Hamburg. Leander Haußmanns mehr als dreistündige Inszenierung von „Cyrano de Bergerac“ am Thalia Theater ist überaus gelungen.

Die Liebe ist immer wieder ein großes Thema. In der Popmusik, im Kino und im wirklichen Leben sowieso. Manchmal auch im Theater, aber dort nahm man sich zuletzt vor allem gesellschaftspolitischer Themen an. Leander Haußmann hat nun Edmond Rostands romantische Komödie „Cyrano de Bergerac“ auf die Bühne des Thalia Theaters gebracht; politische Zusammenhänge spielen da keine Rolle, es geht einzig und allein um das große Gefühl der Liebe.

Wie lässt die Liebe sich ausdrücken? Welche Glücksgefühle schenkt sie, welche Verzweiflung? Haußmann inszeniert das vor 120 Jahren geschriebene Stück in einem aufwendigen Bühnenbild wie einen Gegenentwurf zur allgegenwärtigen, reduzierten Postdramatik mit ihren leeren Bühnen. Er macht traditionelles Theater, das aber nicht altmodisch daherkommt. Haußmann will verzaubern und überraschen. Der Zuschauer bekommt viel fürs Auge und ein großartiges Spiel serviert.

Cyrano kann fechten und ist zudem ein Meister der Poesie

Gespielt wird Theater im Theater: Der rote Vorhang geht auf, dahinter hängt ein zweiter, identischer Vorhang. Als der sich öffnet, ist eine Projektion des Thalia-Zuschauerraums zu sehen, als würde man das Geschehen von der Bühne aus betrachten. Der Abend beginnt als Mantel-und-Degen-Stück mit furiosen Fechtszenen zwischen Cyrano (Jens Harzer) und einigen Edelleuten, die über seine riesige Nase spotten. Sie führen sich auf wie die Gockel, vor allem Lignière (Pascal Houdus), doch schnell zeigt Cyrano ihm, wer die beste Klinge schwingt. Zu Walzerklängen zieht er seine Gegner bis auf die Unterhosen aus. Aber der Edelmann mit dem großen Zinken im Gesicht ist nicht nur ein Meister mit dem Degen, sondern auch ein Schöngeist mit Sinn für Poesie.

Nach den lauten Fechtspektakeln wird die Aufführung leiser. Cyrano gesteht seinem Freund Le Bret (Tim Porath) seine Liebe zu der schönen Roxane (Marina Galic), doch kann er sich ihr nicht offenbaren – aus Scham über seine hässliche Nase. Zwar bestellt Roxane ihn zu einem Treffen und seine Hoffnung fliegt hoch, doch es stellt sich heraus, dass sie den Kadetten Christian de Neuvillete (Sebastian Zimmler) liebt. Der ist zwar schön, aber mit dem Schreiben hat er es nicht so. Einen Liebesbrief bekommt er nicht hin, die erste Begegnung mit Roxane, beide romantisch auf einer Schaukel sitzend, wird zum Fiasko. Nur ein gekrächztes „Ich liebe dich“, zusammengezogen zu einer einzigen Silbe, bringt der Galan heraus. Nicht genug für die lyrisch veranlagte Roxane. Rettung kommt in Gestalt von Cyrano, der für Christian wild lodernde Liebesbriefe schreibt und für ihn zum Souffleur der Gefühle wird – in einer Dreiecksbeziehung mit Cyrano als Antreiber im Verborgenen.

Jens Harzer spielt den Cyrano als einen Liebesvermittler bis zur Selbstaufgabe. Er verfasst die blumigsten Verse für die angebetete Roxane, doch in jedem seiner Briefe ist die Traurigkeit zu spüren, die bei den Gedanken an sie mitschwingt. Seine Loyalität zu Christian ist unendlich, immer wieder springt er für ihn ein.

Harzer hat ein paar große Szenen, wenn er bei einem Balkon-Dialog in Christians Rolle schlüpft und Roxane mit seiner Wortgewandtheit um den Finger wickelt, oder wenn er dem Comte De Guice (Rafael Stachowiak) mit Verve die absurde Geschichte erzählt, wie er einst als Alien auf die Erde gestürzt sei. Harzers Spiel berührt, weil er die Gefühlswelt seiner Figur tief auslotet und den Schmerz zeigt, den seine Verstrickung bedeutet. Marina Galics Roxane ist eine Frau mit Hang zur Melancholie und einem feinen Gespür für die Zwischentöne in diesem Gefühlsdrama. Begierig liest sie jeden Brief – ohne den wahren Absender zu erkennen. Zimmlers Christian ist Strahlemann und erbärmlicher Verführer gleichermaßen. Er weiß um seine Schönheit, aber auch um seine Unzuläng- lichkeiten. Er hält sich für dumm, doch trotz seiner Unbedarftheit ist er kein schlechter Kerl.

Auch die Robe von Marina Galic ist sensationell

Haußmann und Theresia Anna Ficus haben für diese Produktion ein aufwendiges Bühnenbild bauen lassen mit einem dicht verästelten kahlen Baum in der Mitte, der Cyrano als Souffleurkasten dient, während Roxane und Christian sich unter ihm anschweigen. Spektakulär gelingt auch die Balkon-Szene, in der Roxane als Projektion oben über eine Balustrade läuft, während Marina Galic ihren Text unten auf der Bühne spricht. Während die Bühne sich dreht, fallen unaufhörlich Blätter herab und geben der Inszenierung eine Herbststimmung.

Janina Brinkmann hat für das Ensemble prächtige Kostüme entworfen, wie sie in eine Renaissance-Szenerie gehören. Wann hat man zuletzt eine Robe gesehen wie das weit fallende weiße schulterfreie Kleid von Marina Galic?

Dreieinviertel Stunden dauert Haußmanns Spiel über die Liebe. Andere Regisseure hätten Rostands Vorlage sicher schneller erzählen können, doch der Berliner Theatermann nimmt sich bewusst Zeit und lässt viele Szenen ausspielen. Alle Schauspieler, auch die in den Nebenrollen, nutzen diesen Raum und machen aus dem Spiel einen vergnüglichen Abend. Haußmann schreckt auch vor Klamauk und Kitsch nicht zurück, doch vor allem ist sein „Cyrano de Bergerac“ ein berührender Abend über die Schwierigkeiten der Liebe.

„Cyrano de Bergerac“ nächste Aufführungen 28.3., 1./2.4., Thalia Theater, Alstertor 1, Karten ab 7,50 unter T. 32 81 44 44; weitere Infos unter www.thalia-theater.de