Der DJ Oliver Kowalski alias KoweSix ist Teil des Duos Moonbootica. Über einen Party-Macher, der Wert auf bürgerliche Tugenden legt.

Bei Tageslicht betrachtet ist Oliver Kowalski ein 1,99 Meter hochgewachsener schlanker Mann in Jeans, T-Shirt, lässigem Blouson, gestutztem Bart und ordentlicher Frisur. Er ist pünktlich am Treffpunkt, hält Frauen höflich die Tür auf, trinkt Cappuccino und sagt Sätze wie: „Ich habe eine hedonistische Oberfläche.“ Soll heißen, Genuss bedeutet ihm viel. Oder: „Ich bin ein Haptiker.“ Das sind Menschen, die Qualität mögen, zum Anfassen. Er sagt aber auch: „Ich bin ein eher rationaler Typ. Ich glaube an den Zufall und nicht an Schicksal.“ In einigen Wochen wird er 40 Jahre alt. Dass er, vor allem rund ums Wochenende, bis in den frühen Morgen unterwegs ist und auflegt, wie das Abspielen von lauter Musik in seinem Job heißt, sieht man ihm an diesem Tag nicht an.

Oliver Kowalski arbeitet als DJ, früher Discjockey genannt. Doch mit diesem etwas angestaubten Image von Plattenabspielern hat er als moderner Nachtarbeiter nichts zu tun. Partymachen in Clubs, gern exzessiv, liegt national und international im Trend. Die Nachgefragtesten der Branche werden gehypt wie Stars. Und natürlich kann man sich auf YouTube und Co. einen Eindruck verschaffen, wie sich die Stilrichtungen Techno, House und Hip-Hop als Remix anhören. Unter dem Künstlernamen KoweSix ist er seit zehn Jahren neben Partner Tobitob Teil des DJ-Duos Moonbootica. Auftritte der beiden Musikmacher in Hamburg sind inzwischen eher selten; Moonbootica ist auch im Ausland nachgefragt.

Bangkok, Wien, Zürich: 250-mal im Jahr ist er mit dem Flugzeug unterwegs

Bedenken, dass sein Alter beim Publikum irgendwann zum Problem werden könnte, hat er nicht. Zwar mischen Newcomer wie beispielsweise der 21-jährige Felix Jaehn die etablierte Szene gehörig auf. Doch die Altersgrenzen sind offen. Anfang des Jahres spielten Moonbootica auf dem 50. Geburtstag von Maximilian Lenz alias Westbam, einem anderen Großen der Branche. Die Einschätzung des arrivierten DJ zum gesellschaftlichen Stellenwert: „Ein anerkannter Berufsstand.“

So weit würde Oliver Kowalski in der Einordnung seiner Tätigkeit nicht gehen. Dazu ist er zu sehr Realist. Aber: „Ich bin weit gekommen“, sagt er. Moonbootica ist etabliert. Aus der gleichnamigen Partyreihe in Hamburger Clubs wurde ein eigenes Label, Kowe­Six und Tobitob gehen auf Tournee, sie treten als Liveacts bei Festivals auf, und in den Kulturredaktionen werden ihre Alben und Auftritte regelmäßig besprochen. Fans nennen sie Turntable-Rocker oder Regler-Fürsten. Der Titel ihres Albums „Our Disco is louder than yours“ ist Programm.

Partymachen für die Masse ist ein Knochenjob. Nicht nur, weil die Nacht zum Tag gemacht wird. Reisen und Jetlag gehören dazu. Heute Bangkok, morgen Wien. Übermorgen Zürich. „Ich fliege im Jahr etwa 250-mal.“ Ein gestörter Bio-Rhythmus ist noch das geringste Übel. Einige Kollegen schaffen es nur mit Drogen, durchzuhalten.

„Ich bin so etwas wie ein professioneller Trinker“, erklärt Kowalski und will das als ernsthafte Abgrenzung wahrgenommen haben. Privat trinke er überhaupt nicht. Aber ein Rausch sei hilfreich, wenn er Menschen auf der Tanzfläche entfessle, sie der Macht von Tönen und Melodien ausliefere. „Ich fühle die Musik noch immer so intensiv wie mit 15 oder 18 Jahren“, sagt er. „Man kann selten sagen, in welche Richtung ein Abend geht. Aber es fühlt sich gut und richtig an, was ich tue. Diese Gefühle kann ich authentisch rüberbringen. Das ist entscheidend.“ Und überhaupt Wahrhaftigkeit. „Sie ist ein wahnsinnig hohes Gut“, sagt Kowalski. Grundsätzlich, aber eben auch in der Unterhaltungsbranche. Seiner Branche. „Ich bin froh, in den 70ern geboren zu sein. Für uns war es wichtig, die Doppelmoral der Elterngeneration zu knacken und herauszufinden, was echt ist und was nicht.“ Ein anspruchsvoller Ansatz für einen, der professionell Party macht und den man, wollte man despektierlich sein, als nicht ernst zu nehmend verorten könnte.

Den Tagesmenschen Kowalski stört diese Einschätzung nicht. Nicht mehr. Dazu ist er zu lange und zu erfolgreich im Geschäft. Er wohnt auf St. Pauli, sein Auto ist ein alter 500er SEC, sein Motorrad ein klassischer Café Racer der Marke Triumph. Wochentags arbeitet er im Studio. Die Buchhaltung macht er selbst. „Ich will nicht als Idiot dastehen, weil ich jemandem zu sehr vertraut habe.“ Mit dem Rauchen hat er aus Gesundheitsgründen mit 30 aufgehört, er geht ins Fitnessstudio, achtet auf die Ernährung. Und bis zu ihrem Tod vor fünf Jahren sorgte Hündin Nina für genügend Bewegung an der frischen Luft. Den Porsche 911, den er ebenfalls besitzt, verschweigt Kowalski gern. Er passt nicht zum Schanzen-Image. „Aber ich bin ein Geschwindigkeitstyp“, sagt er. Weshalb er auch zum Fallschirmspringen nicht Nein sagt. „Natürlich nicht im Tandem!“

Schon früh musste er in der Gaststätte seiner Eltern aushelfen

Rückblickend hätte aus dem Sohn einer Gastwirtsfamilie aus dem Kurort Bad Grund „auch etwas ganz anderes werden können“, glaubt er. Manche aus seinem Heimatort wurden Ärzte, Anwälte, gingen in die Touristikbranche oder den Bergbau. Die Schachtanlage Knesebeck gehört zur 1992 stillgelegten Grube „Hilfe Gottes“, dem letzten Erzbergwerk des Oberharzes. Oliver Kowalski ging einen anderen Weg. Er musste schon früh mit- und aushelfen in der Gaststätte daheim. „Genossen habe ich meine Jugend nicht.“ Was er aber bitte nicht als Kritik an den Eltern verstanden haben möchte.

Die hätten sich, wie so viele andere, Zwängen beugen müssen, auch finanziell. Als er 14 war, zog die Familie zuerst nach Rotenburg an der Wümme, drei Jahre später nach Elmshorn, wo der Sohn Abitur machte. Kein herausragendes, wie es heute von Helikopter-Eltern gefördert und gefordert wird, dennoch mit einem bemerkenswerten Höhepunkt. Ausgerechnet in der Deutsch-Abiturprüfung schaffte er die höchste Punktzahl. Der Lehrer honorierte, dass der Schüler Kowalski zwar die falsche Literatur gelesen hatte, belohnte aber seinen ungewöhnlichen inhaltlichen und sprachlichen Rettungsversuch.

Wie viele Jugendliche hatte er bis dahin eine intensive Beziehung zur Musik entwickelt. Schon als 15-Jähriger tat er sich als gefragter Plattenaufleger bei Feten und Festen hervor. Dann traf er auf Tobias Schmidt, und so war es fast Schicksal – oder Zufall, wie Kowalski sagen würde –, dass sich die beiden Jung-Männer zusammentaten und in Hamburger Clubs ihren Turntables alles abverlangten. Erst mit Interpretationen veröffentlichter Musikstücke, später mit eigenen Produktionen.

Dies ist eine ziemlich bürokratische Beschreibung dessen, worin DJs das Herz ihres Tuns sehen. Aber Oliver Kowalski ist, wie gesagt, ein höflicher Mensch. Dass ein Teil der Gesellschaft das Mixen von Musikstücken nicht unbedingt als künstlerischen Akt verstehen kann, akzeptiert er. „Ich schreibe niemandem vor, was er denken und tun soll. Ich kann nur sagen: Wir kreieren Musik, wie man es heute macht. Und das hat viel mit Freiheit zu tun.“

Derzeit tüftelt Kowalski mit Partner Tobias Schmidt an einem neuen Album

Auch Freiheit ist ein wichtiger Begriff für seinen Lebensentwurf. Schließlich lebt er ohne die Sicherheit einer bürgerlichen Ausbildung. „Strukturen geben Halt und verhindern, manchmal, Ängste“, sagt er. „Und Ordnung ist oft besser als Chaos. Aber egal, was passiert, ich liebe mein Gefühl von Freiheit.“ Gerade das Reisen und seine Unwägbarkeiten hätten ihn gelehrt, Kontrolle abzugeben: „Meine Psyche ist empfänglich für Konventionen. Ich bleibe natürlich an der roten Ampel stehen, wenn Kinder dabei sind.“

Derzeit tüftelt er mit Partner Tobias Schmidt, 41, an einem neuen Album. Dass sie es so lange miteinander aushalten, hat auch damit zu tun, dass sie beide manchmal getrennte Wege gehen. Der Produzent und Rapper ist inzwischen Vater zweier Kinder. „Das wollte ich auch immer“, sagt Kowalski. „Ich kann gut mit Kids, bin Patenonkel.“ Dass er noch ohne Familie ist, hat auch mit Aussagen wie diesen zu tun: „Es gibt zu wenig gesunde Beziehungen auf Augenhöhe. Man sollte das Gute miteinander teilen und sich nicht mit Zwängen und Ängsten klein machen.“

Nächstes Frühjahr reist er wieder nach Kalifornien. Dort lebt seine Tante Barbara, 76. Die ältere Dame und ihr Heim sind sein Zufluchtsort seit Jahren. Sie war es auch, die die Idee zum Künstlernamen Moonbootica hatte. Damals waren der Neffe und sein Kumpel Tobias gerade zu Besuch. „Macht doch was mit Schuhen“, sagte sie beim Anblick der Latschen in Größe 47 und 48 vor ihrer Tür. Eine gute Idee.