Hamburg. Thomas Bernhards berühmtes Stück „Ritter, Dene, Voss“ hat Premiere an den Kammerspielen. Ein Gespräch mit Maier, Kogge, Boysen.

Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard, bekannt für seine gallig-ätzende Kritik an Österreich und allem, was ihm „heilig“ ist, lässt seine Bühnenfiguren gerne in Schimpftiraden monologisieren. 1986 wurde sein Stück „Ritter, Dene, Voss“ uraufgeführt, benannt nach den Schauspielern Ilse Ritter, Kirsten Dene und dem 2014 verstorbenen Gert Voss, die Bernhard überaus schätzte. Das Stück beschreibt aber nicht die drei Darsteller, sondern schildert ein Wiener Geschwistertrio aus dem Großbürgertum, das einander in Hassliebe verbunden ist. An den Hamburger Kammerspielen hat „Ritter, Dene, Voss“ am Sonntag in der Regie von Jasper Brandis Premiere. Die Titelfiguren werden von den Theaterschauspielern Ulli Maier, Imogen Kogge und Markus Boysen gespielt.

Boysen ist Ludwig (Voss), er forscht nach nie gedachten Gedanken, lebt aber seit Jahrzehnten im Irrenhaus. Die ältere Schwester (Dene) fühlt sich für die Familie und insbesondere für ihren Bruder verantwortlich und hat Ludwig gegen dessen Wunsch aus der Anstalt nach Hause geholt. Die jüngere Schwester übt still die Rebellion, ist zerstörerisch. Vor, während und nach dem Mittagessen im Speisezimmer spielen sich im Stück – und vermutlich nicht zum ersten Mal – die alltäglichen Katastrophen einer reichen, exzentrischen Familie ab. Es geht um Furcht vor Einsamkeit, um Abhängigkeit und inzestuöses Begehren.

Wir sprachen mit den Darstellern Meier, Kogge, Boysen in ihrer Theaterwohnung in St. Georg, in der Maier und Kogge während der Proben und der Vorstellungen untergebracht sind.

Hamburger Abendblatt: Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss, die die Uraufführung gespielt haben, sind und waren Ausnahmeschauspieler. Fühlen Sie sich dadurch unter Druck gesetzt oder angespornt?

Ulli Maier: Ich messe mich nicht an ihnen. Ich versuche die gleiche Qualität zu erreichen wie bei jedem anderen Stück auch.

Imogen Kogge: Es geht ja im Stück nicht um Schauspieler. Es geht um Theaterfiguren. Wir haben die Uraufführung damals gesehen, davon geistert noch das eine oder andere Bild herum, aber besondere Forderungen an uns ergeben sich dadurch nicht.

Ist das Stück heute so aktuell wie ­damals?

Maier: Eine Familienhölle zu zeigen ist heute so aktuell wie in den 80er-Jahren. Familientragödien sind zeitlos.

Die Schwestern holen den Bruder aus der psychiatrischen Anstalt. Hat er sich dorthin geflüchtet?

Markus Boysen: Sicher. Er ist ja nicht eingewiesen worden. Er geht dort freiwillig wieder hin. Seit 20 Jahren. Auf Betreiben der älteren Schwester kommt er immer mal wieder nach Hause. Für ein paar Tage. Das ist schon 18-mal schiefgegangen. Aber jedes Jahr wird der Versuch, zusammenzubleiben, wieder neu gestartet.

Klingt wie Weihnachten.

Boysen: Und geht schief wie Weihnachten.

Was treibt die drei dazu, sich immer wieder zu treffen?

Boysen: Er sagt: „Selbstmörderische Menschensehnsucht“. Er hat Freude daran, Chaos zu verursachen und die Schwestern zu verunsichern. Am Ende fühlt er sich darin bestätigt, dass sie noch genauso dumm sind, wie er sie immer fand.

Maier: Bei mir ist es die enge Verbundenheit, die die drei zusammenhält. Sie haben sich wahrscheinlich als Kinder abgegrenzt, sich als etwas Besseres gefühlt. Dafür wurden sie von anderen verachtet. Sie haben einen Klüngel gebildet. Daneben haben sie kaum etwas. Sie arbeiten als Gelegenheitsschauspielerinnen, aber sie können nicht viel. Und immer nur Zeitunglesen füllt das Leben nicht aus. Sie kann nichts. Sie ist nichts.

Und sie wird nichts.

Maier: Ja, so furchtbar ist es. Sie hat einen großen Standesdünkel. Alleine sein will sie nicht. Sie kommen nicht voneinander los. Sie hassen sich und sie lieben sich.

Boysen: Sein Lebensrettungsprinzip, wie er es nennt, heißt Denken. Dabei unterscheidet er zwischen Nachdenken und Denken. Er will nicht über etwas nachdenken, das schon gewesen ist, sondern vorwärts denken. Das Leben ist für ihn ein Geistesproblem. Davon ist er besessen.

Kogge: Sie leben in einem hermetisch abgeschlossenen Raum. Haben keinen gesellschaftlichen Austausch. Der Höhepunkt ist, wenn ab und zu der Bruder auf Besuch kommt.

Jede der Schwestern ist vom Bruder fasziniert, ihm beinahe inzestuös ergeben. Was ist das, woher kommt das?

Maier: Die Jüngere, Ritter, ist der analytischere Teil. Aber auch der lebensunfähigere. Die drei verbindet eine Geschichte, die sie nie voneinander loskommen lässt. Sie leben in ihrem eigenen Kosmos. Bei mir ist der Bruder ein großes Hassobjekt, jemand, der uns vernichtet, ein manipulativer Geist, von dem wir nicht loskommen. Der Bruder hat mit seiner Anstalt einen Bereich, in den er sich zurückziehen kann. Das schafft seine Schwester nicht.

Kogge: Die Ältere hält den Laden am Laufen. Wenn es sie nicht gäbe, würde es das Zuhause auch nicht geben. Ihr ganzes Tun ist auf den Bruder ausgerichtet.

Liebt oder hasst sie ihn mehr?

Kogge: Beides. Sie dient ihm, fordert aber auch etwas ein.

Maier: Die Jüngere sagt, dass der Bruder sie alle vernichtet.

Wer ist das Machtzentrum?

Maier: In jedem Akt ein anderer. Es ist sehr interessant, wie das wechselt. Es dreht sich aber alles um den Bruder.

Die Figuren sind in ihrer Erstarrung und ihren von Wiederholung geprägten Wortkaskaden auch komisch.

Maier: Das Stück ist in seiner Absurdität und Skurrilität komisch. Wir müssen da nichts extra herstellen. Das ergibt sich von selbst.

Kogge: Meine Figur ist der Überzeugung, sie sei eigentlich die Einzige, die etwas taugt. Daraus entsteht auch Komisches. Die Schwestern sind sehr unterschiedlich. Das zeigen wir.

Boysen: Und der Denker lebt in der Anstalt. Das ist eine typisch komische Überspitzung von Bernhard.

Bernhard schreibt lange Monologe. Ist das schwer zu lernen?

Kogge: Für mein preußisches Ohr ist er schon grammatikalisch schwer zu lernen. Es sind keine „normalen“ Dialoge. Oft spricht jeder für sich. Es gibt viele Wiederholungen.

Maier: Als Österreicherin habe ich es sicher leichter, diesen Sprachduktus zu lernen. Aber der Text ist sehr monologisch und komplex.

Boysen: Ich finde es nicht schwer. Ich habe viel von Bernhard gelesen und finde seine Texte sehr komisch. Auch in den Wiederholungen und Halbsätzen, die er geschrieben hat. Ich liebe den „Bernhard-Sound“.

„Ritter, Dene, Voss , Premiere Hamburger Kammerspiele (Hartungstr.) 22.5., 19 Uhr, Vorstellungen bis 19. Juni, Karten: 21–41 Euro, T.: 41 33 44-0