich das hervorragend erzählen. Nehmen wir die Ausbeutung von Ländern der Dritten Welt, deren Rohstoffe hier ankommen. Oder den Klimawandel, der vor allem in den Industrieländern verursacht wird, dessen Folgen Menschen aber in der gesamten Welt, vor allem in armen Ländern, spüren. Wir planen ja einige Uraufführungen und wir haben schnell gemerkt: Das Thema Hafen stößt bei Künstlern international auf Rieseninteresse.

Sie haben beide ganz nebenbei Theater zu leiten, die anderen beteiligten Festivals, die auch 2017 stattfinden und vorbereitet werden müssen. Wie funktioniert das?

Deuflhard: Nur, weil wir zu viert sind.

Lux: Dadurch ist es machbarer. Wir schwitzen so ein Festival nicht einfach aus den Knochen.

Wie ist denn die Arbeitsteilung?

Lux: Gibt es nicht. Wir kümmern uns ­alle um alles.

Deuflhard: Wir arbeiten von morgens bis nachts. Joachim ist berühmt für seine Mails, die bevorzugt zwischen zwei und drei Uhr nachts kommen.

Es gibt ja noch ein Theater in Hamburg, das anfangs mit im Boot sein sollte. Warum ist das Schauspielhaus nicht mehr dabei?

Deuflhard: Das Schauspielhaus ist früh ausgestiegen. Nicht, weil es Konflikte gab, sondern weil sich Karin Beier dagegen entschieden hat.

Trotzdem wollen Sie schwerpunktmäßig drei Orte bespielen.

Lux: Richtig, das Thalia, die ehemalige Kranfabrik Kampnagel und hoffentlich den Kakaospeicher am ehemaligen Afrika­terminal. Aber es wird auch weitere Abstecher geben ...

Deuflhard: ...einer geht natürlich in die Elbphilharmonie. Es war früh klar, dass wir nicht den Hafen bespielen können, ohne in die Elbphilharmonie zu gehen.

Das ist der einzige Programmpunkt, der schon bekannt ist, weil er im Elbphilharmonie-Programm bereits auftaucht: Fura dels Baus’ „Schöpfung“, eine Musiktheaterproduktion. Wie weit fassen Sie den Begriff Theater? Was gehört dazu?

Deuflhard: Wir arbeiten interdisziplinär, die Trennung der Sparten interessiert mich nicht. Es wird mehr Theater und Performance geben als Tanz.

Aus welchen Ländern wollen Sie Produktionen einladen? Gibt es Gegenden, in denen sich das Thalia besser auskennt, und andere, in denen Kampnagel eher zu Hause ist?

Lux: Das ist eher Zufall. Ich war zum Beispiel kürzlich in Australien, weil das Thalia dorthin eingeladen wurde. Vorher war ich kein Australien-Spezialist. Und am Brexit-Tag waren wir zufällig gemeinsam in London. Ich bekomme seither fast täglich Briefe von britischen Künstlern, die ihre Trauer und Wut äußern und die verstärkt ihre Verbindung nach Europa suchen.

Deuflhard: In China kenne ich mich ganz gut aus, ich beschäftige mich auch viel mit dem Nahen Osten, außerdem war ich zuletzt in Japan, Vietnam und Korea. András Siebold kennt sich in Japan hervorragend aus, Sandra Küpper war in Südamerika und im Nahen Osten. Wir sind intensiv in der Recherche. Von Kampnagel-Seite reisen wir ohnehin häufig. Es ist gar nicht so leicht, etwas zu finden, was wir noch nicht hatten! Interessant finden wir übrigens auch den Kontakt zu geflüchteten Künstlern aus Syrien und anderen Ländern, die in Berlin oder hier in Hamburg gelandet sind und mit denen wir bereits angefangen haben zu arbeiten.

Lux: Da kommt das Internationale dann zu uns. Man spürt: Wir haben noch nie so sehr wie heute in einer einzigen vielfach miteinander verbundenen Welt gelebt. Das ist nicht konfliktfrei, aber doch auch großartig. Ich hoffe, es gelingt uns, das halbwegs abzubilden und nicht nur ein lustiges, buntes Colours-of-Benetton-Festival zu schaffen. Tatsächlich gibt es beim Aussuchen der Künstler eine große Schwierigkeit: Die einen waren schon einmal auf Kampnagel, die anderen waren schon am Thalia, die dritten waren schon beim „Theater der Welt“. Die vierten treten drei Wochen vorher groß in Berlin auf. Das wollen wir natürlich gern vermeiden.

Dem Publikum ist das vermutlich wurscht. Hauptsache tolle Produktionen.

Deuflhard: So ist es. Der Leiter der Documenta hat mir erzählt, dass er gar keinen einzigen Künstler einlädt, der schon bei der letzten Documenta war. Das ist ja verrückt, da waren ja über 100 Künstler! So streng wäre ich persönlich nicht. Wenn wir uns einig sind, dass wir einen Künstler großartig finden, laden wir ihn ein. Es wird auch ein Wiedersehen mit „alten Bekannten“ geben.

Wie schwierig ist es für Sie, ein Bedürfnis für „Theater der Welt“ zu kreieren – in einem Jahr, in dem die kulturaffinen Hamburger Konzertkarten für die Elbphilharmonie kaufen, als gäbe es kein Morgen? Sind Sie zuversichtlich, dass da genug Geld in den Kulturbudgets des Publikums bleibt? Sie möchten ja auch 2017 reguläre Karten für das Thalia oder Kampnagel verkaufen.

Deuflhard: Da habe ich keine Sorge. Es freut mich, dass Joachim Lux die Idee hatte, dieses Festival ausgerechnet 2017 nach Hamburg zu holen, und dass auch die Stadt die Bereitschaft hatte, dafür Geld zu geben. 2017 wird ein absolutes Kulturjahr sein. Auch international wird damit ein echter Punkt gemacht. Hamburg wird Musikstadt, Hamburg ist Theaterstadt. Ich bin überzeugt, dass die Massen zu „Theater der Welt“ hinströmen werden.

Lux: Das ist großartig für die Stadt! Wir setzen auf Neugier und Erlebnishunger des Publikums. So sollte es in der Musik- und Theaterstadt Hamburg immer weitergehen.