Hamburg. Wer tritt die Nachfolge der gestorbenen Kultursenatorin Barbara Kisseler an? Olaf Scholz schweigt nach wie vor.
Drei Stunden Vorlauf, immerhin. Mit gerade mal einem Achteltag Reaktionszeit sei womöglich zu rechnen, bevor Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz offiziell bekannt gibt, wer die Nachfolge der im Oktober gestorbenen Kultursenatorin Barbara Kisseler übernimmt. Viel wäre das nicht, typisch für Scholz wäre es. Aller Wahrscheinlichkeit nach und allen Gerüchten zufolge wird es eher eine Frau als ein Mann sein, der Senatsarithmetik gehorchend. Viel mehr ist aus dem Rathaus nicht zu erfahren, wenn es um diese Personalie geht, deren Klärung der SPD-Regierungschef seit Monaten mit sich auszumachen scheint, ohne bislang zu einem sichtbaren Ergebnis gekommen zu sein. Nichts Genaues weiß man nicht. Seit etlichen Wochen mittlerweile.
Dass Scholz sich so bedeckt hält, hat gute Gründe
Das drängende Problem hinter dieser Leerstelle im Senat: Hamburg soll noch mehr als bisher Kulturstadt sein und international sichtbare Musikmetropole werden, und die Person, die dafür Impulse geben müsste, Widerstände überwinden, zukünftige Sponsoren ködern und bauchpinseln, Wege eröffnen und Ideen haben oder wenigstens bündeln? Jemand, die oder der das große Schwungrad am Laufen hält? Diese Person gibt es nicht. Klar ist lediglich, welche Frau aus der Hamburger Lokalpolitik es nicht wird: Isabella Vértes-Schütter, Intendantin am Ernst-Deutsch-Theater und kulturpolitische Sprecherin der SPD. Sie hat sich vor einem Monat selbst aus dem Kandidatinnen-Rennen genommen, möglicherweise auch zur Gesichtwahrung, um sich keinen Korb einzuhandeln.
Hätte Scholz, ob nun in Hamburg oder im Rest der Republik, tatsächlich bereits jemand gefunden, die oder der seinen Ansprüchen und damit den Aufgaben genügt, wären die heute beginnenden dreitägigen Haushaltberatungen in der Bürgerschaft die formal letzte Gelegenheit vor der Jahreswende, um seine Wunschkandidatin oder seinen Wunschkandidaten parlamentarisch annehmen zu lassen. Doch Haushaltsberatungen gehören zu jenen Weichenstellungs-Terminen, bei denen allein das reguläre Programm genügend Aufmerksamkeit erfordert. Danach: Weihnachten, Neujahr, Neustart.
Bewegende Gedenkfeier für Barbara Kisseler:
Bewegende Gedenkfeier für Barbara Kisseler
Dass Scholz sich so bedeckt hält, hat gute Gründe. Natürlich möchte kein Kandidat im Vorfeld zerredet oder gleich verbrannt werden. Wie sehr man sich bei der Wahl einer Kultursenatorin blamieren kann, konnte Scholz bei seinen Vorgängern Ole von Beust und Christoph Ahlhaus sehen: Nachdem ihm Nike Wagner für diesen Posten einen Korb gegeben hatte, stocherte Beust, der eine CDU-Bürgermeister, wochenlang gut sichtbar vor sich hin, nicht einmal die Schlagersängerin Vicky Leandros mochte noch wollen.
Krisen-Großbaustelle Elbphilharmonie
Am Ende wurde es die Ex-Boulevardjournalistin Dana Horáková, die vor allem durch irrlichternde Ideen wie den „AquaDome“, eine Mischung aus Show-Aquarium, Beatles-Museum und Konzerthalle in Erinnerung blieb. Und, Christoph Ahlhaus, der andere CDU-Bürgermeister, berief Reinhard Stuth. Stuth, ausgerechnet, war Kultur-Staatsrat gewesen. Er hatte diesen Posten räumen müssen, weil zwischen ihm und der Belegschaft jedes nur denkbare Tischtuch zerschnitten gewesen sein soll. Und Kisselers Vorvorgängerin Karin von Welck – ebenfalls partei- und am Ende sehr glücklos – zerbrach an der Dauerbelastung durch die Krisen-Großbaustelle Elbphilharmonie.
Aus diesen Fehlleistungen der Vergangenheit hat der Stratege Scholz gelernt. Auch das Berliner Beispiel – Kultur pro forma Bürgermeistersache, in Wirklichkeit aber durch einen nachgeordneten Staatssekretär zu regeln – dürfte nach den Prellungen, die sich Tim Renner dort im Clinch mit der Klientel eingehandelt hat, kein Vorbild sein.
Die Messlatte für die Akzeptanz hängt sehr hoch
In den Wochen nach Barbara Kisselers Tod wurde die Debatte über ihre Nachfolge aus Pietätsgründen unterlassen, während schon in den Monaten ihrer schweren Krankheit niemand absehen konnte, ob sie überhaupt wieder an ihren Schreibtisch an den Hohen Bleichen 22 zurückkehren würde. Doch alle hofften, alle waren in Gedanken bei der beliebten Behördenchefin. Es ging unterdessen auch so.
Es geht ja immer fast alles, irgendwie. Und es gab mit Kultur-Staatsrat Carsten Brosda einen Stellvertreter, der sich engagiert um die Tagesgeschäfte kümmerte und in vieles eingearbeitet hatte. In der Kulturszene wird er ernst genommen, aber auch als Interims-Ansprechpartner gesehen.
Messlatte für Akzeptanz hängt hoch
Die Messlatte für die Akzeptanz hängt sehr, sehr hoch. Brosdas Glück im Unglück: Wichtige Chefstellen in großen Häusern waren nicht zu besetzen, die nächsten bedeutenden Pflöcke – allen voran das „Theater der Welt“ im nächsten Frühjahr – waren schon eingeschlagen. Doch dass der Doppelhaushalt 2017/18 ohne eine Kultursenatorin vom kämpferisch inspirierenden Kompetenz-Format einer Barbara Kisseler in die Bürgerschaft geht, ist ein Manko, das vielleicht Folgen haben wird.
Der erste außerparlamentarisch wichtige Protokolltermin ist der 11. Januar 2017, die Elbphilharmonie-Eröffnung. Ein Thema und ein Repräsentationstermin dieser Übergröße ist schon hierarchisch Chefsache. Doch ohne eine Person an der Spitze der Kulturbehörde fehlt jemand an Scholz’ Seite. Eine Woche später, am 18. Januar, soll die Bürgerschaft ihre erste Sitzung des Jahres haben. Dort, vielleicht, bekommt man jemand Neues für die Kulturbehörde zu Gesicht. Oder auch nicht. Olaf Scholz regiert und schweigt.