Hamburg. Deichtorhallen: Die Ausstellung VisualLeader zeigt alle Preisträger der LeadAwards. Es gibt überraschende Trends in der Fotografie.

Die Welt, wie sie ist, wie sie scheint, wie sie sein könnte − das zeigt die Ausstellung VisualLeader. Auch in diesem Jahr werden im Haus der Photographie der Deichtorhallen von diesem Freitagabend an sämtliche Nominierte der LeadAwards gezeigt: Fotoserien, Magazinstrecken, Zeitungsbeiträge und Werbekampagnen sind zu sehen – das Beste, was in den letzten zwölf Monaten in Deutschland publiziert wurde. Insgesamt werden rund 280 verschiedene Arbeiten der deutschen Kreativ- und Medienszene präsentiert. Auch das Abendblatt ist in der Kategorie „Zeitung“ nominiert.

Sachliches steht neben Opulentem, bunte Bildstrecken neben Schwarz-Weiß-Kunst, überdimensionierte Porträts neben flüchtigen Momentaufnahmen. Ein Schwerpunkt liegt auf eindrucksvollen, oft in Schwarz-Weiß gehaltenen Fotoreportagen aus den Krisengebieten der Welt: aus Syrien, dem Irak, der Türkei oder der Ostukraine. Bilder von Flüchtlingen auf der Balkan- oder Mittelmeerroute geben einen hochemotionalen Eindruck von der Völkerwanderung, die Europa und die Welt in Atem hält. Fotos aus den USA berichten vom Wiederaufkeimen des Rassenkonflikts, unter schwierigsten Umständen entstandene Aufnahmen aus Afrika und dem arabischen Raum führen uns soziale Verwerfungen und Gewalt vor Augen.

Viele Fotografien behandeln private Schicksale

„In der Reportagefotografie gibt es deutlich mehr Fotostrecken, die sich mit konkreten Ereignissen in der Welt auseinandersetzen“, sagt der LeadAcademy-Vorsitzende Markus Peichl. Die Gegenwart mit ihren politischen Umbrüchen und Krisen stelle eine „ganz große Herausforderung an den zeitgenössischen Bildjournalismus dar“, so Peichl weiter. Galt die klassische Reportage-Fotografie vor einigen Jahren als beinahe ausgestorben, erlebt sie in letzter Zeit ein eindrucksvolles Comeback. Die VisualLeaders-Ausstellung macht deutlich: Die Reportage-Fotografie ist aus den Medien kaum mehr wegzudenken. „Die Reportage-Fotografen haben ihr Handwerk nicht verlernt. Sie gehen dorthin, wo es wehtut. Sie führen uns die Dinge vor Augen, die wir sonst gerne verdrängen“, beschreibt es Peichl.

Privates: Neue Strömung im Fotojournalismus

Die zweite auffällige Strömung im Fotojournalismus weist in eine gänzlich andere Richtung: Es sind private Bilder, individuelle Schicksale, die sich in den Arbeiten vermehrt niederschlagen. Ein Fotograf dokumentiert das Leben der eigenen Großmutter – und liefert ein berührendes Bild über das Altwerden in unserer Gesellschaft ab. Eine Fotografin begleitet mit der Kamera das Sterben der eigenen Eltern, die innerhalb weniger Wochen beide eine Krebsdiagnose erhielten. Weiter sind da die Dokumentation von Exzessen einer Jugendclique im Pubertätstaumel und die Aufnahmen einer leicht bizarren Dreiecksbeziehung in einem Altersheim. „Dieser Trend in der Fotografie bildet zwei wesentliche Entwicklungen unserer Gesellschaft ab: einerseits die Massengewalt, die Flüchtlingsströme, die Kriege. Auf der anderen der Rückzug in die Innerlichkeit, ins Private“, sagt Peichl.

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Leichtigkeit und Originalität, purer Spaß und reines Vergnügen, all das, was bis vor drei, vier Jahren die Preisträger der LeadAwards ausgemacht hat, scheint größtenteils aus den Magazinen und Zeitungen gewichen. Stattdessen findet man überall Sujets und Herangehensweisen, in denen Bedeutung und Schwere mitschwingt. Das betrifft selbst Kategorien wie die Modefotografie oder die Werbung. „War Ästhetik viele Jahre die künstlerische Triebfeder, fokussiert sich die Fotografie heute wieder verstärkt auf Inhalte. Der ästhetische Anspruch ist nicht komplett verschwunden, aber der thematische Anspruch ist klar in den Vordergrund gerückt. Das ist ein Paradigmenwechsel“, sagt der LeadAcademy-Vorsitzende.

Die künstlerischen Arbeiten nehmen deutlich zu

Ebenfalls bemerkenswert in diesem Ausstellungsjahr: die Vielzahl künstlerischer Arbeiten, die in deutschen Medien einen immer breiteren Raum einnehmen. „Als könnte nur noch die Kunst uns vor dem zunehmenden Irrsinn der Welt retten“, beschreibt Peichl diesen Trend. Zu sehen ist unter anderem eine Arbeit des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan, der zusammen mit Pierpaolo Ferrari eigens für die VisualLeader-Ausstellung eine ganze Wand in den Deichtorhallen gestaltet hat. Oder eine Installation mit großformatigen Porträts des amerikanischen Fotografen Bruce Gilden.

Einst berühmt für seine Straßenfotografie in schwarz-weiß, hat sich Gilden zuletzt verstärkt der digitalen, farbigen Fotografie zugewandt, konzentriert sich auf die Ästhetisierung der Hässlichkeit. Nikos Pilos legt ein beeindruckendes fotografisches Flüchtlingsepos vor. Über zehn Monate hat er Flüchtlingsströme von Syrien und Afghanistan begleitet. Er hat die Wunden dokumentiert, die sich die Menschen an Stacheldrähten zugezogen haben, den stummen Schmerz auf ihren Gesichtern festgehalten.

Die neue Ernsthaftigkeit, sie ist nicht zu übersehen. „Man kann den Magazinen und Zeitungen viel vorwerfen, aber eines bestimmt nicht: dass sie wegschauen“, sagt Markus Peichl.

Ausstellung VisualLeader: Eröffnung an diesem Freitag um 19 Uhr im Haus der Photographie. Es sprechen Markus Peichl (Vorsitzender LeadAcademy für Medien) und Ingo Taubhorn (Kurator Haus der Photographie).

Vom 26. August bis 30. September können Besucher der Ausstellung die Arbeiten der Hauptkategorie Fotografie vor Ort bewerten. Leser können auch auf www.abendblatt.de über den Publikumspreis abstimmen. Sämtliche Gewinner werden bei der Verleihung der LeadAwards am 10. Oktober prämiert und sind noch bis einschließlich 30. Oktober in den Deichtorhallen zu sehen.