Hamburg. Hamburger Michel Abdollahi wurde bundesweit bekannt als Reporter, der aus einem Nazi-Dorf berichtete. Jetzt bekommt er eine Talkshow.

Ihn zu treffen ist gar nicht so einfach. Persönlich wie auch inhaltlich. Viel beschäftigt, der Mann – und weit gereist. Warum nicht ein Date in Eidelstedt? Da kennt er sich doch aus, dort ist er aufgewachsen.

Nun aber sitzt Michel Abdollahi – fesches helles Hemd unter dem grünen Rundkragen-Pullover – auf einem Sofa im Petit Café in der Neustadt gleich neben der Kulturbehörde. In der war er sogar schon mal, erzählt Abdollahi. Er hatte gehofft, dass er Geld lockermachen könne für seine Poetry-Slam-Reihe „Kampf der Künste“. Doch so einfach ging das nicht. Ist mehr als zehn Jahre her, diese Geschichte, und nur ein ganz kleiner Teil seiner Biografie.

Schon mit 18 erlebte Michel Abdollahi im Kiez-Kellerclub Molotow beim „Machtclub“ sein Debüt als Poetry-Slammer. Er gewann. Als stets schnieke gekleideter Moderator, als charmant-gewitzter, manchmal fast schon überheblicher Zeremonienmeister, als das Gesicht des Dichterwettstreits „Kampf der Künste“ ist er in Hamburg und darüber hinaus bekannt geworden.

Im Petit Café grüßt ihn an diesem frühen Nachmittag ein junger männlicher Gast – beide haben den gleichen dunklen Teint – und fragt sehr höflich, ob er ein Foto von ihm und sich machen könne. Er heiße Kerim, sei in der Jugendarbeit der Al-Nour-Moschee in Horn engagiert und arbeite in der City als Software-Berater, erzählt er. Später gern, sagt Abdollahi. Erst mal posiert er für das Abendblatt.

Ein Regisseur namens Reiner Zufall hätte es nicht besser inszenieren können: Treffen sich ein Deutsch-Iraner (Michel Abdollahi), ein Iraner (Kerim) und ein gebürtiger Chilene (der Abendblatt-Fotograf) in einem französischen Café in Hamburg – und der deutsche Autor muss an dem halbwegs vertrauten, vorgeschlagenen Ort erst mal mit seinen Fragen warten.

Gefragt ist Abdollahi mehr denn je, seit er im Januar den Deutschen Fernsehpreis erhielt: Er wurde dank seiner Reportage „Im Nazidorf“ (Panorama – die Reporter) und seiner Straßenaktionen im NDR-„Kulturjournal“ für die „Beste persönliche Leistung Information“ ausgezeichnet. Schon seit 2014 ist Abdollahi im NDR Fernsehen als festes Mitglied des „Kulturjournals“ sowie als Sonderreporter für besondere Anlässe unterwegs. Seine Beiträge finden Beachtung in den Medien, auch in den sogenannten sozialen.

Angst? Nein, die habe er im Vorjahr bei seiner viel beachteten Dokumentation über das Dorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern nicht gehabt, sagt Abdollahi. Die Reportage lief im Oktober während der „ARD Themenwoche Heimat“ und zeigte, wie er im Örtchen aus zehn Häusern mit Genehmigung eine Holzhütte mitten auf der Dorfwiese errichtete: Einen Monat lang diente sie Abdollahi als Zuhause. Kurz zuvor war in dem Dorf mit dem Wandgemälde einer arischen Familie und der Parole „Frei – sozial – national“ die Scheune des Ehepaares Lohmeyer, das sich seit Jahren gegen Nazis engagiert, angezündet worden. Mit dem kameraerfahrenen Ober-Nazi aus Jamel war der Hamburger Michel relativ schnell per Du, mit den meisten anderen der 40 Dorfbewohner kam er kaum ins Gespräch. Abdollahis Idee, den sogenannten „Eiffelturm von Jamel“ (u. a. mit dem Wegweiser „Braunau 855 km“, der Distanz zum Geburtsort Hitlers) um das Schild „Teheran 4370 km“ zu ergänzen, hatte ebenso wenig Bestand.

„Ich habe mich vom Begriff Heimat emanzipiert“, sagt Michel Abdollahi am Tisch im Petit Café. Als Fünfjähriger war er 1986 aus Irans Hauptstadt nach Hamburg gekommen. Per Linienflug. „Eine Flüchtlingsbiografie kann ich leider nicht vorweisen“, bemerkt er mit trockenem, selbstironischem Humor. Dieser prägt auch seine Moderationen und improvisierten Plaudereien auf der Bühne sowie in seinen TV-Beiträgen.

Abdollahis Eltern hatten beruflich viel zu tun. Trotzdem möchte Michel seine Kindheit in Eidelstedt mit dem Besuch der Julius-Leber-Gesamtschule in Schnelsen bis hin zum Abitur (Note: 2,3) nicht missen. Ebenso wenig die regelmäßigen Ferien in Teheran und Umgebung. „Urlaub zu machen in dem Land, in dem du die Sprache sprichst, das hat etwas“, meint Abdollahi. „Das Interessante ist, dass es für mich nicht fremd ist.“ Das Fremdsein führe oft zu einer Vereinzelung, und die wiederum führe dann zu Angst. Auch zu Angst vor dem Fremden.

Dementsprechend wurde seine TV-Aktion „Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?“ sogar als Vorbild in der Islamdebatte kopiert. Mit eben jenen beiden Sätzen auf einem weiß-grünen Schild hatte Abdollahi, wiederum mit hellem Hemd, Krawatte und dunklem Mantel gekleidet, an einem Wintertag auf dem Jungfernstieg den Dialog gesucht – die Probe aufs Exempel nach dem Motto: Alle reden über den Islam. Aber wer redet mal mit einem Muslim? „Ich bin alter Hamburger – und Sie sehen aus wie ein richtiger Hanseat“, staunte da etwa ein älterer Passant. Hamburgerinnen äußerten sich dabei aber auch kritisch zur Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft. Michel Abdollahi zeigte Verständnis und steckte einer Dame im TV-Beitrag, dass sein Vater zu Hause derjenige gewesen sei, der unterdrückt worden sei. Humor hilft, kann aber nicht alles verschleiern.

Diesen Beitrag kennt auch Kerim, der junge iranische Software-Berater aus der Hamburger City, er hat ihn im Netz gefunden, und er hat ihm gefallen. Kerim, dessen Frau währenddessen im Hintergrund wartet, bedankt sich zum Abschied noch einmal für das Handy-Foto mit Abdollahi und äußert die Hoffnung, dass der TV-Reporter auch in seiner Gemeinde in Horn vorbeischauen werde. Ein paar Worte auf Persisch noch, eventuell später ein Kontakt auf Facebook. Man sieht sich – wenn es denn passt.

Dass seine Partnerin auch ein Kopftuch tragen könnte wie die Begleitung des höflichen iranischen Landsmannes, könne er sich nicht vorstellen, erzählt Abdollahi später. Der 34-Jährige, der sich heute gern als „unterhaltenden Journalisten“ bezeichnet, wirkt – auch dank seiner bereits grau melierten Haare – stets wie ein Mann von Welt. Seine wachen braunen Augen blicken erklärend und fragend zugleich. Der studierte Jurist ist eben ein Mann für viele Fälle und für mehrere Gelegenheiten.

Abdollahi, der Conferencier:

Vom Zeise-Kino in Ottensen über den Bunker-Club Uebel & Gefährlich an der Feldstraße, das Ernst Deutsch Theater, das Thalia und das Deutsche Schauspielhaus bis zur noch größeren Laiesz­halle hat Abdollahi mit den Poetry-Slams vom „Kampf der Künste“ auf fast allen Hamburger Bühnen moderiert. Sein Label, das er mit seinem Schulfreund, dem gelernten Filmtheaterkaufmann Jan-Oliver Lange, und seinem Ratgeber Robert Oschatz betreibt, gilt längst als größter unabhängiger Hamburger Kulturveranstalter und ist ein Exportschlager. In Luxemburg hat Abdollahi ebenso schon moderiert wie 2011 beim Sommerfest des Bundespräsidenten auf Schloss Bellevue.

Abdollahi, der Mann der Rekorde:

Als Highlight moderierte er 2011 das Finale der 15. deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry-Slam in der O2 World in Hamburg. Mit der Veranstaltung vor 4500 Besuchern im vorigen August auf der Trabrennbahn Bahrenfeld stellten Abdollahi und der „Kampf der Künste“ zudem den größten Poe­try-Slam der Welt auf die Beine.

Abdollahi, der Botschafter:

Einladungen des Goethe-Instituts ist er mehrfach gefolgt, gleichfalls denen sogenannter NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und von Stiftungen. An den Universitäten von Kairo, Mexiko-Stadt und Tunis sowie in Berkeley (Kalifornien) hielt er Gastvorträge.

Abdollahi, der Jugendhelfer:

Neben seiner Moderationstätigkeit engagiert er sich für benachteiligte Jugendliche. Er ist Vorsitzender von Zweikampfverhalten e. V., einem vielfach ausgezeichneten Anti-Aggressionsprogramm für Jugendliche.

Abdollahi, der Senats-Mitarbeiter:

Sieben Jahre lang, bis Ende 2009, ging der Teheraner unter CDU-Bürgermeister Ole von Beust in der Senatskanzlei fast ein und aus. Abdollahi war nach einem Praktikum für sein Jurastudium dort hängen geblieben. Besonders nützlich machte er sich 2005 beim traditionellen Matthiae-Mahl als Begleiter des jordanischen Königs Abdullah II. – Abdollahi spricht auch Arabisch.

Deutsch sprechen gelernt hat Michel Abdollahi als kleiner Junge bei einem Kursus im Eidelstedter Bürgerhaus. Dafür ist er bis heute dankbar; es zeigt sich auch daran, dass er dort seit 2003 alljährlich die Hauptrunde des Hamburger Comedy-Pokals moderiert – für ein Taschengeld.

Und Eidelstedt sonst? „Da ist nichts, was einen inspiriert“, findet Abdollahi. Zumindest nicht kulinarisch. Von seinen Schulfreunden sei er derjenige gewesen, der am Längsten in dem nordwestlichen Stadtteil Hamburgs gelebt habe. 23 Jahre. Jetzt wohnt Abdollahi in der Altstadt. Dort, wo viele andere arbeiten, Menschen unterschiedlicher Branchen und Nationalitäten.

„Raus aus der Komfortzone“, sagt sich Abdollahi indes. Das mit dem NDR entwickelte Projekt einer neuen von ihm moderierten Talkshow mit nur einem Gast aus einem U-Boot im Hamburger Hafen ist schon lange startklar, aber noch immer nicht terminiert. So schreibt er weiter Kurzgeschichten und übersetzt klassische persische Gedichte. In seinem Zweitstudium, Sprache und Kulturen des Vorderen Orients mit den Schwerpunkten Islamwissenschaften und Iranistik, will Abdollahi demnächst sogar noch promovieren.

Man lernt eben nie aus. Und Männer wie er mit zunehmend grauen Haaren gelten ja für viele – Frauen vor allem – als besonders interessant.