Hamburg. Thalia-Schauspieler Daniel Lommatzsch konnte nahezu alle seine Kollegen für sein Regiedebüt „Am Ende ist man tot“ gewinnen. Jetzt ist der Film fertig

    Da war diese Sache mit dem Husten. „Wir hatten eine Verabredung: Wenn wir nicht mehr husten müssen, dann ist der Film fertig“, erzählt Daniel Lommatzsch. Er grinst, gestikuliert, greift zur Kaffeetasse. Eigentlich ist der 38-Jährige Schauspieler. Am Thalia Theater ist er momentan in den Stücken „Moby Dick“ und „Imperium“ zu sehen. Aber sein Herz schlägt seit jeher nicht nur für die Bühne, sondern auch für den Film. Die Arbeit hinter der Kamera reizte ihn. Als Gestalter, als Fädenzieher.

    Mit „Am Ende ist man tot“ präsentiert Lommatzsch nun an diesem Sonntag sein Langfilmdebüt im (ausverkauften) Nachtasyl des Thalia Theaters (und feiert um Mitternacht zudem Geburtstag). Das Haus am Alstertor ist nicht nur seine künstlerische Heimat, sondern vor allem eine riesige Ressource, die der autodidaktische Drehbuchautor, Regisseur und Produzent für sein Debütwerk nutzen konnte. Ein Monster von einem Projekt.

    Quasi das gesamte Thalia-Ensemble ist in dem Anderthalbstünder zu sehen – zum Teil in wunderbar gegen den Strich besetzten Rollen. Mirko Kreibich etwa hat sein wildes Blondhaar streng gescheitelt und gibt den geschäftstüchtigen Zahlenfreak. Sein Junior von Kesselstatt ist der adoptierte Sohn einer Hanseatenfamilie, deren Fassade mächtig bröckelt. Mutter Heidi (grandios passiv-aggressiv: Oda Thormeyer) unterdrückt ihre Verzweiflung darüber, dass sich ihr leiblicher Spross nach riskanten Finanzgeschäften aus dem Fenster gestürzt hat. Und nun ist auch noch Tochter Lilly (Nadja Schönfeldt) entführt worden. Oder wollte sie der schnöseligen Sippe nur eins auswischen? Die übrigen Geschwister (gespielt von Jörg Pohl, Anne Schäfer und eben Mirko Kreibich) machen sich auf die Suche...

    Die Verflechtungen des Personals, das an die verwirrende Fülle russischer Klassiker erinnert, erschließen sich überraschend schnell. Lommatzsch hat viele einzelne Tableaus angelegt, die wie kleine Kammerspiele um die Themen Geld, Gier und Großzügigkeit, Taktik und Tabus, Liebe und Loyalität kreisen. Oberflächlich ein Krimi, untergründig ein Sittengemälde. Mal albern (Jens Harzer und Martina Galic als Hippiepaar), mal beklemmend (Lisa Hagmeister als frustrierte Narzisstin).

    Für Lommatzsch ist „Am Ende ist man tot“ vor allem: ein Versuch. „Ich habe mir mit dem Film die Hörner abgestoßen“, erklärt er. Dementsprechend gespannt ist er auf die Reaktionen.

    Derzeit reicht Lommatzsch sein Werk bei Festivals wie den Hofer Filmtagen ein. Da die Hoffnung auf eine amtliche Uraufführung besteht, sei der Abend im Nachtasyl eher als „explodierte Team-Premiere“ zu verstehen. Traumziel ist es, einen Verleih zu finden. Kein ganz einfaches Unterfangen für ein Low-Budget-Projekt, einen Erstling zudem, der im Vergleich zu professionellen Produktionen mit geringen Mitteln auszukommen hatte.

    7300 Euro kamen von der Hamburgischen Kulturstiftung. Eine Crowd­funding-Kampagne ergab weitere 11.000 Euro. Doch vor allem existiert der Film dank der Zeit, die das Thalia-Team und befreundete Kollegen investiert haben.

    Eine „Schauspielerverschwendung“ nennt der Neu-Regisseur sein Werk. Wenn er das sagt, lacht er zwar. Aber das fast schon absurde Überangebot an künstlerischem und technischem Können, aus dem er schöpfen durfte, sei ihm auch eine gute Schule gewesen. Beim nächsten Filmprojekt (Planungen laufen bereits) würde er ganz anders arbeiten. Sprich: konzen­trierter. Viel habe er nachgedacht über narrative Formate. Das bloße Behaupten der Realität ist seine Sache nicht. Er möchte vielmehr beim Zuschauer ein Bewusstsein dafür schaffen, dass filmisches Erzählen eine hoch artifizielle Sache ist. Er zitiert David Lynchs Serie „Twin Peaks“ als Paradebeispiel dafür, wie unterhalb des Plots Themen verhandelt werden. Wie sich Stimmungen erzeugen lassen.

    In seinem eigenen Werk trägt zur Atmosphäre maßgeblich der rockig wabernde Soundtrack bei, den Schauspielkollege Felix Knopp mit seiner Band eingespielt hat. Auch so ein Mehrfachbegeisterter.

    Wenn Lommatzsch von „Am Ende ist man tot“ erzählt, kann er kaum aufhören, anderen zu danken. Der Tontechnik, der Farbkorrektur, der Kostümschneiderei, der Maske. Jenseits von dem, was später auf der Leinwand zu sehen sein wird, ist dieser Film vor allem eines: eine große Menschenmitreißmaschine.

    Und diese Eigendynamik führte Lommatzsch letztlich auch zu der Person, mit der er gut 60 Stunden Rohmaterial in der Postproduktion verdichten konnte. Lommatzsch’ Kolleginnen Oda Thormeyer und Patrycia Ziolkowska (die im Film als Domina zu erleben ist) empfahlen ihm als Cutter Aleko Gotscheff, den Sohn des 2013 gestorbenen Theaterregisseurs Dimiter Gotscheff, der am Thalia unter anderem Peter Handkes „Immer noch Sturm“ inszenierte. „Als ich Aleko das erste Mal traf, war sein Vater noch nicht lange tot. Wir haben dann erst mal viel über Familie und Verlust gesprochen“, erinnert sich Lommatzsch.

    Die Begegnung mit Aleko Gotscheff sei ein „großes Geschenk“ gewesen. „Durch die Arbeit seines Vaters war er sehr vertraut mit den Schauspielern des Films. Er hatte einen sehr persönlichen Zugang zu ihrem Spiel“, sagt Lommatzsch und ergänzt lachend: „Und er hatte einen langen Atem, um den Wildwuchs dieses Drehbuchs zu einem organischen Ganzen zu machen.“

    Ein Jahr lang haben die zwei geschnitten. Ganze Szenen flogen raus. „Und zum Schluss zersplittert das so“, deutet Lommatzsch an und lässt seine Finger über den Cafétisch fliegen. Wichtigstes Mittel der Qualitätskon­trolle sei jedoch besagtes Husten gewesen. „Wir haben uns vorgestellt, wie wir den Film vor Publikum zeigen. Bei einer unstimmigen Szene haben wir dann immer gehustet, um von dem Fehler abzulenken.“ Am Ende mussten sie das nicht mehr tun.

    Keine Huster, das fühlt sich gewiss gut an. Vor allem für einen Theaterschauspieler.