Hamburg. Der langjährige „Stern“-Fotograf Volker Hinz aus Hamburg hat Bilder seines Arbeitslebens in einem Buch gebündelt.
Volker Hinz ist ständig verknallt. Immer nur für Sekundenbruchteile und immer wieder in andere und anderes. Aber das schon seit Jahrzehnten. Während seiner Arbeit für den „Stern“, weltweit so oft unterwegs, dass man lieber gleich aufhört mit dem Neidischsein, hat Hinz so ziemlich jeden außer Mao und Fidel Castro vor die Linse bekommen, was er heute noch bedauert. Für ein einzelnes Porträt-Foto eines Bestseller-Autors nach New York, mal in Japan gewesen und eine Woche nur durch die japanische Gegend spaziert, bis genügend Lokalaroma in ihm war, um irgendwann auch mal auf den Auslöser zu drücken. Das waren so die Zeiten, damals. „Fotografie ist die Summe der Möglichkeiten“, sagt er zu seiner Lebensaufgabe. Man muss sie eben nur haben und dann auch nutzen können. „Ich bin ja für das Spontane.“
Hinz hat 1977 das legendäre Foto von Beckenbauer und Pelé in einer Dusche in Florida gemacht, auf das er heute noch stolz ist, weil er da war, im richtigen Moment, und weil alles so perfekt passte. „Hinz malt Echtzeit“, wurde sein Können einmal beschrieben, „das kann man so stehen lassen“, findet er. Auch seine Bilder von Muhammad Ali haben historische Momente verewigt. Seit 2012 ist der jetzt 68-jährige Hamburger raus beim „Stern“, Ruhestand, er war der letzte Festangestellte seiner Art dort. Seitdem hat er mehr Zeit für Eigenes und das Sichten und Sortieren seiner Bestände.
Hinz ist ein Flaneur der Augenblicke, immer noch. Auch in Hamburg ist er nach wie vor gern auf der Motivpirsch. Er ist dann der für sein Gewicht leicht untergroße Herr mit der Hasselblad auf dem einen Arm, der besonders gern mit einem gut trainierten Pokerface durch Menschenansammlungen spaziert, um dann abzudrücken, wenn ihn keiner mehr bemerkt. Bloß keinen verfrühten Blickkontakt. „Stolen Moments“ nennt er diese Perspektive. „Ich bin ein Einbildfotograf“, und die Trefferquote dieser Methode ist beachtlich.
In dem etwa schwergewichtigen Bildband, den er beim Hausbesuch in Ottensen auf die Tischplatte wuchtet, hat er seiner Arbeit, seinen Kollegen und seiner Branche eine Liebeserklärung gemacht. Dass hin und wieder auch Prominente zu sehen sind, ist eher Zufall. Karl Lagerfeld beispielsweise, ein guter alter Bekannter, steht als um Aufmerksamkeit bettelnde Schaufensterpuppe hinter der Fensterscheibe seines Pariser Buchladens. Oder Barbara Schöneberger, der ein Paparazzo-Fotograf unverprügelt deren Dekolleté-Poren abfotografieren darf.
Doch dieses Buch zeigt vor allem die, die mit ihren Bildern etwas zeigen, es zeigt, dass ihre Kameras Teil ihres Körpers und die Bilder Teil ihrer Aura geworden sind. Vom großen Elliott Erwitt hat einmal Hinz nur dessen Leica fotografiert, mit dem schlunzigen Stoffbeutel für den Transport und einer Zigarre fürs Wohlbefinden. Ein Buch von einem Fotografen für Fotografen hat er komponiert. Die Künstler hinter den Sucher findet Hinz in seinen Porträts, und oft verkörpern sie dabei selbstverständlich ihren Stil. Altmeister wie André Kertesz zeigen klassische Würde, ein Kriegsfotograf wie James Nachtwey sieht aus ganz anderen Augen in die Welt als die Lifestyle-Größen Richard Avedon, Jürgen Teller, Martin Parr oder Helmut Newton. Candida Höfer sitzt wie gemalt, Andy Warhol steht wie ein bedröhntes Alien in einem New Yorker Club. Leni Riefenstahl fühlt sich als kleine alte Frau in einer Nische ertappt. Der schmale Grat zwischen Posen und Aufrichtigkeit wird von Hinz virtuos genutzt.
Daneben hat Hinz im Laufe seiner Karriere aber auch die für Fotografen chronische Langeweile beim Abwarten genutzt, um mit liebevoll inszenierten Moment-Aufnahmen sein inneres Tagebuch zu bebildern. Ein Kameraberg von Kollegen, Bilder von seiner Frau und den beiden Kindern. Ein Handabdruck im Staub, der sich auf einem Fotostapel angesammelt hat, als Erinnerung daran, wie Erinnerungen verblassen. Eine Zeitung als Stillleben auf einem Hotelbett in den USA, 2009, mit der Nachricht, dass der legendäre Kollege Irving Penn gestorben ist. Hinz hatte ihn noch getroffen, „das war wie Gott begegnen“.
Am 13. November, dem Abend der Anschläge, war Hinz bei einer Fotomesse in Paris, er saß abends mit seinem Verleger in einem Restaurant, als sein Sohn anrief, ob es ihm gut gehe. Kein Reflex-Griff zur nächstbesten Kamera? „Das ist nicht meine Welt, ich bin kein News-Fotograf“, antwortet er. „Das, was da ist, das will man nicht sehen. Das will keiner sehen.“ Ein garantiert wunderschönes Schwarz-Weiß-Landschaftspanorama von Ansel Adams zeigt Hinz in seinem Werk-Katalog lediglich von hinten, gehalten von behandschuhten Händen. Reicht. Den Rest kann und soll man sich denken. „Ich liebe es, wenn mit einem Bild alles abgedeckt ist.“
Volker Hinz „In Love With Photography“. Text: Peter-Matthias Gaede. 424 S. Handsignierte Edition, 1000 Exemplare. Edition Lammerhuber, 249 Euro.