Hamburg. Zeichnerin Isabel Kreitz hat aus Konrad Lorenz‘ Kindheitserinnerungen „Rohrkrepierer“ eine filmische Graphic Novel gemacht.
Viele Jahrzehnte lagen die Erinnerungen an seine Kindheit auf St. Pauli in ihm vergraben. Dann entschied der ehemalige Hamburger Seemann und Schiffbau-Ingenieur Konrad Lorenz sich, ein Buch darüber zu schreiben, wie das damals war, als kleiner Junge auf’m Kiez, Vater verschollen, Mutter und Oma im Dauerclinch. „Rohrkrepierer“ wurde einer der wenigen, ganz und gar authentischen Hamburg-Romane, voller Mutterwitz, mit Sinn für Pointen und die vielen Farben im grauen, rauen Kinderalltag der Nachkriegszeit.
Jetzt ist zum „Rohrkrepierer“ die passende Graphic Novel erschienen, in drei Jahren voller Liebe zum Detail gezeichnet von der mittlerweile sehr bekannten Hamburger Künstlerin Isabel Kreitz. Das Zeichnen und das Schreiben sei etwas, was man aus Liebhaberei tue oder aus Berufung, nicht um Geld zu verdienen, da sind sich beide einig hier an diesem verregneten Tag im Café Geyer am Hein-Köllisch-Platz. Das Geyer hieß früher Jäger’s Eck, erinnert sich Lorenz.
„Da gegenüber, im dritten Stock, da hab’ ich gewohnt.“ Er hebt das Kinn zu einem schönen, stuckverzierten Gründerzeit-Bau, der damals die Kneipe Kaisers Eck beherbergte. „Als ich ein Junge war, fuhr hier noch in zwei Richtungen die Straßenbahn. So eine Ruhe wie jetzt – daran war nicht zu denken!“ Nun ist es ja an sich schon schwer, aus inneren Bildern und Gefühlen einen Roman zu machen. Die Autobiografie, die voll ist von Lorenz’ eigener visueller Fantasie, wieder zurück in Bilder zu verwandeln, ist natürlich ein Risiko. „Es ist wie ein Film, der meine Sprache benutzt, aber nicht meine Bilder“, sagt Lorenz, sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis.
Der Comic ist ein eigenes kleines Kunstwerk geworden, alles aus einem Guss in Schwarz-Weiß gezeichnet, auf sanftem Sepia-Grund, wie ein Film, ähnlich dem legendären „Krieg der Knöpfe“ von Yves Robert. Isabel Kreitz verzichtet auf effektvolle Seiten-Layouts, Spielerei mit Typografie und Proportionen. In ihrem Stil bleibt sie homogen und realistisch: „Mir kommt es darauf an, dass über die Bilder ein erzählerischer Fluss entsteht. Ich versuche, den Zwischenraum zwischen zwei Bildern so weit wie möglich auszudehnen, sodass eine Art Kopfkino entsteht. Grafischen Firlefanz lasse ich bewusst weg.“ Bis ins Detail hat Isabel Kreitz recherchiert, wie St. Pauli damals aussah, die Reklame, die Schilder, Türknäufe, Treppenstufen, Küchenmöbel, Fuhrwagen, Gardinen und Laternen. „Ich sammle seit Jahren historische Fotobände“, erzählt sie. „Der Fotograf Herbert Dombrowski ist einer meiner Lieblinge. Der hat mich immer animiert.“ Noch wichtiger aber waren die privaten Fotos von Konrad Lorenz. Die hatte ihm seine Mutter in einer Kiste vererbt, er hatte sie von ganz hinten aus dem Keller geholt, und dann hat sich Isabel Kreitz, die an jeder Seite einen ganzen Tag zeichnet, eine große Fotogalerie über den Schreibtisch gehängt, wo alles drauf war: Konrads Wohnung, wo er mit Mutter und Oma wohnte, die Nachbarschaft, Hafen und Fischmarkt.
Während der vielen Lesungen, zu denen der Autor eingeladen war, brachten die Leute noch mehr Fotos mit. „Das war für mich essenziell wichtig. Manche Fotos waren regelrechte Initialzündungen. Da hatte ich dann solche Lust drauf“, erzählt die Zeichnerin. Sie habe nie den Anspruch gehabt, „das Rad neu zu erfinden“. Sie bleibt immer so nah wie möglich an einer filmischen Erzählweise. „Vielleicht weil ich am liebsten Regisseurin geworden wäre.“
Und trotz Gentrifizierung hat St. Pauli ja an vielen Stellen noch den Charme einer alten, abgetakelten Braut. Selbst die Hafenkneipe Tante Hermine, in der so viele Szenen spielen und die einmal der angesagteste Schuppen auf dem Kiez war, gibt es noch. Zwar hat sie dichtgemacht, aber das Haus steht noch, als warte es auf den Kuss, der diese Insel des norddeutschen „rau, aber herzlich“ wieder zum Leben erweckt.
Buch-Veröffentlichungsparty mit Isabel Kreitz und Konrad Lorenz, heute, 19.00 Silbersack, Silbersackstr. 9. (S Reeperbahn) Eintritt frei Buchpräsentation St. Pauli Kirche: Pinnasberg 80 (Bus 112), 1.10., 20.00, Eintritt ist Spende.Isabel Kreitz auf der Comicbörse im Kölibri, Hein-Köllisch-Platz 11/12 am 10. und 11.10. Isabel Kreitz: „Rohrkrepierer“, Carlsen Verlag, 304 S., 29,99