Hamburg. Beim „Festival des Hörens“ begegnen sich an diesem Wochenende ganz unterschiedliche Akteure und Zuschauer. Darin liegt eine Chance.
„Wer nicht zuhört, kann andere nicht verstehen.“ Das klingt fast banal und bezeichnet doch ein Grundproblem menschlichen Zusammenlebens. Der diese schlichte Wahrheit ausspricht, hat mit ebendiesem menschlichen Zusammenleben schon einige Erfahrungen gesammelt. Michel Abdollahi, geboren in Teheran und mit fünf Jahren nach Hamburg gekommen, spießt als Aktionskünstler und Reporter des NDR Kulturjournals gern gesellschaftliche Befindlichkeiten auf. So stellte er sich vor zwei Jahren mit einem Schild „Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?“ auf den Jungfernstieg.
An diesem Wochenende ist Abdollahi, in Hamburg durch seine Poetry-Slam-Reihe „Kampf der Künste“ bekannt geworden, als Moderator dabei, wenn Poetry-Slam und klassisches Konzert aufeinandertreffen. Interessante Kombi. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch in Bezug auf das Publikum. Oder, genauer, die beiden Publika, denn die Schnittmenge, mithin die Gruppe von Leuten, die sowohl zu Poetry-Slams als auch regelmäßig zu Klassikkonzerten gehen, dürfte mikroskopisch klein sein. Das fängt schon mit den unterschiedlichen Generationen an.
Das Experiment wird gewagt
Kein Grund, nicht trotzdem das Experiment zu wagen. Dieses findet statt im Rahmen eines Wochenendes, zu dem nun die Symphoniker Hamburg in die Laeiszhalle bitten. Beim „Festival des Hörens“ gibt es ein traditionelles Sinfoniekonzert, am Sonntagabend dirigiert Jeffrey Tate Bruckners Achte. Ansonsten aber nähert sich das Programm dem Phänomen des Hörens aus vielen Blickwinkeln, etwa über Klanginstallationen, Filmvorführungen und Podiumsdiskussionen – und eben über ein ungewöhnliches Konzertformat: Das Kammerorchester der Symphoniker und Poetry-Slammer, das ergibt zusammen einen „Symphonic Slam“.
Wer hört da was? Und wie bereit mögen die Angehörigen der einen Gemeinde sein, sich dem weniger Vertrauten zu öffnen? Ganz grundsätzliche Gedanken kommen einem in den Kopf: Können wir überhaupt noch zuhören? Sind nicht Hören und Zuhören notwendige Bedingungen für eine Verständigung, die Grenzen überschreitet? Die öffentliche Debatte um Integration und interkulturellen Dialog zeigt die Aktualität dieser Fragen.
Wurzeln in derselben Region
Bemerkenswert übrigens, dass Daniel Kühnel, in Jerusalem geboren und seit 2004 Intendant der Symphoniker, und Abdollahi das mit der Verständigung ausdrücklich nicht auf ihre eigene Begegnung beziehen. Der gebürtige Israeli und der gebürtige Iraner haben ihre Wurzeln in derselben Region, ihre Staaten jedoch sind verfeindet. Darüber aber möchten sie am liebsten gar nicht sprechen, es spielt für sie – als Hamburger, als Kulturschaffende – schlicht keine Rolle, als die beiden an diesem Winternachmittag auf einem Sofa in der Laeiszhalle sitzen, um über ihre Arbeit zu plaudern. Sie machen Kunst. Punkt.
Die gesellschaftliche Relevanz des Hörens hat Kühnel dabei durchaus im Blick. „Wenn 2000 Menschen in einem Konzertsaal zusammenkommen, ist das auf seine Weise politisch“, sagt er. „Nicht tagespolitisch natürlich; wir nennen es nicht Demonstration, weil es nicht auf der Straße stattfindet. Wenn diese 2000 Menschen gemeinsam etwas hören, das seinerseits das Resultat eines beständigen, intensiven Aufeinanderhörens zwischen den Musikern ist, dann ist das eine Form der Kommunikation, die sie anderswo nicht finden.“
"Es klingt pathetisch"
Es geht also nicht allein um den ästhetischen Genuss jedes Einzelnen. Es geht darum, dass eine Ansammlung von Menschen durch etwas gemeinsam Empfundenes, Erlebtes zu einer Gemeinschaft wird, und währte die Verbindung auch nur für die Dauer eines Konzertbesuchs. „Es klingt pathetisch“, sagt Kühnel. „Aber ich glaube, die Welt kann durch Musik eine bessere werden. Es gibt konkrete Hinweise darauf, warum das so sein könnte.“
Aber hat diese feine nonverbale Art der Kommunikation heutzutage noch eine Chance? Oder leben wir alle nur noch in den Sprechblasen auf den Bildschirmen unserer mobilen Geräte? Der Mensch im Krakengriff der unbegrenzten elektronischen Möglichkeiten, das ist hinlänglich beklagt worden. Viele Schüler benutzen ihr Mobiltelefon kaum noch zum Telefonieren. Das Live-Gespräch ist out, stattdessen spielen sie Pingpong mit Sprachnachrichten.
Auf der Strecke bleibt dabei womöglich das unbewusste Einschwingen, das sich in einem Gespräch einstellt, bleiben all die Farben und Zwischentöne, die bewirken, dass Menschen, die einander genau kennen, mehr voneinander wissen, als sie jemals in Worte gefasst haben. Der größte Teil des Austausches geschieht zwischen den Buchstaben. Um ihn entziffern zu können, braucht es beständige Übung.
Verblüffte Zuschauer
Aber selbst dann. Das Zuhören hat seine Grenzen und erst recht das Verstehen, Langverheiratete können manches Lamento davon singen. Machen Sie einmal die Probe darauf und setzen sich mit ihrem Gesprächspartner Rücken an Rücken. Einer bekommt ein Bild in die Hand und beschreibt dem anderen, was darauf zu sehen ist. Der Zuhörer wird verblüfft sein über die Diskrepanz zwischen dem, was er sich vorgestellt hatte, und dem, was er dann selber sieht.
Alles, was wir hören, verarbeiten wir im Rahmen unserer Vorerfahrungen. Wir verstehen nur, was wir bereits wissen. Die Unausweichlichkeit der Vorprägung ist allenfalls dadurch zu mildern, dass man sie sich bewusst macht. Immer wieder. Und da stehen wir heute gar nicht so schlecht da. Nie ist das Miteinanderreden, das Bemühen um Verstehen und Verständigung so gepflegt worden. Ein ganzer Wirtschaftszweig von Coaches und Therapeuten, Mediatoren und Moderatoren lebt davon, Ehen kitten zu helfen, aber auch Prozesse zwischen Konzernen abzuwenden oder gar Kriege. Verständigung ist eben nicht nur unter Individuen, sondern auch zwischen Kollektiven ein anspruchsvoller Vorgang.
Raus aus der Komfortzone
Wer wirklich zuhört, wer sich auf ein Gespräch einlässt, muss aus seiner Komfortzone heraus. Er könnte unangenehme Wahrheiten erfahren, oder es könnten Dinge hochkommen, die er luftdicht abgeschlossen und schön weit weg im Keller der eigenen Erinnerungen aufbewahrt hatte.
Keine Verständigung ohne Zuhören, kein Zuhören ohne Neugier – und keine Neugier ohne Risiko. Michel Abdollahi kann lebhaft über eine ganze Reihe von Musikrichtungen erzählen, die im Iran nur in der Nische stattfinden. Aber dort eine leidenschaftliche Hörerschaft haben. Hier im Westen ist es bisweilen umgekehrt, Konzertveranstalter haben immer wieder damit zu tun: Besonders gern hört man sich die Dinge an, die man schon kennt.
Leidenschaftliche Neugier auf das Fremde – das wäre doch keine schlechte Motivation für das Publikum von morgen. Ob es nun zum Konzert geht oder zum Poetry-Slam. Oder zu beidem zugleich.
Festival des Hörens 3. und 4. Dezember, jeweils 10.00–17.00 Uhr, Eintritt frei
„Symphonic Slam“ am 3. Dezember, 20.00, Karten ab 20,- Euro; 4. Symphoniekonzert am 4. Dezember, 19.00, Karten ab 9,- Euro
Alle Veranstaltungen in der Laeiszhalle, Karten unter T. 35 76 66 66