Hamburg. Sie schreibt Fantasy-Romane, aber auch Kinderbücher: Bestsellerautorin über Flüchtlinge, die Hansestadt und Los Angeles.
„Wer, bitte, zieht als Opa noch nach Amerika?“, heißt es in „Fabers Schatz“, dem neuen und illustrierten Kinderbuch von Bestsellerautorin Cornelia Funke („Drachenreiter“, „Tintenherz“, „Reckless“). Der Opa hat aber Faber, dem kleinen Helden des Buchs, immerhin einen Teppich als Abschiedsgeschenk dagelassen. Mit dem fliegen Faber und seine Freunde, die sonst so gerne am Hafen spielen, um die halbe Welt, allein kraft ihrer Fantasie – „Fabers Schatz“, erschienen im Hamburger Aladin-Verlag, ist ein kindgerechtes Lehrstück über die Heimat und die Fremde. Cornelia Funke (57) weiß darüber selbst etwas zu erzählen. Die gebürtige Nordrhein-Westfälin lebte bis 2005 in Hamburg und zog dann nach Los Angeles. Im September kommt sie zum Harbour Front Literaturfestival in ihre alte Heimat, kurze Zeit später erscheint die Fortsetzung ihres Kinderfantasy-Klassikers „Drachenreiter“ – „Die Feder eines Greifs“ heißt sie.
Sie nennen Ihr neues Kinderbuch eine Hamburg-Hommage – geht so etwas besonders gut aus der Ferne: sich an eine frühere Heimat zu erinnern?
Cornelia Funke: Ja, in mancher Hinsicht schon. Ich sage oft, dass ich sehr viel deutscher geworden bin, seit ich in Los Angeles lebe. Erst in der Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur wird einem wirklich bewusst, woher man kommt. Man weiß viele Dinge, die einem selbstverständlich erschienen, mehr zu schätzen und stellt andere wesentlich mehr infrage. Hamburg wird für mich natürlich immer Heimat bleiben, schließlich habe ich dort mehr als 20 Jahre gelebt und einige meiner allerneuesten Freunde leben dort. Außerdem liebe ich den norddeutschen Humor und – ich habe gerade in Hamburg mit meinem Freund Eduardo Garcia einen eigenen Hörbuchverlag gegründet. Also, Hamburg bleibt auf meiner Landkarte ...
Heimat und Fremde: Wie kamen Sie zum Thema des Buchs?
Funke: Hm, ich bin nicht sicher. Geschichten stellen sich ja oft erst mal in Schnipseln ein – als blickte man durch ein Schlüsselloch. Ganz am Anfang war da natürlich meine langjährige Freundschaft mit Klaus Humann, dem Gründer und Verleger von Aladin, und meine Liebe zu kleinen, feinen Verlagen wie diesem. Dann war ich gerade wieder einmal in Hamburg gewesen und hatte mehr als je zuvor gespürt, warum ich die Stadt so liebe: weil der Hafen sie auf so wunderbare Weise mit der weiten Welt verbindet. Natürlich liebe ich Hamburg noch aus vielen anderen Gründen. Schließlich wurden meine Kinder dort geboren.
In „Fabers Schatz“ geht es um Fernweh und ein Gefühl der Fremde im eigenen Land – wie viel Persönliches ist da eingeflossen?
Funke: Das Gefühl, das ich da beschreibe, ist natürlich ein ganz anderes als das, was man als freiwilliger Weltreisender in der Ferne hat. Ich bin aus Überzeugung und freiem Entschluss eine Weltbürgerin (ich wünschte, es gäbe so einen Pass!), und ja, ich spüre immer wieder, dass ich nicht in der Kultur lebe, in der ich aufgewachsen bin, aber meist ist das ein sehr bereicherndes und inspirierendes Gefühl. Es muss ganz anders sein, wenn Gewalt, Hunger und Unterdrückung einen aus der Heimat vertreiben. Ich glaube, wir alle können uns nur schwer vorstellen, wie man mit solchem Schmerz und solcher Entwurzelung lebt. Und mit dem Gefühl, nicht unbedingt willkommen zu sein. Jedes Land, in das ich komme, empfängt mich mit offenen Armen, weil meine Bücher dort schon lange vor meiner Ankunft zu Hause waren. Wie anders muss es sein, wenn man eigentlich zu Hause bleiben möchte, aber nicht kann? Wie ist es möglich, mit dem Schmerz irgendwo anzukommen und sich erneut zu Hause zu fühlen? Das geht nur mit Menschen, die einem die Fremde erschließen.
Sie leben seit mehr als einem Jahrzehnt in Los Angeles: Um wie viel höher ist dort der maritime Faktor als in good old Hamburg?
Funke: Der ist tatsächlich wesentlich höher. Das Meer gehört zum Alltag dazu. Das Meer, die Berge, die wilden Schluchten von Los Angeles … Die Wildnis, die in dieser Riesenstadt dennoch überall spürbar ist, fasziniert und fesselt mich immer noch. Gestern habe ich nur einen Kojoten, ein Reh und drei Falken gesehen. Aber da kommen leicht Kormorane, Pelikane und Delfine hinzu – und manchmal auch Klapperschlangen, Schwarze Witwen und Wildkatzen.
Wie wichtig sind Ihnen neben Ihren Jugendromanen die Kinderbücher?
Funke: Sehr wichtig. Ich bin eine Geschichtenerzählerin, und ich liebe es, das für alle Altersklassen zu tun. Eigentlich sind alle meine Geschichten für jedes Alter erzählt. Bei den Spiegelbüchern sage ich den Kindern, dass sie besser erst durch den Spiegel gehen, wenn sie 14 sind, aber die meisten ignorieren das. Das Bilderbuch kommt gerade mit Macht in mein Leben zurück, weil ich hier in L.A. viele kleine Kinder in meinem Leben habe. Ich werde im nächsten Jahr ein Bilderbuch veröffentlichen, das ich nicht nur auf Deutsch und auf Englisch geschrieben, sondern auch selbst illustriert habe. Außerdem habe ich ja gerade eine Fortsetzung des Drachenreiters geschrieben.
Wie hat man sich die Zusammenarbeit mit den Zeichnern vorzustellen? Was ist zuerst da: Text oder Bild?
Funke: Der Text. Aber ich ändere gern, wenn die Illustratoren sich etwas Besonderes wünschen oder ein Motiv gern etwas anders hätten. Ich habe auch schon Bücher eigens für einen Illustrator geschrieben, „Das Piratenschwein“ und „Emma und der blaue Dschinn“ gehen auf Wünsche von Kerstin Meyer zurück. Bei „Fabers Schatz“ habe ich den Text zweimal geändert, damit Susanne Göhlich etwas mehr Spaß hat.
Im Spätsommer sind Sie mal wieder in Hamburg. Wie oft sind Sie eigentlich in Europa? Können Sie sich vorstellen, zurückzukehren?
Funke: Ich bin jedes Jahr drei- bis viermal in Europa. Wir haben eine Wohnung in London, die unser europäisches Zuhause ist, und ich liebe es, Zeit in der Alten Welt zu verbringen. Viele meiner Lieblingsverlage sind europäische Verlage, und allein in diesem Jahr unterstütze ich Bucherscheinungen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Spanien, Frankreich, Schweden und Großbritannien, indem ich dort ein paar Tage zu Besuch bin. Ob ich jemals zurückkomme? Ich habe gelernt, dass man solche Dinge nicht vorhersagen kann. Wie sagt Woody Allen so passend: „If you want to make god laugh, tell him about your plans.“
Was macht den American Way of Life so attraktiv?
Funke: Es gibt vieles am American Way of Life, das ich nicht attraktiv finde, aber so ist das mit jedem Land und jeder Kultur. Ich liebe die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft hier, den Optimismus. die Bereitschaft, dankbar zu sein für das, was man hat, und den Willen, zu verändern, was einem nicht gefällt. Ich liebe es, dass hier jeder von irgendwoher kommt, dass Amerika sich, wie Australien oder Kanada, durch Immigration definiert, auch wenn das einigen nicht gefällt, und ich jeden Tag Menschen aus vielen unterschiedlichen Kulturen begegne, die alle einen Beitrag zur Wirklichkeit und Kultur dieses Landes leisten und die USA, egal woher sie kommen, als Zuhause empfinden. Man denkt in der Neuen Welt wesentlich mehr über die Zukunft nach als über die Vergangenheit. Es gibt einen Glauben daran, dass wir die Chance haben, eine bessere Zukunft zu gestalten. Und dann … ist das die Wildnis. Die gibt es hier nämlich noch. 25 Prozent der Landfläche sind geschützt, soweit ich weiß, in verschieden streng geregelten Stufen, und es ist für mich als Europäerin immer noch unglaublich, dass man acht Stunden Auto fahren kann, ohne eine menschliche Ansiedlung zu sehen. Man begreift Natur hier so leicht als etwas nicht Menschengemachtes und kann so viel leichter verstehen, wie überwältigend und bedrohlich sie unseren Vorfahren oft erschien. Und wie magisch.
An was arbeiten Sie derzeit?
Funke: Ich arbeite inzwischen immer an mehreren Projekten gleichzeitig. Da ist zuerst einmal „Reckless“, Buch vier – Arbeitstitel: „Die Inseln der Füchsin“. Es ist in Japan angesiedelt. Dann bin ich 15 Kapitel weit im nächsten „Tintenbuch“, das „Die Farbe der Rache“ heißt, arbeite an einer Kurzgeschichte fürs Günter-Grass-Haus und an einem Projekt mit Guillermo del Toro.
Lesung aus „Die Feder eines Greifs“ 4.9., 15.00, Zentralbibliothek (U/S Hbf), Hühnerposten 1. Tickets zu 6,- unter T. 30 30 98 98.