Wolfsburg. Die Movimentos Festwochen zeigen in Wolfsburg die Deutschlandpremiere von Sidi Larbi Cherkaouis „Icon“.
Die Gewänder der Tänzerinnen und Tänzer erinnern an japanische Kimonos. Die Körper bilden eine helle, bewegliche Masse, dann lösen sie sich voneinander und beginnen, perfekt kontrolliert, einzelne Figuren zu formen. Es sieht nach Improvisation aus, ist es aber nicht. Irgendwann begeben sie sich an das bewegliche Bühnenbild: Dreieinhalb Tonnen feuchter, senffarbener Ton liegen im Hintergrund der Bühne. Aus ihm modellieren die Akteure Figuren, und sie legen sich die Masse auch gegenseitig auf ihre Körper.
„Icon“ heißt die Produktion des weltweit gefeierten Starchoreografen Sidi Larbi Cherkaoui, die hier mit Tänzerinnen und Tänzern der Göteborgs Operans Danskompani und von Cherkaouis belgischer Eastman-Company im Göteborger Opernhaus Uraufführung feiert. Vom 18. bis 20. Mai ist sie als Deutschlandpremiere und einer der Höhepunkte bei den MovimentosFestwochen der Autostadt in Wolfsburg zu erleben. Kulturfreunden bieten die Festwochen Gastspiele aus Tanz und Theater, klassische Matineen und Soireen sowie szenische Lesungen.
Geprägt von Michael-Jackson-Musikvideos
Sidi Larbi Cherkaoui, flämischer Star-Choreograf mit marokkanischen Wurzeln, ist hier ein gern gesehener Gast und Publikumsliebling. Seine Zuschauer kommen aus Berlin, Hamburg oder Hannover nach Wolfsburg. Zum fünften Mal hat er sich nach gefeierten Arbeiten wie „Sutra“ und „Babel“, die auch in Hamburg auf Kampnagel zu sehen waren, mit dem britischen bildenden Künstler Anthony Gormly zusammengetan, um der Frage nachzugehen, wie eine Ikone, also ein zeitloses Vorbild, entsteht und warum die Menschheit das Bedürfnis hat, diese immer wieder auch zu zerstören.
Gormlys Idee war es, den Ton für das Bühnenbild zu benutzen. Eine Herausforderung. „Ton verhält sich nie so, wie du es willst“, meldet sich ein äußerst freundlicher Cherkaoui aus Brüssel durchs Telefon. „In vielen Schöpfungsmythen wird der menschliche Körper aus Ton geformt. In manchen Glaubensrichtungen gibt es strenge Verbote, den menschlichen Körper abzubilden, sei es in der Malerei oder als Skulptur.“
Keine Frage, Ton ist ein stark aufgeladenes Material. Und so gewaltig und emotional kommt auch die Inszenierung daher. „Die Menschen erschaffen sich immer wieder neu. Sie kreieren andauernd ein Bild von sich selbst. Das ist eine tiefe Sehnsucht. Es ist zugleich ein verzweifelter Akt“, sagt Cherkaoui. Musiker aus Italien und Japan begleiten das Geschehen musikalisch und mit verzaubernden Gesängen – durch einen Gazevorhang vom Geschehen getrennt.
Er ist geprägt von Choreografen wie Pina Bausch und Alain Platel, die den Tanzbegriff hin zu mehr Schauspiel, Sprache und Erzählung erweitert haben. „Ich sehe keinen Unterschied zwischen Tanzen, Singen, Sprechen, Erforschen, Ausdrücken, das alles geht mit einer Bewegung oder einem Wort“, sagt Cherkaoui. Er versuche, die Welt in ihrer Vielfalt, ihren Schichten und Grauzonen zu sehen. „Wir leben in einer Illusion von Unterscheidungen. Wir brauchen das, wenn wir klein sind, aber je älter wir werden, umso mehr merken wir, dass das Unsinn ist. Wir sind alle verbunden.“
Tanz ist für ihn Selbsterfüllung
So hat er seine marokkanische Kultur ebenso erforscht wie die belgische. Es hat ihn viel über seine eigene Identität gelehrt, dass er ständig nach seiner Herkunft gefragt wurde. Der Tanz war für ihn ein Weg, Selbsterfüllung und –bewusstsein zu finden. Ausgerechnet vor dem Fernseher hat Cherkaoui, der aus einem eher bildungsfernen Elternhaus stammt, die Leidenschaft für den Tanz für sich entdeckt. Durch die populäre Medienkultur, das Musical „Fame“ und Michael Jacksons Musikvideos. In ihnen ist er vielleicht auch seinen eigenen Ikonen begegnet.
Sidi Larbi Cherkaoui: „Icon“ (Deutschlandpremiere), 18.5. bis 20.5., jew. 20.00, Autostadt in Wolfsburg, Stadtbrücke, 38440 Wolfsburg. Die Reise nach Göteburg wurde ermöglicht durch die Autostadt in Wolfsburg.