Hamburg. „A Head Full Of Dreams“, das siebte Album der Popband Coldplay, ist ab Freitag im Handel. Im Sommer spielen die Briten in Hamburg.
Es gibt einige Musikhörer, die schöne Popsongs mögen, aber die englische Band Coldplay verachten. Obwohl sie nachweislich schöne Popsongs schreibt. Das ist natürlich immer wieder auch mit der billig zu habenden Haltung verbunden, den Mainstream grundsätzlich zu hassen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Ich etwa finde die Foo Fighters immer schon so unglaublich bescheiden, dass ich jeden Tag ihre CDs entsorgen könnte. Wenn ich denn überhaupt welche hätte.
Von Coldplay erscheint jetzt mal wieder eine neue CD, sie soll fürs Erste angeblich erst einmal die letzte sein, und sie bietet leuchtende Beispiele der großen Coldplay-Kunst, mit schwelgerisch-jubilierenden Chören und Chris-Martin-Kopfstimme-Orgien all denjenigen auf die Nerven zu fallen, denen der Mainstream-Faktor als Hass-Faktor noch längst nicht reicht.
Auf „A Head Full Of Dreams“ sind so viele „Lalala“- und „Ohohooo“-Chöre, dass einem davon schlecht werden kann – oder dass man einfach so ins Mitsummen und Mitsingen gerät. Das ist die andere Alternative, der wir uns entschieden anschließen wollen. Es gibt ein Grundrecht auf Hymnen, und niemand hat sie zuletzt so verlässlich geliefert wie die Pop-Weltmacht aus England.
Es fühle sich an wie „das Finale einer Geschichte“, hat Martin gesagt, „sei aber nicht notwendigerweise das Ende der Band“. Was, na klar, so klingt, als nähme die Band lediglich ein mehrjähriges Sabbatical, um dereinst mit Aplomb wiederzukommen. Ihr Ende vor der großen Pause zelebriert sie, indem sie so bonbonhaften Pop macht wie noch nie. „A Head Full Of Dreams“ ist wirklich ein Wunderwerk der guten Laune, ein penetrant fröhliches Fanal gegen schlechte Vibrationen. Die Stücke heißen „Hymn For The Weekend“, „Up & Up“, „Amazing Day“, „Fun“ oder „Adventure Of A Lifetime“ – es ist alles so dermaßen auf die Spitze getrieben, dass es schon wieder toll ist.
Auf der letzten, der sechsten Platte, „Ghost Stories“, verarbeitete Martin die Trennung von Gwyneth Paltrow (wir erinnern uns an die Devise des Glamourpaares, sie lautete: „bewusstes Entpaaren“). Die Post-Scheidungs-Depression kehrt sich nun in Disco-mäßige Flowerpower-Rhythmen wie in der ersten Single „Adventure Of A Lifetime“ um.
In „Yellow“ rannte Martin einst an einem verregneten Strand der Sonne entgegen. Lange her, es waren die unbeschwerten Jahre der schon früh als langweilig gescholtenen Gruppe. Sie wollte nie etwas anderes als die Weltherrschaft. Was sie von den ungleich bescheideneren Travis deutlich unterschied.
Kollaboration mit Beyoncé
Bei Coldplay ist die prinzipielle Offenheit für die ganz große Geste und die maximalmögliche Eingängigkeit spätestens seit dem Album „X&Y“ die Devise, und dass der erstaunlich unkränkbare Martin (hat er sich je über Verrisse und Verächtlichmachungen beschwert?) seit Längerem den Schulterschluss mit den Popgeschäft-Titanen sucht, ist nur konsequent.
Früher gab es Kollaborationen mit Jay-Z und Rihanna, diesmal schneite Beyoncé im Studio vorbei, um im „Hymn For The Weekend“ kurz mitzuträllern. Es ist alles bemerkenswert leichtfüßig hier, man wähnt sich hawaiihemdtragend auf einer quietschbunten Beachparty.
Nach der Trennung von Paltrow fing der Hungerhaken Martin an, wieder Fleisch zu essen. Seine Band dagegen ist immer federnder geworden. Mit jeder Platte mehr haben sie sich gitarrenmäßig entschlackt und gleichzeitig, was die Stadiontauglichkeit angeht, immer weiter aufgerüstet: kein Paradoxon, sondern Gesetzmäßigkeit.
Das neue Album ist insgesamt ein Zwilling des vorletzten, „Mylo Xyloto“. Es fällt ihnen nichts Neues mehr ein, das kann man schon so sagen, wie überhaupt die Jubelmelodien und nonverbalen Refrains bei Coldplay in dem Moment Einzug hielten, als sich die Ideen nicht mehr von selbst einstellten.
„But didn’t we have fun?/Don’t say it was all a waste/Didn’t we have fun?/Ohhhh oooh oooh!/From the top of the world/Top of the waves“, singt Martin entrückt in „Fun“, und die Welle haben sie jedenfalls geritten, so viel ist klar. Aber sie läuft jetzt erst mal aus.
Und so erscheint die Idee, das große Coldplay-Theater mit all dem Bombast und Schönklang fürs Erste zu schließen, als eine sehr gute und konsequente. Man wird wohl merken, dass sie irgendwie fehlen, aber der Abschied ist ja noch weit hin: Am 1. Juli gibt es im Volksparkstadion das gigantische Sommer-Open-Air zu gigantischen Preisen. Tickets gibt’s ab 125 Euro. Eine Hymne auf den Kapitalismus, auf Angebot und Nachfrage!