Das Hamburger Zentrum für Kinder und Jugendliche in Trauer hilft Betroffenen, Hoffnung und Zuversicht zurückzugewinnen

Dass meine Wollmütze eigentlich meinem Papa gehört hat, erzähle ich keinem in der Schule. Die würden alle lachen. Ich fand es schön, dass mich hier keiner ausgelacht hat“, sagt Vanessa. Sie ist zehn Jahre alt. Ihr Vater ist erst im vergangenen Jahr gestorben. Jetzt sitzt sie gemeinsam mit anderen Gleichaltrigen in den Räumen des Hamburger Zentrums für Kinder und Jugendliche in Trauer e. V. in der Sophienallee 24 im Stadtteil Eimsbüttel. Das Zentrum ist ein Ort, an dem Vanessa ihre Gefühle offen zeigt. Weil sie weiß, dass sie nicht allein ist. Jedes Kind hier hat einen ihm nahestehenden Menschen verloren. Jedes von ihnen trauert auf seine Weise. Robin, der seinen Vater verloren hat, oder Jonas, dessen Bruder gestorben ist und für den seitdem nichts mehr ist wie vorher. Manchmal wissen sie zu Hause nicht, ob sie lachen, fröhlich sein und Quatsch machen dürfen. Weil doch alle traurig sind. Dann wieder trauen sie sich nicht zu weinen, weil sie doch stark sein müssen, für die Mama oder den Papa, der hinterblieben ist.

„Hier aber dürfen sie sein, wie sie sind. Laut, fröhlich, leise, traurig oder wütend“, sagt Inga Unkrig. „Bei uns ist ein Kind in Trauer nicht mehr Außenseiter, sondern eines von vielen.“ Das hilft. Die Heilpädagogin ist eine von sieben Trauerbegleitern, die in dem Verein Betroffenen ihre Hoffnung und Zuversicht wiedergeben, ihnen Kraft und Trost spenden.

Die Kinder kommen, um über ihre Gefühle zu sprechen, aber auch, um gemeinsam mit anderen zu malen, zu basteln und zu toben. Hier finden sie einen Ort, an dem sie ihre Trauer auf ihre ganz eigene Art leben und den Verlust verarbeiten können.

„Weil Kinder ihre Trauer nicht immer direkt äußern, wird sie häufig übersehen oder nicht verstanden“, sagt Inga Unkrig. „Nicht selten kompensieren die betroffenen Kinder ihre Situation, indem sie sich aus Angst, von ­Gefühlen überwältigt zu werden, verschließen. Für Außenstehende funk­tionieren sie in ihrem Alltag, als sei nichts geschehen.“ Doch innen drin sieht es anders aus. Und irgendwann brechen sich nicht verarbeitete Gefühle ihre Bahnen. Essstörungen, psychosomatische Krankheiten, Angstzustände und Drogenkonsum können langfristige Folgen unbewältigter Trauer sein, weiß Inga Unkrig. Trauerbegleitung ist insofern eine Art Prävention. Die Kinder und Jugendlichen erfahren, dass Abschied, Trennung, Sterben und Tod zum Leben gehören. Und dass sie ihren Blick nicht nur auf den Verlust, sondern auch auf die Gegenwart und Zukunft richten dürfen.

Etwa 500 Kinder sind in Hamburg jährlich mit dem Tod naher Angehöriger konfrontiert. Doch es gibt nicht viele Angebote zur Trauerbegleitung für sie. Auch deshalb war für Inga Unkrig klar, dass sie sich engagieren möchte. Seit mehr als zwei Jahren arbeitet sie in der Trauerbegleitung. Und hat es nie bereut, diesen Weg eingeschlagen zu haben. „Im Gegenteil“, sagt sie, „ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, Kindern und Jugendlichen in ihrer schweren Situation zu helfen, damit sie in ihrer Trauer gesehen werden.“

Der Verein, der 2009 ins Leben gerufen wurde, betreut im Jahr etwa 40 Kinder und Jugendliche. Sie treffen sich regelmäßig alle 14 Tage in einer geleiteten Trauergruppe. Zwei Stunden verbringen sie zusammen. Manche kommen nur ein paar Mal, andere bleiben ein ganzes Jahr. Darüber hinaus bietet der Verein auch Beratung für Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen sowie Einzelgespräche für Familien an. Der Verein finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Die Teilnahme in den Gruppen kostet zehn Euro.

Damit der Verein das so wichtige Angebot weiterführen kann, werden nun händeringend Spender gesucht. Der Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ unterstützt das wichtige Projekt, doch das reicht nicht aus. „Wir laufen Gefahr, unser Zentrum im kommenden Jahr schließen zu müssen, wenn wir nicht liebe Menschen finden, die bereit sind, uns zu helfen“, sagt Inga Unkrig. Ein Gedanke, den sie lieber verdrängt. Weil sie weiß, dass sie stark sein muss. Für die Kinder, die sie stützen will, so lange, bis diese gelernt haben, mit dem Verlust zu leben.

Infos zum Verein unter www.kinder-in-trauer.de
oder Tel. 22 9 4 44 80