Hamburg. Der Hamburger Sänger Bill Ramsey ist einer der letzten Entertainer seiner Generation. Jetzt trat er im St. Pauli Theater auf.

„,Zuckerpuppe‘ könnt ihr ja, das brauchen wir nicht machen“ – Bill Ramsey blättert weiter in seinem dicken Songbook auf dem Notenständer vor ihm. „,Tenderly‘! Achim, du kommst dann mit Power rein à la Oscar Peterson, ja?“. Es läuft die finale Probe für das Geburtstagskonzert von Bill Ramsey am Montag im St. Pauli Theater. In drei Stunden öffnen sich die Eingänge, und auf der Bühne wird von Ramsey und seiner Band, dem Achim Kück Quartett, noch eifrig an den Songs geschraubt. Tonarten, Soli, Ansagen, Reihenfolge – wer seit sieben Jahrzehnten Musik lebt, macht es sich nicht einfach, 30 Lieder aus einem unerschöpflichen Angebot zu wählen.

Am Sonntag feiert Bill Ramsey seinen 85. Geburtstag, ein Alter, in dem mancher nur noch Fahrgast im eigenen Körper ist. Entsprechend ökonomisch lässt Ramsey es beim Soundcheck angehen. Er singt, wie auch später am Abend beim Konzert, im Sitzen. Totaler Energiesparmodus, kein Fuß wippt im Takt, keine Hand schnippt, Kraft sparen für zwei Stunden Showtime. Ramseys Frau – und Managerin – Petra kommt bei „Tenderly“ auf die Bühne und streichelt ihrem Mann zärtlich die Wange. „Passt du auf deine Stimme auf?“, mahnt sie. „Ja, ich pass auf“, antwortet Bill und lächelt. Kaum ist sie von der Bühne gegangen, testet er vorsichtig die höheren Tonlagen. Mal schauen, was geht. Schlingel.

„Diese Wandlungsfähigkeit, diese Stimme, auch mit 85 berührt die mich immer noch, dass sich die Härchen aufstellen“, erzählt Stefan Gwildis. Der Barmbeker Soulbruder, der Ramsey vor vielen Jahren bei einem gemeinsamen Auftritt mit Eddy Winkelmann kennenlernte, ist Gaststar an diesem Abend. So geheim, dass selbst der Mann am Mischpult überrascht ist, als Gwildis bei der Probe auftaucht. „Man hätte ja auch mal Bescheid sagen können“, brummt er und treibt ein Mikrofon für Gwildis auf. Ramsey, Gwildis und Band proben „Mond über Hamburg“ und „(Sittin’ On) The Dock Of The Bay“ und jammen mit sicht- und hörbarem Spaß. Es könnte eigentlich schon losgehen, aber Ramsey muss noch etwas ausruhen, Gwildis jemanden finden, der sein Bühnenhemd bügelt („Bin seit vier Tagen unterwegs“), und das Kück Quartett stürzt sich in Details zwischen As-Dur und Gis-Dur.

Man darf nicht vergessen, dass Bill Ramsey natürlich nicht mehr so singt wie einst, ungebremst kraftvoll mit einer Raspelstimme wie Schleifpapier mit 80er-Körnung. Eine „schwarze“ Stimme, wie man früher meinte, „man muss nur die Augen schließen“, sagte Ella Fitzgerald über ihn. Und jeder dieser Töne landet heute auf der Rechnung, die die Gesundheit einem irgendwann präsentiert. Die ist lang bei Ramsey. 1931 wurde er in Cincinnati, Ohio, geboren und ist nach seinem Wehrdienst bei der US Air Force in Frankfurt 1951 in Deutschland geblieben. Seit 1984 ist er deutscher Staatsbürger und lebt seit 1991 in Hamburg. Und als er 1962 auf dem Titel der „Bravo“ war (die ihre Leser damals noch siezte), hatte er schon viele Jahre in der hiesigen Jazz-Szene verbracht. Bis er „was Lustiges“ machte, um mit der Musik auch mal Geld zu verdienen: 30 Kino- und Fernsehfilme, ungezählte Alben, Singles, Konzerte auf nahezu jeder Bühne „Zwischen Shanghai und St. Pauli“ (Filmtitel), TV-Shows und Radiosendungen. James Brown nannte man „the hardest working man in show business“, aber nicht weit dahinter kommt schon Bill Ramsey.

Showtime. Unter großem Applaus im vollen Saal spaziert Ramsey im Smoking auf die Bühne. „Caldonia“, „Fly Me To The Moon“ und „Put Your Hand In The Hand“ grooven lässig. Der Bass von Larry Bartels marschiert forsch, Achim Kücks Finger flattern über die Klaviertasten, Schlagzeuger Ralf Jackowski lässt die Hi-Hat zischen und Thomas Zander das Sax fetzen. Jazz. Blues. Boogie. „Und jetzt kommt ein Swing“, kichert Ramsey und überrascht seine 500 Fans mit zwei Schlagern, die eigentlich nicht mehr zu seinem Live-Repertoire gehören: „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ und „Zuckerpuppe (Aus der Bauchtanzgruppe)“. Ramsey rollt zwar dabei nicht mehr wie in seinen Spielfilmauftritten in den 60ern mit den Augen, dass sie rauszukullern drohen wie Billardkugeln aus der Ballausgabe, aber sie blitzen belustigt. Schlingel.

Ramsey hat den Energiesparmodus abgeschaltet. Er klatscht, wippt, schnippt, schäkert und ist voll und ganz der Jazz- und Swing-Boy einer immer kleiner werdenden klassischen Entertainergarde. Paul Kuhn, Max Greger, Hugo Strasser, James Last, sie alle waren Wegbegleiter von Ramsey und sind in den letzten drei Jahren gegangen. Umso schwerer ist der Verlust eines zu früh gestorbenen jungen Fackelübernehmers wie Roger Cicero, dem Bill Ramsey „Under My Skin“ widmet.

Der „Fat Man“, wie Ramsey auf seinem aktuellen Doppelalbum „My Words“ selbstironisch textete, ist aber noch da und singt „Makin’ Whoppee“ und – großartig und kraftvoll von Kück arrangiert – „Sunny“ an diesem „Stormy Monday“. Das Soul-Duett mit Stefan Gwildis, die englisch-deutsche Mischung aus „(Sittin’ On) The Dock Of The Bay“ und „Mitten vorm Dock Nr. 10“ wird begeistert aufgenommen. Auch „Mackie Messer“ und das Solo von Thomas Zander bei „Autumn ­Leaves“ komme sehr gut an. Es ist ein berührender Auftritt mit Liedern, die sich vor Ella Fitzgerald, Frank Sinatra, Otis Redding, Ray Charles und Louis Armstrong verbeugen.

Nach dem balladesken Finale mit „Georgia On My Mind“, „What A Wonderful World“ und „Over The Rainbow“ schreitet Ramsey langsam von der Bühne. Ebenso gemessen macht sich ein Besucherpaar im hohen Alter, Arme untergehakt, auf den Weg Richtung Ausgang. Höflich wird ihnen die Tür aufgehalten: „Zum Ausgang geht es dort lang.“ „Nein, nein, da geht es lang“, antwortet die Dame und bugsiert ihren Mann in Richtung Tür zur benachbarten Bar, „wir gehen noch was trinken.“