Hamburg. Mit einer Gedenk-Matinee im Schauspielhaus wurde an Hamburgs Kultursenatorin erinnert, die Anfang Oktober gestorben ist.

Es war viel Liebe im Raum und viel Dank, an diesem kalten, die Seelen wärmenden Sonnabendmorgen im November. Respekt, das wäre das pragmatisch Erwartbare gewesen. Diesen Pflicht-Respekt bekundet man, wenn eine wichtige politische Persönlichkeit mit Anstand zu verabschieden gewesen wäre. Doch der Abschied von Barbara Kisseler, die bis zu ihrem Tod Anfang Oktober nur fünfeinhalb Jahre Kultursenatorin in Hamburg sein konnte, hat auch bei der Gedenkmatinee im Schauspielhaus gezeigt, dass diese Politikerin viel mehr als eine gute Politikerin war. Viel mehr als eine Zuweisungsverteilerin mit festen Sprechstunden und unverschiebbarem Feierabend.

Rund 600 geladene Gäste, ein nahezu komplettes Personalpanorama der Hamburger Kulturlandschaft mit Gästen aus der Bundes(kultur)politik, ­saßen im Dunkel des Theaterraums. Man trauerte im einen Moment wegen dieses Verlusts und amüsierte sich diebisch im nächsten, wenn an den treffsicheren, knochentrockenen Humor und den liebevoll spöttischen Biss dieser ­Behördenchefin erinnert wurde, die Bürgermeister Olaf Scholz in seiner außergewöhnlich emotionalen Rede auch „eine hinreißende Frau“ nannte.

„Barbara Kisseler hat stets darauf Wert gelegt, dass die Kultur nicht der ,Reparaturbetrieb‘ unserer Gesellschaft, aber sehr wohl in der Lage ist, die drängenden Fragen zu stellen“, betonte Scholz. „Dass wir in weniger als zwei Monaten die Elbphilharmonie eröffnen können, wäre ohne ihren Einsatz nicht möglich gewesen. Wie gerne wäre sie mit dabei gewesen, wie gerne hätte sie auch das Festival Theater der Welt im Mai erlebt, das sie nach Hamburg geholt hat, um zu zeigen, dass die Elbphilharmonie zwar ein mächtiger Leuchtturm wird, aber keineswegs das einzige kulturelle Feuer, das in der Stadt brennt.“

Sie kam in wenigen Sätzen von Machiavelli zu Charlie Brown

Überhaupt, die Reden. Ihr Spezialtalent. Auch sie erinnerten daran, wie angenehm anstrengend und spielerisch horizonterweiternd der Umgang mit Barbara Kisseler sein konnte. Daran, wie viel und wie sehr Kultur für sie zum Leben gehörte. Daran, wie raffiniert entwaffnend ehrlich sie war, um ihre Ziele über Um- und Schleichwege direkter zu erreichen, als es weniger virtuose Drucksachen-Einfädler gerade eben schaffen. Dass sie sich unfallfrei in wenigen Sätzen von ­Machiavelli zu Charlie Brown und ­retour argumentieren konnte.

Einen prächtig zurückhaltenden Rahmen bildeten die szenischen Danksagungen, ökumenisch arrangiert geradezu, denn es waren Künstler vom Thalia und vom Schauspielhaus, die hier ­gemeinsame Sachen machten, weil sie in diesen Momenten nichts trennte und alles verband. Sie brachten eine Collage aus den schönsten eigenen und eigenwilligen Bonmots, mit denen Kisseler ihre Ansprachen würzte: „Wenn in der Politik etwas gesagt werden soll, fragt man einen Mann ... ­(Kichern, Szenenapplaus) ... Wenn etwas getan werden soll, fragt man eine Frau“ oder, auch schön: „Wenn ein Hamburger die Wahl hätte zwischen dem Paradies und einem Vortrag darüber ... (Kichern, Szenenapplaus) ... er würde den Vortrag wählen“.

Felix Knopp und Maja Schöne sangen einige dieser verkatert zerzausten Rumpel-Balladen, die Tom Waits für „Woyzeck“ schrieb und die jedes noch so harte Herz leerwringen können. ­Anschließend erinnerte Michael Wittenborn mit James Browns Emanzipations-Klassiker „It’s A Man’s Man’s Man’s World“ an Kisselers schon zu Lebzeiten legendäres taktisches ­Geschick und Durchsetzungsvermögen.

Reaktionen zum Tod von Barbara Kisseler

Karin Beier, Intendantin des Schauspielhauses

Ihre Fähigkeit, mit ebenso feinem wie auch direktem Humor selbst komplizierte Situationen konstruktiv zu meistern,  machte sie zu einer überaus wertvollen und verlässlichen Partnerin der Kultur.

Katharina Fegebank (Grüne), Zweite Bürgermeisterin

Barbara Kisseler war ein Glücksfall für Hamburg. Sie hatte Statur und Stil. Als Senatskollegin und Mensch werde ich sie sehr vermissen.

Andre Trepoll, Vorsitzender der CDU-Bürgerschaftsfraktion

Für Barbara Kisseler war Kultur kein Luxusgut, sondern sollte jeden erreichen. Mit ihrer hohen Sachkompetenz und ihrer Begeisterung hat sie die Kulturlandschaft in unserer Stadt maßgeblich geprägt.

Albert Wiederspiel, Direktor des Filmfests  Hamburg

Filmfest Hamburg, aber auch die gesamte Filmbranche der der Stadt, hat eine gute Freundin verloren. Barbara Kisseler, selbst eine große Cineastin, hat für den Film und die Filmkultur in Hamburg wirklich gekämpft.

Andreas Dressel, Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion

Mit ihrer Tatkraft, ihrer Beharrlichkeit, ihrem brillanten Intellekt und nicht zuletzt ihrem Charme hat Barbara Kisseler die Kulturpolitik dieser Stadt geprägt - und das wird bleiben. Die SPD-Fraktion ist ihr unendlich dankbar.

Daniel Kühnel, Intendant Symphoniker Hamburg

Die Symphoniker haben mit Bestürzung vom Tod Barbara Kisselers erfahren und sind voller Mitgefühl für ihre Familie.

Christoph Lieben-Seutter, Generalintendant von Elbphilharmonie und Laeiszhalle

Das ist eine sehr, sehr traurige Nachricht. Barbara Kisseler war eine vehemente Fürsprecherin der Elbphilharmonie, für die sie in einer verfahrenen Situation die Verantwortung übernommen hat.

Michael Lang, Intendant Winterhuder Fährhaus

Es hieß einmal, Barbara Kisseler habe die sonst eher aufmüpfige Kulturszene "befriedet". Aber es war vielmehr so, dass die Kulturschaffenden sich von ihr bestens vertreten sahen und ihr absolut vertraut haben. Sie hat uns zu Lebzeiten geeint, und sie wird uns allen sehr fehlen!

Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck

Barbara Kisseler war eine herausragende Kultursenatorin mit Esprit, Feinsinn, einem wunderbaren Humor und einer großen inneren Freiheit und Unabhängigkeit. Hamburg verliert eine großartige Persönlichkeit.

Norbert Hackbusch, kulturpolitischer Sprecher der Linke-Fraktion

Ihre Persönlichkeit, ihre Ausstrahlung und Präsenz haben in vielen Debatten geholfen, der Kultur die Bedeutung zu geben, die ihr zusteht. Mit ihr zu streiten war eine Freude, ihre spitze Zunge wird fehlen - auch mir ganz persönlich.

Ulrich Greiner, Präsident der Freien Akademie der Künste

Unter allen Kultursenatoren und Kultursenatorinnen Hamburgs war sie eine der kompetentesten und angenehmsten Gestalten. Die Freie Akademie der Künste verdankt ihr viel, und nicht allein die Akademie, sondern die ganze Stadt.

Katja Suding, Vorsitzende der FDP-Bürgerschaftsfraktion

Bewundert habe ich Frau Kisseler für ihre intellektuelle Tiefe, ihre Beharrlichkeit und ihren Humor. In ihrer Funktion als Kultursenatorin hat sie seit 2011 einen wesentlichen Beitrag für das Ansehen der Kultur in Hamburg geleistet.

Alexander Schulz, Direktor Reeperbahn Festival

Während Barbara Kisselers Amtszeit genoss das kleine Ressort Kultur auf Landesebene so viel Beachtung wie niemals zuvor in den vergangenen Jahrzehnten  in dieser Stadt.

Tobias Rempe, Geschäftsführung Ensemble Resonanz

Bei der Eröffnung der Elbphilharmonie werden wir einen Platz für sie freihalten.

Anjes Tjarks, Vorsitzender der Bürgerschaftsfraktion der Grünen

Wir verlieren eine großartige Frau. Ihre letzte Rede in der Bürgerschaft zur Elbphilharmonie war für mich eine der besten und bewegendsten dieser Legislatur.

Thomas Collien und Ulrich Waller, Geschäftsführer des St. Pauli Theaters

Sie war immer eine verlässliche Größe in diesem mit guten Kulturpolitikern nicht gerade gesegneten Land. Versprochen war bei ihr Versprochen. Wir werden sie sehr vermissen.

Carola Veit, Bürgerschaftspräsidentin

Mit Barbara Kisseler verliert Hamburg eine in höchstem Maße anerkannte Kultursenatorin. Ihr herzliches Wesen und ihr Sachverstand werden uns fehlen.

Börries von Notz, Alleinvorstand der Stiftung Historische Museen Hamburg

Mit Barbara Kisseler verlieren  wir eine engagierte Mitstreiterin in der Sache und eine professionelle Vorkämpferin an der Schnittstelle von Politik, Verwaltung und Kulturschaffenden. Ihre Inspiration, ihr Engagement und ihren Humor werden wir sehr vermissen.

Amelie Deuflhard, Kampnagel-Intendantin

Sie war eine Erscheinung in der Kunstszene und noch mehr in der Politik. Einzigartig. Unvergesslich. Unersetzbar. Ich bin tief betroffen.

Thomas Hengelbrock, NDR-Chefdirigent

Wie gern hätten wir sie bei den ersten Proben in der Elbphilharmonie begrüßt - sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass dieser wunderbare Saal bald eröffnet werden kann.

Andrea Zietschmann, NDR-Klangkörpermanagerin

Ihre selbstbewusste Haltung, dass mit der Eröffnung der Elbphilharmonie die Vision einer international ausstrahlenden Musikstadt Hamburg Realität wird, hat alle Protagonisten in ihrer Arbeit beflügelt.

Nikolaus Besch, Intendant Hamburger Theater Festival

Der Tod von Frau Kisseler bedeutet für Hamburg einen großen Verlust und macht mich tieftraurig. Sie hat in ihrer Amtszeit mit ihrer stets konkreten, engagierten und zupackenden Art viel für alle Kulturbereiche der Stadt erreicht. Frau Kisseler gab einem das Gefühl, dass sie wirklich zuhört und sich für die vorgetragenen Belange einsetzten wird. Sie hat das Hamburger Theater Festival und das mit ihm verbundene bürgerschaftliche Engagement mit Freude unterstützt und hatte immer ein offenes Ohr. Ihre Lockerheit, ihr Humor und ihre Zugewandtheit machten eine Zusammenarbeit leicht.

Kent Nagano, Dirigent und Hamburger Generalmusikdirektor

We in Hamburg deeply mourn the passing of our visionary Kultur Senator, Barbara Kisseler. The formidable civic leader combined her brilliant intellect with sharp strategic prowess to regularly realise dreams far beyond the expectations of given circumstances. Her exceptional talent to architect major socio-cultural initiatives combined with a seemingly fearless courage allowed her to provide her constituents with a hope and optimism so rare and so desperately needed in today's increasingly complicated world. These special gifts combined with a natural wit, charm and warm generosity made her a personality one felt privileged to have known. We will miss her profoundly and Hamburg, present and future, will surely remember her spirit and the legacy she leaves behind.

1/23

Nach einer sympathisch verschrobenen Version des Beach-Boys-Klassikers „God Only Knows“ für Stimme, Geige, Bassklarinette und Trompete folgte eine rührende Kleingruppen­choreografie, die kein Neumeier-Star so perfekt unvirtuos hinbekommen hätte wie diese Schauspieler. Weitere Musik-Einlagen kamen von Jazz-Posaunist Nils Landgren und Gustav Peter Wöhler, dessen Version von „Blackbird“ die Feier beendete.

Zuvor hatten Hortensia Völckers, Künstlerische Beauftragte der Bundeskulturstiftung, und Helga Schuchardt, die frühere niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur, mit persönlichen und bewegenden Worten von den gut verborgen gehaltenen privateren Seiten dieser so öffentlichen Frau berichtet: Pläneschmieden an dem einen oder anderen Küchentisch, Sonntagsfrühstücke mit mehrstündigen Überziehungen, oder die Begegnungen mit der neu zugezogenen Berliner Nachbarin Barbara Kisseler am Postkasten, wo sie den täglichen Brief an ihren Mann einwarf. Und Kisseler war es auch, die Frank-Walter Steinmeier auf dem kleinen Dienstweg mit Krimi-Empfehlungen versorgte.

„Nicht dass jetzt einer auf die Idee kommt, es ginge in Hamburg auch ohne Kultursenatorin“, war die mahnende Conclusio von Schuchardt an die Adresse von Olaf Scholz, der bislang noch keine Ansage über die Neubesetzung dieses herausragend wichtigen Postens ­gemacht hat. „Barbara Kisseler hat Maßstäbe gesetzt. Das verpflichtet.“