Hamburg. Am Ernst Deutsch Theater feierte Wolf-Dietrich Sprengers Inszenierung von Schillers „Kabale und Liebe“ eine gelungene Premiere.
Die Liebe ist eine allmächtige Kraft. Sie verleiht Flügel und ermöglicht unglaubliche Höhenflüge. Aber sie kann auch zerstörerisch sein und zu schlimmen Abstürzen führen. Sie kann sich in Trauer äußern und in Wut umschlagen, ja sogar zum Selbstmord führen.
Johann Wolfgang von Goethe hat die seelische Not eines unglücklich Verliebten 1774 in seinem Briefroman „Werther“ literarisch umgesetzt. Auch Friedrich Schiller hat die verschiedenen Gefühlslagen der Liebe in seinem Frühwerk „Kabale und Liebe“ tief ausgelotet. Sein Trauerspiel hat durchaus autobiografische Züge: Als Schiller 1782 mit dem Schreiben des Dramas begann, war er gerade nach Bauerbach in Thüringen gekommen und fasziniert von der 16-jährigen Charlotte von Wolzogen. Eine Liaison zwischen dem adligen Mädchen und dem jungen Dichter kam jedoch nicht infrage, die Mutter wollte die Tochter standesgemäß verheiraten.
In der Inszenierung von Wolf-Dietrich Sprenger feiert Schillers 1784 in Frankfurt uraufgeführtes Werk jetzt im Ernst Deutsch Theater Premiere. Bühnenbildner Achim Römer hat dafür eine schiefe und leere Ebene gebaut. Diese Schräge verdeutlicht, dass hier nichts im Lot ist. Die Liebe zwischen Luise und Ferdinand steht auf tönernen Füßen, weil der Standesunterschied zwischen der bürgerlichen Tochter eines Musikers und dem adligen Sohn des Präsidenten zu groß ist.
Präsident von Walter selbst hat sich nur durch ein Verbrechen in seine Position gebracht und muss die Wahrheit fürchten. Lady Milford, am Fürstenhof als Konkubine zu Reichtum und Einfluss gekommen, besinnt sich ihres Wertesystems und will in ihre englische Heimat zurückkehren. Und Luises Vater Miller gerät in die Mühlen fürstlicher Willkür, weil er sich für die Ehre seiner Tochter einsetzt.
Kristin Suckow spielt die Luise als fröhlichen Springinsfeld. Bei jedem Hüpfer ist zu merken, wie sehr ihr das Gefühl für Ferdinand Energie verleiht und sie in den siebten Himmel katapultiert. „Ich sehe keine Welt mehr“, sagt sie. Liebe ist bei ihr ein Zustand der Entrückung. Doch sie ist in Gefahr, denn der Präsident will die Bindung aus selbstsüchtigen Gründen verhindern. Luise ist auch Realistin. Sie weiß, dass sie keine Chance gegen die Adelsmacht hat. Ferdinand (Jonas Minthe) ist voller Überschwang. Immer wieder lässt er sich Albernheiten einfallen, nähert sich der Geliebten wie eine maunzende Katze, tollt mit ihr über die Bühne und ist am Ende ein von Eifersucht zerrissenes Häuflein Elend. Minthe überzieht seine Rolle ein bisschen, er ist ein egozentrischer Kindskopf, seine Gefühle fahren mit ihm Achterbahn.
Dass die Liebe zwischen Luise und Ferdinand nicht zu einer Heirat führt, dafür sorgen Präsident von Walter (Stephan Benson) und sein intriganter Sekretär Wurm (Oliver Warsitz). In seinem schwarzen Anzug und den schwarzen Schaftstiefeln wirkt von Walter so gar nicht höfisch, sondern wie ein Geheimdienstler, den es aus dem 20. Jahrhundert in die Vergangenheit verschlagen hat. Benson umgibt eine Eiseskälte, seine Figur ist Machtmensch durch und durch, eine Pistole ist sein liebstes Spielzeug, und er zögert nicht, sie für seine Machtinteressen einzusetzen. Wurm dient ihm willfährig, er ist ein Kriecher vor dem Herrn, immer in devot-gebückter Haltung, aber durchtrieben in seinen Aktionen. Sein Ziel: die Liebe zwischen Luise und Ferdinand von innen aushöhlen.
In Sprengers kluger Inszenierung gibt es auch komische Elemente. Für sie ist Roland Renner als Hofmarschall von Kalb verantwortlich. Er spielt diese Hofschranze als tuntigen Paradiesvogel mit Walleperücke und rotem Kleid. Ständig wirft er mit Küssen um sich, möchte „Everybody’s Darling“ sein und ist die größte Klatschtante am Hof des Herzogs.
Sprenger hat für „Kabale und Liebe“ auf eine ganze Reihe von Kollegen zurückgegriffen, die früher am Deutschen Schauspielhaus oder am Thalia engagiert waren. Auch Cornelia Schirmer als Lady Milford glänzt in dieser Inszenierung. Unbedingt erwähnt werden muss zudem ein kurzer Auftritt von Hartmut Schories als Kammerdiener. Er schildert Lady Milford den sogenannten Soldatenhandel, bei dem 7000 junge Männer als Söldner vom Herzog nach Amerika verkauft werden. Schories schafft es, in seinem Bericht die ganze Tragödie dieser Verschleppung deutlich zu machen.
Mit seinem großartigen Ensemble und einer Inszenierung, die die Grausamkeit der Liebe auslotet, hat Wolf-Dietrich Sprenger dem Ernst Deutsch Theater eine starke Premiere beschert.
„Kabale und Liebe“ bis 28.5., Ernst Deutsch Theater, Karten ab 20 Euro unter T. 22 70 14 20