Hamburg. Schlager-Ikone Marianne Rosenberg ist Jurymitglied beim Hamburger Nachwuchspreis „Krach + Getöse“.
Seit fast fünf Jahrzehnten kennt die Berliner Sängerin Marianne Rosenberg, 61, die Popszene in- und auswendig: Sie war Schlager-Ikone, tourte mit Jazz und Chansons und war – neben Dieter Bohlen – „DSDS“-Jurorin. Zusammen mit Joachim Witt, Enno Bunger, Rhonda-Sängerin Milo und weiteren Experten gehört sie in diesem Jahr zur Jury des „Krach + Getöse“-Förderpreises von RockCity Hamburg und der Haspa Musik Stiftung, für den sich Nachwuchsbands und -künstler noch heute bewerben können. Wir sprachen mit Rosenberg über ihre Jury-Erfahrungen, die Lage im deutschen Pop und Fluch und Segen ihrer alten Hits.
Hamburger Abendblatt: Was macht für Sie gute Musik aus?
Marianne Rosenberg: Richtig gute Musik gibt es in allen Genres, sie offenbart ihre Qualität aber meist erst nach mehrmaligem Hören. Daher trauen sich viele Radios nicht, gute Musik zu spielen.
Welche Genres, Lieder, Interpreten bringen Ihr Herz zum Schwingen?
Rosenberg : Wenn mich Musik berührt, spielt das Genre keine große Rolle. Wenn ein Sänger oder eine Sängerin es schafft, echte Gefühle zu transportieren, dann bekomme ich eine Gänsehaut.
Welche aktuelle Musik hören Sie gern?
Rosenberg : Privat höre ich oft Jazz, dabei kann ich herrlich entspannen. Wenn Sie mit „aktueller Musik“ die Charts meinen, dann sage ich, dass die mich nicht sonderlich interessieren. Obwohl es hier schon Überschneidungen zu meinem persönlichen Geschmack gibt. Adele ist ein gutes Beispiel. Der weltweite Erfolg tut dieser großen Stimme keinen Abbruch.
Die Jury von RockCity, bei der Sie nun mitmachen, dürfte so ziemlich das Gegenteil sein zum Bohlen-Gremium bei der TV-Show „Deutschland sucht den Superstar“, dem Sie 2014 angehörten. Damals haben Sie Ihre Teilnahme als „persönlichen Marsch durch die Institutionen“ bezeichnet. Ist das geglückt?
Rosenberg : Natürlich wäre es naiv gewesen zu glauben, dass ich dieses Format hätte grundsätzlich ändern können. Ich war vorher immer eine vehemente Kritikerin von Castingshows und bin es heute noch – oder heute erst recht. Aber es hat mich schon gereizt, so eine Show von innen zu erleben und nicht nur von außen zu beurteilen. Insofern war es eher „ein persönlicher Blick hinter die Kulissen“. Was mir sicherlich gelungen ist, war, zu vielen Kandidaten ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen, diese jungen Menschen zu respektieren und teilweise auch direkt mit ihnen arbeiten zu können. Was mir ganz bestimmt nicht gelungen ist, war, den offenen Machismus in dieser Show aufzubrechen. Dazu hätte ich mehr Unterstützung gebraucht, auch von der Produktion und der Redaktion.
Vor der Helene-Fischer-Ära galt der deutsche Schlager gerne mal als altbacken, heute läuft Deutschpop in den Radios auf „heavy rotation“. Freut Sie das?
Rosenberg : Die Genres „Schlager“ und „Deutschpop“ waren auch schon vor Helene Fischer verschmolzen. Zumindest musikalisch. In den 70ern war der deutsche Schlager oft noch auf der Marschmusik aufgebaut. Spätestens die 80er haben damit endgültig gebrochen. Heute sind die Grenzen zwischen Schlager, Singer-Songwriter, R&B sowie Pop musikalisch absolut fließend. Umso wichtiger wird für mich der Text. Hier trennt sich die „heile Welt“ von tiefgründigem und kritischem Inhalt.
Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken: Gibt es Situationen oder Entscheidungen, von denen Sie jungen Musikern erzählen könnten – als Lehrbeispiel, wie man es nicht macht?
Rosenberg : Es gibt kein universelles Erfolgsrezept. Außer vielleicht, dass man sich selbst treu bleiben sollte, ganz gleich, ob es gerade kommerziell erfolgreich ist oder nicht. Ich habe leider viele gute Kollegen kennengelernt, die daran zerbrochen sind, nicht die Musik zu machen, die in ihrem Herzen grooved.
Hatten Sie einen Mentor, einen Förderer?
Rosenberg: Es gab immer wieder Menschen, die mich ein Stück meines Weges begleitet haben und die auch einen Einfluss auf meine musikalische Arbeit genommen haben. Der wichtigste war zweifellos Rio Reiser, mit dem ich nicht nur „um die Häuser“ gezogen bin, sondern auch sehr intensiv zusammengearbeitet habe. Er war es, der mich immer wieder ermutigt hat, meine Texte selbst zu schreiben.
Welche Ihrer Eigenschaften hat Ihnen in der Musikbranche am meisten geholfen?
Rosenberg: Natürlich freut sich jeder Kreative, wenn er ein großes und positives Echo auf seine Arbeit bekommt. Aber der kommerzielle Erfolg stand bei mir nie an erster Stelle. Sonst hätte ich vielleicht auch nicht den Mut gehabt, immer wieder aus dem Karussell auszusteigen und eigene Wege zu gehen.
Beneiden Sie junge Musiker, die sich über die sozialen Netzwerke mit ihren Fans austauschen, oder geht dadurch der Zauber einer Künstlerfigur verloren?
Rosenberg: Zum einen ist „der Zauber einer Künstlerfigur“ nicht durch den Grad der Unnahbarkeit definiert, zum anderen stellen die sozialen Netzwerke keine wirklich Nähe her. Zu guter Letzt sind diese Netzwerke ja nicht jungen Musikern vorbehalten. Bei Facebook ist das Durchschnittsalter der Nutzer um die 40. Und Neid? Nein, ganz bestimmt nicht. Ich habe selbst jahrelang eine Facebook-Seite aktiv betrieben, bis ich gemerkt habe, das viele Posts nur der eigenen Selbstdarstellung dienten und nicht der Auseinandersetzung mit meiner Arbeit. Mit der letzten größeren Änderung der Datenschutzbestimmungen zulasten der Nutzer habe ich mich von Facebook verabschiedet.
Sie selbst sind in einer Sinti-Künstlerfamilie aufgewachsen und nahmen bereits als Teenager Ihr Debütalbum auf. Wie hat Sie der frühe Erfolg geprägt?
Rosenberg: Wenn man eine Karriere mit 14 Jahren beginnt und vom eigenen Erfolg gejagt wird, dann zahlt man dafür einen Preis. In meinem Fall war es sicher auch der Verlust der eigenen Jugend. Während andere in diesem Alter versucht haben, sich am Leben zu probieren, wurde von mir verlangt, auf der Bühne einen professionellen Job zu machen. Aber das habe ich später nachgeholt, nachdem ich mich der Industrie verweigert und mich meinem eigenen Leben wieder zugewandt habe.
Mehrfach haben Sie versucht, am Eurovision Song Contest teilzunehmen. Verfolgen Sie die Veranstaltung? Und wie bewerten Sie sie aktuell?
Rosenberg: Richtiger wäre es zu sagen, meine damaligen Plattenfirmen haben versucht, mit mir an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Heute verfolge ich diese Veranstaltung nur am Rande und möchte sie daher auch nicht bewerten.
Ein Hit wie „Er gehört zu mir“ – ist der eigentlich Segen oder Fluch?
Rosenberg: In den 80ern und 90ern war es für mich ein Fluch, weil es mir die alten Erfolge oft schwer gemacht haben, wirklich neue Wege zu gehen. Heute habe ich mich mit meinen Hits versöhnt und kann alle sehr gut verstehen, die diese Songs immer wieder hören wollen. Es sind einfach gute Songs, und es gibt keine Tournee, wo diese Musik nicht ihren Platz in meinem Programm hat. Dabei variiere ich immer die Arrangements und passe sie meinem aktuellen Sound an. Mit guter Musik geht das.