Hamburg. Die Hamburger Vollblut-Entertainerin Ina Müller hat immer was zu erzählen. Auf dem neuen Album “Ich bin die“ und im Gespräch.

Ina Müller, Norddeutschlands populärste Sängerin und TV-Schnackerin („Inas Nacht“), erlebt man selten sprachlos. Selbst wenn sie erkältungsbedingt heiser ist, weiß die in St. Georg lebende Entertainerin eine Menge zu erzählen beim Gespräch im Hotel The George. Über das neue Album „Ich bin die“, das Leben und hadern mit dem Alter (Müller ist 51) und wie es wohl gewesen wäre, wenn sie ein Kind bekommen hätte.

Das Titellied „Ich bin die“ ist ja schon fast ein akustischer Warnhinweis, der auf dem Album klebt. Sie zählen sehr viele Seiten und Eigenschaften von sich auf, nicht alle zu Ihrem Vorteil.

Ina Müller: Die Ganzen Attribute, die ich aufzähle, kommen zum Teil aus dem Internet, zum Teil aus Zeitungsüberschriften, und natürlich aus meinen eigenen Erfahrungen. Als ich das Lied fertig hatte, dachte ich: Ina, mit dir möchte ich aber auch nicht befreundet sein. Dabei ist es in seiner Pointe ein Liebeslied.

Wer Sie so nimmt, wie Sie sind, ja sogar zum Schweigen bringt, erobert Ihr Herz.

Müller: Naja, ganz so einfach ist das nicht, da muss schon noch ein bisschen was dazu kommen. Wichtig ist, sich selber nicht zu ernst zu nehmen. Mir ist schon klar, dass ich nicht bei jedem gut ankomme, versuche mich aber davor zu schützen. Die Überschriften und Netz-Kommentare habe ich heraussuchen lassen, weil ich selber nicht in der Lage bin, das durchzustehen: Wie schrecklich jemand die Sendung findet, oder wie hässlich die Bluse wieder aussieht, oder wie das Haar wieder sitzt.

Banalitäten wie Ihre Outfits sorgen für bösartige Kritik?

Müller: Wenn du als Frau im Fernsehen moderierst, musst du dich jedes Mal wieder für irgendetwas entscheiden. Klamotten, Make-up, Frisur, wo gibt es den geringsten Shit-Storm. Wenn dieser ganze Beautymist nicht wäre, dann wäre ich ein noch glücklicherer Mensch, der seine Zeit noch sinnvoller nutzen könnte. Da habt ihr Jungs es wirklich gut. Ihr könnt in eure immer gleich aussehenden Anzüge steigen, grau, braun anthrazit, macht immer`n schlanken Fuß, Kamera läuft. Für euch gibt es dafür diesen demütigenden Moment an der Sicherheitskontrolle am Flughafen, wenn Sakko, Schuhe und Gürtel fallen. Ausgleichende Gerechtigkeit.

Bleiben wir bei Rollenklischees: Ihr Freund Johannes Oerding komponierte mit Ihnen die Lieder für „Ich bin die“ in ihrer Küche. Sie holten also die verbrannte Pizza aus dem Ofen und er klimperte auf der Gitarre?

Müller: Unverschämt! Also echt unverschämt! Wir treffen uns nicht zufällig am Küchentisch, wir haben einen Termin und treffen uns um 4 Uhr nachmittags oder 4 Uhr nachts. Dort ist ein kleines Studio aufgebaut mit Keyboard, Computer, Boxen und Mikrofonen. Und dann sitzen wir da, ich singe etwas an, mein Freund behauptet, man kann nicht Melodien nachspielen, die ich vorsinge. Doch, das kann man ja wohl! Dann wird diskutiert, verworfen, sich gefreut. Und wenn überhaupt irgendeine Form von Essen auf den Tisch kommt, dann wird etwas bestellt. Und wenn ich erzähle, das Lied haben wir zusammen geschrieben, dann haben wir das auch. Ich mache nicht für ihn die Pizza, und trage mich dafür zur Hälfte bei der GEMA ein.

Sie sind beide Vollprofis, so auch ihr Texter Frank Ramond. Jeder hat seine Meinung. Machen Sie auch mal Kompromisse?

Müller: Nein, eigentlich nie. Wenn mir etwas nicht gefällt, dann wird es auch nicht genommen. Es ist ja mein Album. Da kann ich ja keine Kompromisse machen, den anderen zuliebe.

Gibt es eigentlich eine Wette zwischen Ihnen und Oerding, wer es zuerst an die Chartsspitze schafft? Sie scheiterten beide bislang immer nur knapp.

Müller: Naja, was Sie so scheitern nennen. Aber ich kann Sie beruhigen, man baut keine Rivalität zu einem Menschen auf, mit dem man zusammen ist. Also das würde ja fast ans Perverse grenzen. Und da ich schon länger aktiv bin, befinden wir uns eh auf unterschiedlichen Zeitebenen.

Wie hat sich Ihr Ego entwickelt? Zum Besseren durch Altersweisheit oder zum Schlechteren durch Ihre Popularität?

Müller: Huch, das ist ja fast philosophisch. Ich kenne ja nur diese eine Seite, also die, auf der ich jetzt stehe. Ich weiß nicht wie ich heute drauf wäre, wäre ich in der Apotheke geblieben. Um altersweise zu sein fehlen mir aber wohl noch ein paar Jahre. Auf jeden Fall musste ich mich nie für irgendwas, oder irgendjemanden verbiegen. Gefühlt habe ich alles richtig gemacht.

Es gibt keinen Punkt in Ihrer Karriere, wo sie sich denken: Das war jetzt keine gute Idee? Nie falsch abgebogen?

Müller: Nein. Weil ich viele Anfragen gleich abgelehnt habe, und ich habe musikalisch auch nie komplett die Richtung geändert. Ich mache Liedermacher-Kabarett-Pop, und doch auch nicht. Es ist nicht ganz so liedermacherig wie Reinhard Mey, und nicht so poppig wie Ich+Ich, und für Kabarett nicht ruppig und politisch genug. Für reinen Pop ist es nicht populär genug. Mir ist wichtig, dass ich keinem Trend hinterherjage, meine Musik ist zeitlos. Ich will das auch in fünf Jahren noch gern hören.

Nicht ganz zeitlos sind ja unsere Körper. So wie im Lied „Immer eine mehr wie Du“.

Müller: Ja, wenn sich Leute ab 40 an einen Tisch setzen, geht es nur noch um Krankheiten. Bandscheiben, lasern lassen, alle haben Knie. Mein großes Idol Rocko Schamoni sagt in meiner Sendung: „ich darf kein Bier mehr, ich habe Reflux.“ Da brach eine erotische Welt in mir zusammen. Dabei fühle ich mich ja gar nicht alt, nur weil ich über 50 bin. Nur etwas älter.

Nur weniger jung.

Müller: Früher tauschte man seine Telefonnummern, heute tauscht man seine Ärztenummern.

Bei ihren Shows erzählen Sie auch viel von den Nachteilen des Älterwerdens. Aber irgendwas muss doch auch toll sein am Älterwerden.

Müller: Leute, ab Mitte 40 passiert ja was mit einem. Mein Körper ist nicht mehr unendlich leistungsfähig. Ich mache jetzt manchmal Mittagsschlaf. Das kenne ich nur von meinem Opa. Ich kann nicht mehr 12 Stunden durchdonnern.

Es heißt aber auch, dass Frauen so ab Mitte 40 ihr sexuelles Hoch erreichen.

Müller: Ja, das stimmt allerdings. Das nimmt enorm zu mit Mitte 40, diese unendliche Potenz. Das stört mich extrem, aber das kriege ich auch noch in den Griff.

Das Lied „Wie Du wohl wärst“ ist offensichtlich ein Gedankenspiel, wie wohl das Kind heute wäre, das sie nie bekommen haben. Das wird viele Menschen zu unglaublichen Spekulationen anregen.

Müller: Ich besinge einen Moment, den doch viele kinderlose Frauen in meinem Alter kennen. Natürlich bekommt speziell dieser Song viel Aufmerksamkeit, aber ich möchte auch keine Betroffenheit. Ich hatte nie die Sehnsucht, Kinder zu bekommen. Ich bin aber von vielen Frauen umgeben, bei denen hinter der Kinderlosigkeit auch ein Schicksal steckt. Kindstod, Fehlgeburt, Abtreibung, wahnsinnige Tabuthemen. Ich hoffe umso mehr, dass ich diese Frage, diesen Moment des „was wäre wenn“ nicht kitschig, aber intensiv beschreiben konnte.

Man sieht schon die Schmierblätter vor sich: „Ina Müller: Ihr unerfüllter Kinderwunsch“, „Schock: Hat Ina Müller abgetrieben?“ oder so etwas.

Müller: Ach, so etwas denken die sich auch ohne dieses Lied aus. Aber ansonsten freut es mich, dass man durch dieses Lied mal ein bisschen zum Nachdenken anregt. Ich frage mich, warum das immer noch so ein Tabuthema ist, wo doch jede fünfte Frau abtreibt. Wenn das Lied nur eine kleine Diskussionsanregung zu dem Thema gibt, finde ich das schon ganz schön, dann kann das ein bisschen was bewegen.

Kann Musik das? Pop-Hits haben oft nicht viel zu erzählen.

Müller: Ich bin vielleicht nicht die modernste Sängerin. Ich lebe auch gerne damit, dass ich nicht im Formatradio gespielt werde, weil es dafür angeblich zu thematisch ist. Aber ich möchte dann doch darauf bestehen, dass die Inhalte auf jeden Fall klar eine Geschichte erzählen. Und die normalen Pop-Songs, die ich so im Radio höre, die sind manchmal wirklich schmerzhaft seicht. Gerade heutzutage, wo Musik so inflationär geworden ist und es in Hamburg mehr Musiker als gute Handwerker gibt. Jeder will Musik machen, aber wissen Sie, wie viele Menschen einem hier noch das Klo reparieren?

Vernünftig? Keiner.

Müller: Siehste, am Ende, wenn wir alle um die 80 sind, kann ganz Hamburg super singen, aber keiner liefert dir mehr einen Herd nach Hause.

Ein Grund mehr, Essen zu bestellen.

Genau, dann aber auf Rädern.

Ina Müller: „Ich bin die“ Album (Columbia/Sony) im Handel; Konzert: Sa 1.4.17, 20.00, Barclaycard Arena (S Stellingen + Bus 380), Sylvesterallee 10, Karten ab 45,- unter der Abendblatt-Ticket-Hotline 30 30 98 98 und in der HA-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32, www.inamueller.de