Hamburg. Die Inszenierung „En leven Mann“ greift ernste Themen auf und begeistert das Publikum. Star des Abends ist Mogens von Gadow.

Oswald ist tot. Mit einem Spaten erschlagen. Der Mörder sitzt mit hängenden Schultern in der Wohnküche einer Villa. „Dat weer en Swien“, sagt er über den Toten. Oswald, ein ehemaliger Pastor, hat mit drei anderen Männern in einer geräumigen Wohngemeinschaft zusammengelebt. Eigentlich müssten sie nach der Bluttat die Polizei rufen. Doch sie warten ab. Warum musste der nicht sehr beliebte Oswald sterben? Warum bezeichnet Horst, der Mörder, ihn als Schwein? Nach und nach kommt die Wahrheit ans Licht. Die Verbindung zwischen Täter und Opfer geht weit zurück bis in den Zweiten Weltkrieg.

Als ein „kriminalistisches Kammerspiel“ bezeichnet Max von Berg sein Stück „Erntedank“. Regisseur Frank Grupe hat es ins Plattdeutsche übersetzt und unter dem Titel „En leven Mann“ in Szene gesetzt. Eine nicht ganz einfache Aufgabe, denn die Vorlage springt häufig zwischen zwei Schauplätzen hin und her. Auf der einen Seite spielt das Stück in der Rentner-WG, in der Oswald (Wolfgang Sommer), Siegbert (Jürgen Uter) und Lothar (Olaf Kreutzenbeck) zusammen mit ihrem dementen Freund Otto (Mogens von Gadow) leben. Der andere Handlungsstrang läuft auf einer Polizeistation, wo Kommissarin Menke (Birte Kretschmer) Siegbert verhört, um den Mord aufzuklären. Bühnenbildnerin Félicie Lavaulx-Vrécourt hat das Problem auf einfache Art mit Licht und einer fahrbaren Wand gelöst, so dass die Umbauten kurz sind und die Spannung durch die Szenenwechsel nicht verloren geht.

Grupe und Intendant Christian Seeler wollten „En leven Mann“ schon längst in den Spielplan des Ohnsorg-Theaters aufnehmen, doch „wir brauchten dieses Ensemble von wunderbaren alten Säcken“, wie Seeler bei der Premierenfeier erzählt. Vor allem wollten Regisseur und Intendant unbedingt den 85 Jahre alten Mogens von Gadow dabei haben, doch dessen Terminkalender wies erst in diesem Frühjahr eine Lücke auf.

Aus dem starken Ensemble ragt Gadow in der schwierigen Rolle des demenzkranken Otto heraus. Es wäre einfach, die Figur als einen vergesslichen Trottel anzulegen und für die entsprechen Lacher zu sorgen. Doch Gadow spielt den Otto als einen verwunderten alten Mann, der wie aus einer anderen Welt gefallen wirkt. Wenn er immer wieder im Schlafanzug zum Frühstück kommt, dieselben Fragen wiederholt und Horst wie in einer Schleife als „en leven Mann“ wiedererkennt, hat das nichts Witziges, sondern etwas Rührendes. Unter die Haut geht auch Dziallas’ Beschreibung seiner Kriegsgefangenschaft, die ihn schwer traumatisiert hat. Jahrzehnte nach Kriegsende lassen ihn die Erinnerungen nicht los. Der Schauspieler lässt die Zuschauer in einen Abgrund blicken. Bei der Premiere ist es im Saal mucksmäuschenstill, gebannt hört das Publikum der drastischen Schilderung zu.

Frank Gruppe und seinem Ensemble ist mit „En leven Mann“ ein ernsthafter und sehenswerter Abend gelungen, der wieder einmal zeigt, auf welch hohem Niveau im Ohnsorg-Theater gespielt wird. Von der Ohnsorg-Gemütlichkeit bleibt bei diesem Stück nicht viel nach. Die Inszenierung ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Volkstheater sich gewandelt hat. Das Publikum nimmt die dramatische Geschichte vorbehaltlos an und applaudiert begeistert. Gelacht werden darf am Heidi-Kabel-Platz wieder Ende Mai. Dann inszeniert Michael Bogdanov die Komödie „Der nackte Wahnsinn“.

„En leven Mann“ läuft bis 28. Mai am Ohnsorg-Theater, (U/S Hauptbahnhof), Heidi-Kabel-Platz 1, ab 23 Euro unter T. 350 80 30; www.ohnsorg.de