Hamburg. Unter dem Titel „Der große Zeitvertreib“ zeigt das Barlach-Haus satirisch-bissige Arbeiten von George Grosz.

Selten waren die 100 Jahre alten Werke des Künstlers George Grosz so brisant wie heute, da ein amerikanischer Präsidentschafts-kandidat damit konfrontiert wird, wie er öffentlich geprahlt hat, dass er Frauen einfach mal so zwischen die Beine fassen könne, und ein deutscher Fernsehmacher vor Gericht sein Verständnis von Satire verteidigen muss. Ähnlich direkt und maximal respektlos wie Jan Böhmermann hat der Zeichner George Grosz (1893–1959) mit seinem Stift gefochten und über diesen Weg die Menschenverachtung seiner Zeit angeprangert. 90 bedeutende Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken von ihm sind nun im Barlach-Haus ausgestellt, Tite der Schaul: „Der große Zeitvertreib“.

Hamburg sei, was das Ausstellen von Dada-Kunst und Neuer Sachlichkeit angehe, „noch etwas unterernährt“, meint Kurator und Direktor Karsten Müller. Und so lag es für ihn nahe, die Bestände des Düsseldorfer Kunstpalastes und einer Privatsammlung zu einem Grosz-Panoptikum zusammenzufügen. Das Stilmittel der Satire benutzte der Künstler, um der verrohten (spieß-)bürgerlichen Gesellschaft der Weimarer Republik aufs Schärfste und Böseste den Spiegel vorzuhalten. Und Dutzende Male wird darin den Frauen in den Schritt gefasst.

Armut und Elend nicht ausgeblendet

Die Hauskünstler Ernst Barlach und George Grosz diesmal als zwei sehr gegensätzliche Positionen komplett auseinanderzuhalten, ist sinnvoll. Dennoch hat Karsten Müller verschiedene Barlach-Skulpturen auf der übrigen Fläche des Hauses gruppiert. Bettlerinnen oder Menschen von der Straße etwa, denn weder Grosz noch Barlach haben Armut und Elend ausgeblendet, im Gegenteil.

Die erste Wand ist mit frühen Grosz-Arbeiten bestückt, Zeichnungen aus Kaffeehäusern, Cabarets, Kneipen und Hinterhöfen. Auffallend ist das pointierte Aquarell eines rauchenden Trinkers mit grün-gelblichem Gesicht, marmoriertem Auge und einer in bunte Facetten zersprungenen Welt um ihn sie wurde typisch für Grosz. Um die Ecke herum folgen lebendige, dynamische Straßenszenen, spontan mit Buntstiften gezeichnete Menschen, Autos, Straßenbahnen im Strom der pulsierenden Großstadt – so erlebte der Künstler die Gleichzeitigkeit jeglicher Bewegung zwischen den Häuserfassaden, die alsbald kubistisch zu wanken scheinen.

Hass auf Spießbürgertum und Doppelmoral

Schon 1915/16 entwickelte Grosz den neu-sachlichen Stil, einzelne Linien zog er mit dem Lineal, im Übrigen scheute er oft den durchgezogenen Strich. Auch die metaphysische Malerei der Futuristen um Giorgio de Chirico hat George Grosz vereinzelt inspiriert. Seine schablonenhaft ins Bild gesetzten Figuren laufen beziehungslos aneinander vorbei. Im Wesentlichen fand er: „Zeichnen hat wieder einem sozialen Zweck sich unterzuordnen ... Gegen das brutale Mittelalter und die Dummheit der Menschen unserer Zeit kann die Zeichenkunst eine Waffe sein – vorausgesetzt, daß ein klarer Wille und eine geschulte Hand sie ausübt.“ Für seine Mappe „Gott mit uns“ (1919), in der er Soldaten Schweinsköpfe aufsetzte, wurde er gerichtlich belangt, auch sieht man feiste, machtbewusste, stumpfsinnig blickende Männer mit Dienstmützen, die ein paar wehrlose Kommunisten ­erschießen.

Sein Hass auf Spießbürgertum, Doppelmoral und Ungerechtigkeit schwoll an. Alsbald interessierte sich Grosz für alle, die am Rand der Gesellschaft vegetierten: Verbrecher, Kleinkriminelle, Lügner, Raufbolde und dumpf-brutale Kerle, die die stets halb oder ganz entblößten Frauen ermorden, verprügeln oder gierig vergewaltigen. Weills und Brechts Moritat „Mackie Messer“ schwirrt einem derweil beim Betrachten im Hinterkopf herum.

Wie ein Abgesang auf die sieben Todsünden breitet sich sein groteskes Mappenwerk „Ecce Homo“ in 84 teils farbigen Blättern über eine große Wand aus. Für „Ecce Homo“ wurde Grosz 1924 wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften angeklagt, dieser und weitere Prozesse zogen sich bis 1931. Grosz ­verteidigte sich gegen die Vorwürfe: Sein Werk sei „ein Dokument jener Inflationszeit (...) es ist in seiner Wirkung so brutal wie die Zeit, die es mir eingab.“ In mancher Hinsicht hat sich wenig ­geändert.

George Grosz: „Der große Zeitvertreib“
bis 15.1.2017, Ernst Barlach Haus (S Klein
Flottbek), Baron-Voght-Str. 50a, Di–So,
11.00–18.00, Eintritt 7,-/erm. 5,-