Hamburg. Die Pop-Diva spielte vor 30.000 Fans in Hamburg Hit auf Hit, verbietet aber den Fotografen, ihrer Arbeit nachzugehen.
Nein, es ist kein Zufall, dass Rihanna Einzug hält wie eine Boxerin. Sie geht durch einen schmalen Gang, der die Massen teilt wie Moses das Rote Meer. Dann steht sie, die Meisterin aller Klassen, auf der kleinen Bühne inmitten des Stadions und singt „Stay“. Ein Griff, und die weiße Sportlerrobe gibt ihr Gesicht frei. Ein Schritt, und sie steht auf einer Art durchsichtigem Laufsteg und schwebt über ihre Fans auf die Haupttribüne, während sie das nächste Stück darbietet.
Das ist spektakulär, genauso wie die Outfits, die Rihanna im Volksparkstadion tragen wird: auf den Luxusleib geschneiderte Teile, die natürlich noch extravaganter sind als die Songs, die die Sängerin auf ihrer „Anti“-Welttournee in insgesamt doch erstaunlicher Menge abfeuert. Und wie sie das tut. Es ist, um im Boxer-Bild zu bleiben, eine Serie von durchaus deftigen Jabs, die auf die knapp 30.000 im Volksparkstadion niedergehen. Rihanna performt die Songs in extradichter Taktung, verknappt sie jeweils und knallt den nächsten gleich hinterher. Ein R&B-Dancehall-Überfallkommando, zumindest im ersten Konzertteil ein einziges Rihanna-Medley.
Dass die 28-Jährige, einer der größten Popstars der Gegenwart und wahrscheinlich noch mehr als Beyoncé, Taylor Swift und Katy Perry im Besitz der Popformel dieser Gegenwart, einen gewissen Status hat, konnte man bereits zum Ärger der Fotografen unmittelbar vor dem Konzert als erwiesen erachten: Das zwischenzeitlich wieder aufgehobene Fotografierverbot galt nun doch.
Wohlgemerkt für die Professionellen, natürlich gibt es auch von Rihanna in Hamburg Zehntausende Handyaufnahmen. Eine Lesart: Der Pop-Superstar von heute überlässt es lieber den Fans, seine Erfolgsgeschichte zu bebildern. Zur Rihannahaftigkeit ihres Tuns gehört es übrigens auch sonst, die „Ihr könnt mir gar nix“-Attitüde zu bemühen – dafür reicht meist schon ihr Mienenspiel, das auf der Leinwand bis auf den letzten Platz zu sehen ist. Wobei von Mühe nichts zu spüren ist, die Stilisierung zur trotz schlüpfriger Texte Unnahbaren ist das, was Rihanna im Innersten ausmacht. Man kann ihr die Bewunderung dafür an keiner Stelle versagen.
Rihanna trifft auf geniale Weise den Massengeschmack
Auch nicht dafür, dass sie es mit ihren Songs wie wenige schafft, eine laszive Aura auf den Tanzflur zu bringen. Der ist beim Konzert auf und vor der Bühne. Wobei die sehr sinnlichen Bewegungen von Rihannas Sänger- und Tanzcrew selten davon ablenken, dass oft die Hauptsache, Chart-Schnittigkeit hin oder her, die Songs sind. Das Publikum, Jungen wie Mädchen, Männer wie Frauen, singt beseelt mit. In ästhetischer Hinsicht ist der Album- und Tourneetitel „Anti“ eine augenzwinkernde Anmaßung: Rihanna verkauft deswegen Abermillionen von Tonträgern, weil sie den Massengeschmack immer auf geniale Weise trifft.
Die bisherigen „Anti“-Zahlen allerdings dürften sie enttäuschen. Oder warum sonst fragte sie mit durchaus fordernder Stimme zwischendurch mal, wer im Publikum das Album besitze? Und stimmlich war sie, wie stets, im Übrigen bestens disponiert. Die einzig wirklich schwachen Momente der Show waren die Momente, in denen sie zum Umziehen verschwand. Man hielt es währenddessen für eine gute Idee, die Zuhörer mit gothicmäßig tönenden Instrumentalteilen und degoutanten Gitarrensoli zu unterhalten.
Rihanna war ja sogar schon vergangene Woche da, als sie während des Coldplay-Konzerts bei „Princess of China“ von der Leinwand herab das Duett mit Chris Martin sang – er live, sie aus der Popkonserve. Diesmal ist Rihanna persönlich da – und zwar ohne Co-Stars auf der Leinwand. Die Parts von Drake oder Kanye West sind durchaus verzichtbar, sieh an. Sie ist die Herrscherin ganz allein, ein musikalischer Souverän, der, wie die Nebenkönige im Popbusiness auch, musikalische Partner nutzt oder eben nicht. Ganz, wie es eben nötig ist.
Sie schaut ja nicht schlecht aus, aber man weiß nicht recht, ob „Sex With Me“, das sie relativ früh am Abend singt, dieselbe Wirkung entfaltet, entfalten soll, wie wenn man es allein zu Hause hörte. Ist es eigentlich etwas anderes, vor Tausenden Zuschauern statt im Plattenstudio die Dreifaltigkeit von Männern, Sex und Hedonismus zu beschwören? Dass Rihanna ein Vorbild für ihre weiblichen Fans ist, zeigte deren selbstbewusster Kleidungsstil. Rihanna-Fans sind nicht schüchtern, sondern im Rahmen des geradeso Schicklichen schick angezogen. Eine Kunst.
In Hamburg hat Rihanna Spaß. Und mit ihr die Fans, die sich über den Quak-Song „Work“, über „Rude Boy“, „Bitch Better Have My Money“, ihren ersten großen Hit „Umbrella“ und „Diamonds“, bei dem die Arena ein leuchtender Planet aus Handy-Lichtern ist, freuen.
Es gibt aber, trotz Bumsbumsbums-Disco-Gewitters, auch Längen in der anderthalbstündigen Show. Es fehlt der Performerin Rihanna insgesamt auch ein Gespür für die verbale Zwiesprache mit dem Publikum, für das Timing der Konzert-Stanzen. Zwei Songs vor Konzertende darauf zu verweisen („Ich fürchte, ihr könnt noch längst nicht nach Hause gehen“), was noch alles kommen soll, wirkt ein bisschen ungeschickt. Oder gerade nicht? Vielleicht tut sie es ja, weil sie es kann.
In Dublin hat Rihanna kürzlich auf einem Konzert geheult, solch einen kostbaren Moment gönnt sie den Hamburgern nicht. Einsamer Höhepunkt des Konzerts, sehr subjektiv: die Tame-Impala-Coverversion von „Same Ol’ Mistakes“.
Der letzte Song, ehe sie unter tosendem Jubel geht, ist „Kiss It Better“. Kann man versuchen.