Er gehörte untrennbar zur Buchhandlung Felix Jud. Nun ist Wilfried Weber gestorben. Ein Nachruf von Klaus von Dohnanyi.

Sonntagnacht starb völlig überraschend der Buchhändler Wilfried Weber im Alter von 76 Jahren. An dieser Stelle erinnert sich der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi an seinen Weggefährten, mit dem ihn 35 Jahre an gemeinsamer Geschichte verbinden.

Man sollte in der Stadt, in der man lebt, immer einen Ort kulturellen Vertrauens haben: eine Buchhandlung mit einem belesenen Buchhändler. Als ich 1981, nach langer Zeit und weiten Wegen, in meine Vaterstadt Hamburg zurückkehrte, wurde dieser geistige Ruheraum für mich ganz selbstverständlich die Buchhandlung Felix Jud. Erst war es der eindrucksvolle Senior Felix Jud und dann sein junger Partner und späterer Nachfolger Wilfried Weber.

Natürlich kannte ich die legendäre Buchhandlung schon von früheren Aufenthalten in Hamburg. Aber als ich nun, nur wenige Schritte von den Alsterarkaden und dem Neuen Wall entfernt, meinen Arbeitsplatz im Rathaus hatte, war die Versuchung groß, mittags einige Momente ruhiger bürgerlicher Besinnung bei Wilfried Weber zu verbringen. Er hatte ohnehin den besten grünen Tee in der Stadt, und im ersten Stock, umgeben von seinem wertvollen Antiquariat, begann eine ungewöhnliche Freundschaft, die sich bald sogar zu einer kulturpolitischen Arbeitsgemeinschaft entwickelte.

Wilfried Weber, der uns nun so traurig zurückgelassen hat, war von jener immer seltener werdenden Art der Buchhändler: Er hatte gelesen, wovon er sprach, und verkaufte am liebsten, was er selber gern behalten hätte, besonders die Erstausgaben oder schönen Sonderausgaben, die ich ihm aus den sorgfältig verschlossenen Regalen entzog; Börne, Platen, Mörike, Conrad Ferdinand Meyer; und natürlich immer wieder Musil.

Literarisch waren wir nicht immer einer Meinung. Er hatte einen viel differenzierteren und moderneren Geschmack, und so habe ich von ihm gelernt zu lesen und zu bewundern, was sich mir zunächst nicht erschließen wollte. Bald stellten wir auch fest, dass unsere gemeinsame Stadt einer kulturellen Belebung bedurfte. Ich hatte in München, in Köln und in Bonn gelebt und beobachten können, wie zum Beispiel in Köln der Kulturdezernent Hackenberg eine ganze neue Museumslandschaft entstehen ließ; wie in München auf altem, fruchtbarem Kulturboden die großen Sammlungen neue Behausungen fanden, und so wollten wir dem kühlen Nordwind nun einen Hauch literarischer Wärme entgegenblasen. Es entstand die Idee des Literaturhauses auch in diesen Teegesprächen. Zunächst dachten wir an eine Art Club, und dann, an den Vorbildern anderer Städte orientiert, wurde es das Literaturhaus am Schwanenwik.

Hilde von Lang brachte uns in kaum 24 Stunden die großzügige Finanzierungszusage von Gerd Bucerius, und Wilfried Weber scheute keine Mühe, nun als Kulturmanager und Vorsitzender des Vereins sein Konzept umzusetzen. Auch seine sehr persönliche Zuwendung habe ich in dankbarer Erinnerung. Wie oft haben er und seine Kolleginnen und Kollegen in der Buchhandlung sich mit großer Mühe der Erinnerung an meinen Vater und den Bruder meiner Mutter, Dietrich Bonhoeffer, gewidmet. Und wie oft gab er mir Gelegenheit, eigene Bücher vorzustellen oder Gespräche über neue Bücher zu moderieren. Besonders die Stunden mit Fritz Stern oder Louis ­Begley sind mir unvergesslich.

Klaus von
Dohnanyi war
von 1981 bis 1988
Hamburgs Erster
Bürgermeister
Klaus von Dohnanyi war von 1981 bis 1988 Hamburgs Erster Bürgermeister © dpa | Stefan Hesse/Markus Beck

Überhaupt: seine unternehmerischen Fähigkeiten! Als wir über neue Wege größerer literarischer Veranstaltungen nachdachten, erfanden wir die Serie „Poesie im Rathaus“: große Lesungen im Festsaal, ein Erlebnis für viele Hamburger, die erst auf diese Weise ihr Rathaus von innen erleben konnten; geringe Eintrittskosten, Rotwein und Brezeln inklusive. Immer ausverkauft. Organisator: Wilfried Weber. Schade, dass seither niemand diesen Weg weitergehen konnte oder wollte.

Als sich das Buchgeschäft verlangsamte, wurden für das Haus Felix Jud der Kunsthandel und das Antiquariat wichtig. Und wieder: Initiator und Manager Wilfried Weber. Der Kunsthandel öffnete die Buchhandlung auch für bildende Künstler der Gegenwart. Hier wirkte seine Frau Helga Maria Weber in besonderer Weise, sie hat viele Bilder mit sehr schönen Rahmen ausgestattet. Wir trauern mit ihr um ihren ungewöhnlich liebenswerten Mann. Als ich Wilfried Weber erst kürzlich in der Buchhandlung traf und wir über die schwierige Entwicklung von E-Book, Online-Handel und wachsender Lesefaulheit sprachen, war er doch voller Zuversicht für sein Haus: Der Dreiklang aus Büchern, Kunsthandel und Antiquariat werde „Felix Jud“ auch diese Krise überstehen lassen.

Und das können wir hoffen, denn Wilfried Weber hat ein großartiges Team in der Buchhandlung versammelt. Die Buchhandlung Felix Jud ist im Übrigen auch Mitglied der exklusiven Vereinigung ganz besonderer deutschsprachiger Buchhandlungen, der „5Plus“. Hier, mit dieser Kooperation, hat sich Wilfried Weber nicht nur als Unternehmer bewährt, er hat auch eine Zukunftsfährte für den Buchhandel skizziert.

„Felix Jud“ wird Bestand haben – aber wir müssen auch hingehen. So können wir am herzlichsten Wilfried Webers gedenken und sein Werk bewahren: Online ist nämlich kein Gesprächspartner!