Hamburg. Die große Chanson-Sängerin Juliette Gréco ist auf Abschiedstournee. Am heutigen Mittwoch gastiert die Französin in der Laiszhalle.

Sentimental? Nein, sentimental mache dieses Abschiednehmen sie überhaupt nicht, sagt Juliette Grécomit ihrer tiefen Stimme übers Telefon aus Paris. Dieser Abschied sei vielmehr: grausam. Während der Konzerte sei kein Platz fürs Nachsinnen darüber, dass sie in dieser Stadt, auf jener Bühne nun zum allerletzten Mal in ihrem Leben steht. Aber hinterher, im Hotel, in der Nacht, wenn sie mal wieder keinen Schlaf findet, dann kommen die Gedanken an das letzte Mal über sie wie eine Heimsuchung.

87 Jahre ist sie alt, diese kleine, zähe Künstlerin mit den schwarzen, tiefschwarz umschminkten Augen und der ewigen Ponyfrisur. Seit 1950, seit 65 Jahren, singt sie Chansons, geschrieben von den besten der Besten – Leo Ferré, Georges Brassens, Kosma/Prévert, Serge Gainsbourg, Jacques Brel. Sie war Tänzerin, sie war Theater- und Filmschauspielerin, sie hatte ihre Zeit in Hollywood. Wäre sie nichts als eine Sängerin, es wäre wohl schon zu spät fürs finale Adieu. Ihre Stimme aber gehört einer ganzen Epoche; sie ist eine der Letzten, die noch eine veritable Ära der jüngeren Kulturgeschichte Europas verkörpern. Am heutigen Mittwoch nimmt Juliette Gréco mit einem Konzert in der Laeiszhalle Abschied von den Freunden ihrer Kunst in Hamburg, von den Verehrern ihrer Person, von all den Frankophilen der Stadt und überhaupt all jenen, denen ein Schauer über den Rücken läuft, wenn jemand Existenzialismus sagt oder Saint-Germain-des-Prés, Jean-Paul Sartre, Jacques Brel oder Boris Vian – oder Miles Davis.

Von diesem inzwischen beinahe mythisch gewordenen Vorrat an Themen und Namen ist die Gréco nicht zu trennen. Sie war ein wesentlicher Bestandteil des musisch-intellektuellen Paris der 40er-, 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Schwarze Rollkragenpullover, dicke Brillen, kommunistische Ideale, radikales Aufräumen mit der Kriegs- und Kollaborationsvergangenheit. Es war der Aufbruch in eine neue Zeit, beflügelt von libertärem Sex und Philosophie, gehüllt in Rauchschwaden von filterlosen Zigaretten und imprägniert vom Sound des Jazz. Und all das in Schwarz-Weiß: Das war Juliette Grécos Welt. Sie war die Muse der Existenzialisten, so liest man es überall. Aber für sie selbst haben solche Zuschreibungen keinerlei Bedeutung.

Zweimal hat Juliette Gréco ihre Memoiren geschrieben, zuerst eher poetisch, später mit mehr Deutlichkeit. Wenn das letzte Konzert gegeben ist, will sie wieder schreiben, einen Roman vielleicht, oder besser: noch einmal über ihr Leben. „Es gibt da noch einiges, das ich noch nicht gesagt habe“, raunt es durchs Telefon aus Paris.

Gréco. 1927 geboren, wuchs als Kind einer distanzierten, abwesenden Mutter auf, der Vater fehlte nahezu ganz. Das habe ihr damals wenig ausgemacht, erzählt sie, aber das Verhältnis zur Mutter war leidvoll. „Meine Schwester liebte sie, mich liebte sie nicht. Sie hat mir fürchterliche Sachen gesagt, ‚Du bist die Frucht einer Vergewaltigung‘ oder ‚Ich habe dich auf der Straße aufgelesen, du wurdest von Zigeunern zurückgelassen.‘ Aber ich verüble ihr das nicht.“

Nur die Wunde, die ihr das beigebracht hat, die will nicht verheilen. „Wie ein Messerstich“, sagt Gréco. „Das Messer ist stecken geblieben. Und manchmal bewegt es sich.“

Wenn solcher Kindheitsschmerz nicht vergeht, dann muss man sich wenigstens künstlerisch an ihm schadlos halten. Gréco war auf einem katholischen Mädchenpensionat und geriet als Gegnerin des Pétain-Regimes während der Zeit der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen in Gefangenschaft. „Kaum war ich da raus, lernte ich fabelhafte Menschen kennen, die mir alles beigebracht haben, die mich auf Händen trugen und mir meine Fragen beantworten konnten. Sie haben mich beschützt. Sie wurden zu meiner wirklichen Familie.“

Die Gefangenschaft als junges Mädchen hatte sie traumatisiert. Lange blieb sie stumm, und der sie daraus befreite, war einer der begabtesten Autoren und Musiker des Kreises um Sartre und Simone de Beauvoir: Boris Vian. „Boris“, erzählt sie, „war wie mein großer Bruder. Wenn wir alle im Bar Vert in St. Germain zusammensaßen, sagte ich nie etwas. Ich hörte immer nur zu, meine ganze Jugend lang. Eines Abends sagte Boris zu mir: ‚Sag mal, Gréco, redest du nie?‘ ‚Nein.‘ ‚Warum nicht?‘ ‚Weil ich nichts zu sagen habe, ich hör zu.‘ ‚Willst du nicht mit zu mir kommen? Da könnten wir reden.‘ Wir gingen in seine Dachwohnung in Montmartre. Da stand vorm Fenster über den Dächern von Paris ein Kanapee, und wenn es dunkelte, legte er mir den Arm um die Schulter und sprach mit mir. Eines Tages habe ich dann geantwortet. Er war der preiswerteste, schönste und intelligenteste Psychiater, den ich mir hätte wünschen können. Ich liebte ihn. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre ohne ihn.“

Juliette Gréco war in zweiter Ehe mit Michel Piccoli verheiratet

Die Gréco kam Sartre nahe genug, um seine Frauenvorlieben zu kennen, doch sie sagt: „Ich gehörte nicht zu seinem Harem.“ 1949 lernt sie in Paris nach einem Konzert den Trompeter Miles Davis kennen. „ Wir hatten eine absolut wunderbare Liebesgeschichte“, erzählt sie. „Wir liebten uns wie Kinder. Sehr rein, sehr stark. Diese Liebe hat das ganze Leben gedauert. Wir haben uns nie aus den Augen verloren. Den bösen Miles habe ich nie erlebt.“

Juliette Gréco war in zweiter Ehe mit dem großen französischen Schauspieler Michel Piccoli verheiratet. Die Ehe mit Gérard Jouannest, die sie danach einging, hält bis heute. Er ist ihr musikalischer Partner, ihr Pianist, ihr Komponist und begleitet sie auch auf ihrer Abschiedstournee, gemeinsam mit dem wunderbaren Akkordeonisten Jean-Louis Matinier.

Was sie verabscheuen würde, jetzt, auf ihrem letzten Gang durch die Welt der Scheinwerfer: Wenn man Mitleid mit ihr hätte. „Mitgefühl, Liebe, Trost, das kenne ich. Aber Mitleid finde ich fürchterlich. Es ist eine mir unbekannte Empfindung.“ Ihre Abschiedstournee ist weit ins nächste Jahr hinein gebucht. Will sie so lange auftreten, bis sie dem Publikum noch in der letzten französischen Kleinstadt Auf Wiedersehen gesagt hat? „Alles hat ein Ende“, sagt sie. „Aber noch sind meine Kräfte da. Wenn die Leute nach dem Konzert nach Hause gehen, sollen sie denken: Sie ist noch sehr lebendig.“

Juliette Gréco in Hamburg

Konzert
Mi, 21.10., 20.00, Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz, Tickets 40,50 bis 84,50 unter T. 413 22 60