Wacken. Der Wahnsinn hat begonnen: Wacken 2016 startet mit “Wackeeeeen!“-“Schnauze!“-Dialogen – und dem Abendblatt-Blog.
Ja, wie ist es nur möglich? Wieder ein Jahr vorbei – und der Wahnsinn des Festivals von Wacken beginnt von vorne. Myriaden von Metal-Fans strömen in die norddeutsche Provinz. 74.999 sind es genau genommen bei Wacken 2016, die dabei sind plus ein wackerer Abendblatt-Reporter, der es besonders genau nimmt: Alexander Josefowicz, der Josi. Er beobachtet, bewertet und besingt an dieser Stelle jeden Tag mehrfach aktualisiert die Musik, die Menschen, den Metal. Los geht's.
Wacken-Blog des Abendblatts
Je später der Abend, desto "Wer sind Sie?"
Auch und gerade, wenn man sich inzwischen häuslich eingerichtet hat, sollte man bedenken, dass offizieller Festivalbeginn erst am Donnerstag ist. Will sagen, es kommen immer noch Menschen an. Man mag es kaum glauben, wenn man sich umsieht, über das Gelände stromert oder Tarja Turunen bei ihrem exklusiven Auftritt in der Wackener Dorfkirche zuhört. Immerhin ist eigentlich überall alles voller Leute.
Und trotz des riesigen Areals von mehr als 220 Hektar (bummelig) wird es langsam eng. Wer spät kommt, braucht entweder gute Freunde, die einem ein wenig Platz freihalten. Oder eine gehörige Portion Dreistigkeit. Denn wenn die Freunde gerade mal für ein Stündchen nicht da sind, erwartet sie unter Umständen eine Überraschung: ein Sechs-Mann-Zelt und zwei Autos zum Beispiel, die einen zwar freundlich, aber auch auf Sächsisch und mit den Leinen ziemlich genau im Zelteingang eines unserer wackeren Wacken-Streiter begrüßen.
Die waren vorhin noch nicht hier, da sind wir uns sehr sicher. Daran könnten wir uns erinnern. Dabei waren wir nur kurz weg, auf der Suche nach Entertainment und solchen Sachen. Schließlich hat der Regen aufgehört und scheint sich auch nicht anzuschicken, einen weiteren Auftritt hinzulegen. Na ja, irgendwie werden wir unsere Nachzügler noch unterbekommen. Aber eins ist sicher: Bis nicht alle da sind, lassen wir unser Camp nicht mehr alleine. Da könnte ja jeder kommen. Im Wortsinn.
Das Schuhwerk tut seinen Dienst
Thema des Tages bleibt die Meteorologie: Kaum hat man beschlossen, dem Wetterbericht Glauben zu schenken und sich aufzumachen gen lauter Musik, fängt es auch schon wieder an zu regnen. Nun gut, man ist ja nicht aus Zucker, tourt also doch ein wenig übers Gelände. Dort gibt es die unterschiedlichsten Schuhmoden zu bestaunen, von Wathose bis Leinensneakers; der allgemeine Konsens scheinen aber - wie immer - schwere Stiefel zu sein. Auch bei uns, übrigens.
Das Schuhwerk tut seinen Dienst, von der Mittelalter-Bühne mit Versengold bis hin zum Wacken-Faktotum Mambo Kurt und seinen Heimorgelinterpretationen diverser Klassiker. Das Wort "Klassiker" sollte dabei nicht zu eng verstanden werden: Wenn die Chance besteht, dass mehr als ein Drittel vor der Bühne den Song kennen, den der Mann im Polyester-Anzug anstimmt, wird er ihn spielen, ganz gleich, ob "Bomb Track" von Rage Against the Machine, "Maria... I Like it Loud" von Scooter oder sonstwas. Mambos Publikum weiß, was es hören will, Mambo weiß, was er spielen soll, alle sind laut und glücklich in der kurzen Regenpause.
Danach... Nun, wir stehen hoch und trocknen, das aber bedurfte einiger Wegstrecke. Dem allgemeinen Optimismus, dass es bestimmt bald stabil besser werden wird, tut das aber keinen Abbruch. Immerhin sind wir von den Wolkenbruch- und Matschjahren '12 und '15 noch meilenweit entfernt. Noch.
Sprechen Sie mir nach: Hteththemeth
Erfolgserlebnisse an Wackenmorgen 0 (immerhin beginnt das Festival eigentlich erst morgen, auch wenn die Ersten bereits am Montag aufgebaut haben): Die Bialetti funktioniert. Und der Regen, der von unserer eher schlecht als recht zwischen den Autos gespannten Plane abläuft, trifft zielgenau das Geschirr von gestern Abend. Dafür verweigert die gestern noch als Nonplusultra gelobte Anschaffung eines Solarladegeräts die Tätigkeit. Nun gut, bei vollständig wolkenverhangenem Himmel, aus dem es zudem ausführlich tropft, verwundert das nur bedingt.
Freuen über die Sonne in Tropfenform dürften sich allerdings die Nachwuchsbands des Metal Battles, die gerade ihr Equipment in die Shuttles verladen: Sie spielen auf den überdachten Bühnen im Zelt. Und die werden sicherlich gut besucht sein, auch wenn man keine Ahnung hat, wer Hteththemeth (wie man die Rumänen wohl ausspricht?), Profaner oder Preternatural sind. Ein weiterer Wetterklassiker: Just in dem Moment, als man frisch geduscht und mit neuem (Metal-) T-Shirt versehen aufbrechen möchte, besinnt sich der Regen seines Auftrags und fällt mit erneuerter Motivation. Diese wiederum senkt auf unserer Seite das allgemeine Bestreben danach, die Teile des Holy Wacken Land zu erkunden, die zum einen geöffnet und zum anderen nicht überdacht sind.
Wackeeeeeeen! – Schnauze!
Immerhin hört man von unserem Campingplatz aus nicht nur Generatorgeratter und vereinzelte "Wackeeeeen!" "Schnauze!"-Dialoge, sondern auch Sunless Dawn aus Dänemark, die gerade im Zelt ohrenscheinlich alles geben. Wir warten trotzdem noch mal ein paar Minuten ab. Schließlich hat mindestens ein Wetter-App-Orakel behauptet, dass der Regen Schlag 14 Uhr aufhören soll. Wir sind gespannt. Und vertreiben uns die Zeit mit Regen-Abwasch und Nahrungsaufnahme (fest und flüssig). Rain or shine klingt halt nur 51 Wochen lang wie ein toller Schlachtruf. Wenn man dann tatsächlich im Einen steht, wünscht man sich sehnlichst das Andere herbei.
Lesen Sie hier die Wacken-Hinweise von Tino Lange:
Vielleicht kommen Sie heute zufällig mit Reisenden bei einer Dose Bier ins Gespräch? Dann haben wir hier einige Konversations- und Orientierungshilfen, die wirklich Heavy Metal sind, basierend auf 18 Jahren Wacken-Erfahrung des Autoren und garantiert frei von jeglichen Klischees. Na, ja.
„Freu dich, du bist in Wacken“
Schon auf der Autobahn empfängt einen das Schild mit dem freundlichen Gruß „Freu dich, du bist in Wacken.“ Und dieser Spruch ist mehr als eine Erleichterung nach überstandenen Staus und 23 Pinkelpausen (durstige Beifahrer) zwischen Hannover und Itzehoe. Vielmehr ist er der Universalspruch für jede Lebenslage auf dem Festival und nicht nur dort.
Der Schlamm suppt knietief nach Dauerregen? „Freu dich, du bist in Wacken.“ Die Sonne brennt auf das schwarze Bandshirt und die Schnürlederhose? „Freu dich, du bist in Wacken.“ Das Bier ist alle? „Freu dich, du bist in Wacken.“ Man hat sich zwischen eine „Wall of Death“, sprich zwei aufeinander zustürmende Schlachtreihen von 120 Kilo schweren Metalbären verirrt? „Freu dich, du bist in Wa...“
W.O.A. 2016
Das Kürzel für „Wacken Open Air“. Es wird besonders am Mittwoch und am Sonntag die Heckscheiben auf norddeutschen Autobahnen dominieren, bevorzugt selbst geklebt mit weißem, gelbem, grauem und natürlich auch gern schwarzem Klebeband. So kann man Gleichgesinnte schnell erkennen, sie beim Überholen mit dem Metallergruß beglücken und es auch der Polizei einfacher machen bei der Auswahl vor der Alkoholkontrolle. Und sollte der Heckscheiben-Schriftzug schwer zu entziffern sein, hat das Klebeband nicht gut gehalten – oder es ist das von garstiger Dämonenhand gekritzelte, unleserliche Bandlogo einer Black-Metal-Truppe, die dieses Jahr in Wacken auftritt. Marduk vielleicht. Oder Tsjuder. Oder Borknagar. Für das ungeübte Auge sehen die alle gleich aus.
„Kutte“
Sie ist wieder da. Eigentlich war sie nie weg. Aber die Renaissance der Jeansweste voller Bandaufnäher ist offensichtlich. Sie zeigt an, auf welche Gruppen und Genres der Besitzer steht, und folgt den üblichen Gesetzen von Sammlerstücken: Je älter oder seltener ein Aufnäher, desto besser. Je ungewaschener und dennoch (!) ausgeblichener die Weste, desto Heavy Metal. Nieten, umgebogene Kronkorken an den Säumen, aufgenähte Festivalbändchen und Autogramme der Lieblingsbands runden eine … ähem ... waschechte Kutte ab. So lädt die Kutte zum gegenseitigen Fachsimpeln ein – oder zum Debattieren. An der Frage, ob blauer oder schwarzer Stoff, Jeans oder Leder, handgenäht oder maschinell, zerbrechen Freundschaften.
Wacken Open Air 2016: Hier geht's zur Homepage des Festivals
„Heavy Metal“
Was Heavy Metal ist und was nicht, liegt im Auge des Betrachters. Duschen, Gummistiefel, weiße T-Shirts, selbst vierlagiges Klopapier sind für manchen Wacken-Besucher mittlerweile durchaus Heavy Metal. Nur Heavy Metal ist nicht mehr Heavy Metal, dafür verästelt sich das Obergenre in Dutzende Untersparten von Drone über Djent bis zu Goregrind. Fragen Sie gar nicht erst nach Unterschieden, denken Sie sich einfach eine Fantasiesparte wie Symphonic Mathcore aus: Sie werden in Wacken garantiert jemanden finden, der sagt: „Joah, Symphonic Mathcore hör ich auch, besonders die neue Morgomorph, Mörderplatte.“
„Bier“
Klar, man könnte auch vier Tage lang Apfelschorle trinken oder Orangenbrause oder Wurstwasser (alles schon gesehen). Aber Bier ist Heavy Metal. Es ist die Basis spontaner Freundschaften, ersetzt drei Mahlzeiten, sichert das Überleben beim halbstündigen Fußmarsch zwischen Zelt und Bühnengelände und schmeckt sogar kalt! Wer keinen Kühlschrank oder eine Zapfanlage nebst Benzingenerator im Gepäck unterkriegt, greift übrigens gern auf eine Kiste Trockeneis zurück. Der Bedarf ist so hoch, dass Anbieter wie der „Trockeneis-Shop“ in Stellingen vor Wacken ihre Kapazitäten erhöhen.
Airport Hamburg: Voll auf Wacken 2016 eingestellt
„Andere Festivals“
Der harte Festival-Kalender ist nicht nur in Deutschland, sondern europaweit prall gefüllt. Es mangelt also nicht an Alternativen wie Party.San, Summer Breeze, Bloodstock, Bang Your Head, Rockharz, Brutal Assault oder With Full Force. Nicht zu vergessen Elbriot in Hamburg, das am 19. und 20. August mit Sabaton, Slayer und zehn weiteren Bands über den Großmarkt fegt. Das spektakulärste Metal-Open-Air mit den fantastischsten Bands bis ins Kleingedruckte des Programms ist übrigens das Hellfest im französischen Clisson. Aber hey! Freu dich, du bist in Wacken!