Kapstadt. Der Gospel- und Musikabend „African Angels“ vereint Oper, Musicalhits und traditionelle Songs. Ein Besuch in der Heimat der Show.
Es ist ein ganz normaler Sonntagmorgen in Kapstadt. Die Sonne steht wie eigentlich jeden Tag in diesem Sommer gleißend am Himmel. Das Blau ist besonders blau, das Grün leuchtet satter als anderswo. Die von Palmen umringte Methodistenkirche im Stadtteil Langa, einem der ältesten Townships in Südafrika, heute Teil von Gugulethu, liegt ruhig da. Langsam füllt sie sich, und plötzlich bricht es los.
Ein Gospelgottesdienst ist wie eine Naturgewalt. Auf der Kanzel steht der Pfarrer, breitet die Arme aus, der Keyboarder wirft sich auf die Tasten, beide singen aus voller Kehle – und alle stimmen ein. Nicht nur der rechts platzierte kleine Gospelchor. Mittendrin eine junge Frau mit Hunderten kleiner Zöpfe bis zum Po. Busi Ngejane leiht dem Gottesdienst jeden Sonntag ihren klaren, schönen Sopran. Später wird getanzt, alte Männer wiegen ihre Hüften und wippen im Rollstuhl. Die Ekstase steigert sich bis in die Mittagsstunden, ein offizielles Ende gibt es nicht.
Busi Ngejane hat von hier aus ihre Karriere als Sängerin gestartet, stand für die renommierte Cape Town Opera bereits in „Die Zauberflöte“ und „La Bohème“ auf der Bühne. Eine Karriere, die sie derzeit nach Deutschland führt. Seit Dezember steht sie als eine von 18 Sängerinnen und Sängern für „African Angels“ auf der Bühne. Die Show, die zum zweiten Mal durch Deutschland und die Schweiz tourt, ist keine reine Gospelshow, sie vereint Opernklassiker, Musicalhits und traditionelle südafrikanische Songs. Ausgedacht hat sie sich Operndirektor Michael Williams. Umgesetzt wird sie vom musikalischen Leiter José Dias und der Choreografin und Regisseurin Jacki Job.
Gugulethu stehe für Stolz, erzählt Busis Mutter. Die Besucher aus dem fernen Deutschland sitzen bei der Krankenschwester zu Hause auf dem Sofa. Zwei kleine Jungs balgen sich um die TV-Fernbedienung. Wie in allen Häusern des Stadtteils, der im Zuge des Group Areas Act von 1950, der Schwarzen das Wohnen in den Städten verbot, errichtet wurde. Es gibt auch Blechhütten, doch das Stadtbild dominieren inzwischen Einfamilienhäuser aus Stein mit guter Strom- und Wasserversorgung. „Südafrika steht für Freude und Multikulturalität, wenn man die Gewalt ausblendet“, sagt Busis Mutter. „Hier gelten Menschen, die nach Übersee gehen, als verrückt.“ Sicher, es gebe Riten, die im Westen fremd erscheinen, wie die Beschneidung junger Männer aus dem Xhosa-Volk. Bis heute überleben manche den Ritus nicht. Es gibt Momente in ihren Erzählungen, da scheint die „westliche“ Musik sehr fern.
„Wir haben einen Chorhintergrund mit afrikanischen Komponisten. Dann erfährst du von Wagner und Verdi und fragst dich, was ist das? Was mache ich mit dieser Musik eines Mannes, der schon so lange tot ist“, erzählt Busi Ngejane. „Ich liebe Rhythmus. Wenn Musik keinen Rhythmus hat, gerate ich in Panik. Mein Instrument ist die Jembe, die Trommel. Wenn jemand traurig ist, wird er sich bewegen, sobald ich sie spiele. Ich habe mein Solo in der Show. In Südafrika steckt Rhythmus in jeder Bewegung.“ Über eine Audition kam sie vor zwei Jahren in den Chorus der Cape Town Opera. Ihre Erfahrungen bislang? „Ich kann keine Fünf-Stunden-Oper im Stehen singen. Ich muss mich auf der Bühne bewegen.“
Das Wohnzimmer des Tenors Lusindiso Dubula ein paar Straßen weiter sieht ähnlich aus. Auch hier läuft ein überdimensionaler Fernseher. Auch Dubula begann im Chor seiner Heimatstadt King Williams Town am Ostkap. Im Alter von 17 Jahren wurde er bei einem Highschool-Wettbewerb zum besten Tenor des Jahres 1997 gewählt. Mit 36 Jahren gehört er zu den erfahrenen Sängern im Cast. Er hat ebenfalls internationale Bekanntheit erlangt in dem Kinofilm „U-Carmen“, einer südafrikanischen Carmen-Version, die auf der Berlinale 2005 den Goldenen Bären erhielt. „Bei uns gibt es Singen, Tanzen, alles. Wir singen von Kindheit an. In der Schule, dann im Kirchenchor. Wir haben Coachings.“ Dubula ist der Lustige unter den Sängern mit seinem Faible für elegante Hemden und Retro-Fliegerbrillen. Er liebt es, vor Fotografen nicht nur zu posieren, sondern dabei auch mal eine Arie zu schmettern.
Ein ganz normaler Sonntag in Kapstadt also. Dazu gehört, dass man nach dem Gottesdienst ordentlich isst, trinkt und feiert. Das tun die Sänger im Kwa Ace Groova Park. Einer Art Barbecue- Picknickstation an einer staubigen Straße von Khayelitsa, dem größten Township von Kapstadt. Ein schmaler Gang führt in die Küche. Vier Männer wenden hier bei gefühlten 80 Grad Unmengen von Hammel-, Schwein- und Rindfleisch. Draußen packen die Sänger kaltes Bier aus Kühlboxen, dazu Salat, Hirse und Chakalaka, eine spezielle südafrikanische Gemüsezubereitung auf Tomatenbasis. Aus Autos dröhnt Hip-Hop- und House-Musik. Auch die kommt bei den Vertretern der klassischen Musik sehr gut an. „Wir hören alles“, sagt Dubula. Um die Unterschiede zwischen E und U schert sich niemand.
Am nächsten Morgen, ein Probenraum in einem Gemeindezentrum. Insgesamt 24 Mitglieder zählt die Cape Town Opera, von denen 18 nun durch Deutschland reisen. José Dias, Unterhemd, Flipflops und die langen Haare im Zopf gebändigt, spielt ein paar Pianoläufe an. Am Ende des Spirituals „Elijah Rock“ klingt der Chor so schrill, dass es die Fenster fast zum Bersten bringt. Sechs Stunden lang wird jeden Tag am Programm gefeilt.
Jacki Job gibt Positionen vor. „Alle Augen auf mich“, ruft sie während der Choreografie-Probe. Die drahtige Frau mit den kurzen Locken gibt die Vorturnerin und ist dem Chor immer eine Bewegung voraus. „Wer Stimmen liebt, muss diese Show mögen“, sagt Dias. Tatsächlich bietet „African Angels“ für jeden etwas, vom „Chor der Diener“ aus „Don Pasquale“ von Giovanni Donizetti bis zum „Gefangenenchor“ aus Verdis „Nabucco“, auch eine lange Passage aus „Porgy and Bess“. Dazwischen erklingen klassische afrikanische Traditionals wie das dem Übervater des Landes, dem vor zwei Jahren gestorbenen Nelson Mandela, gewidmete „Baba Yetu“. Die Musik Südafrikas beruht, anders als die Europas, ausschließlich auf mündlicher Weitergabe von einer Generation zur nächsten. Es klingt wie ein Klischee, aber in Südafrika scheint tatsächlich immer jemand zu singen. Nicht nur bei Hochzeiten und Beerdigungen, sondern auch beim Einkaufen.
Die Cape Town Opera ist hervorgegangen aus den vier Arts Councils während der Apartheid. „Ziel war, die europäische Kunst in Drama, Oper, Ballett und Klassik zu verbreiten“, erzählt Opernchef Michael Williams. Er berichtet, dass die Oper schon in den 1980er-Jahren nach schwarzen Sängern in den Townships suchte, intensiv ausbildete und ein eigenes Team aufbaute, das nicht mehr nur europäische Kunst darbot, sondern die eigenen Traditionen mit einbezog.
Auf Tourneen nach Spanien, England und Deutschland überlegte Williams, wie die Truppe etwas zurückgeben könnte von ihrer eigenen Kultur. Und so gab es auf einmal Flashmobs auf der Rambla und Chorsessions in Kirchen. Die waren so beliebt, dass Williams schließlich ein ganzes Programm kreierte, das Oper, Musical und traditionelle Folksongs vereinte. Und wenn am Schluss des Reigens Busi und die anderen das fetzige „Champagnerlied“ aus der Johann-Strauß-Operette „Die Fledermaus“ singen, hat man das Gefühl, ein ganz neues Stück zu hören.
„African Angels“ Mi 24.2., 20.00, Laeiszhalle, Karten 33,- bis 58,- unter der HA-Tickethotline30 30 98 98; Die Reise der Autorin wurde ermöglicht durch South African Tourism