Hamburg. Die Amtszeit von Staatsopern-Intendant Georges Delnon beginnt an diesem Wochenende. Kent Nagano dirigiert „Les Troyens“ von Berlioz.

Der neue Staatsopern-Interndant Georges Delnon empfängt in der Stifterlounge zum Gespräch. Der Blick auf den sonst unmöblierten Balkon zeigt viele von schweren Klötzen gesicherte und vertäute Kanthölzer.

Hamburger Abendblatt: Sie begleiten die Eröffnung Ihrer ersten Spielzeit mit einer Kunstinstallation, von der hier Teile auf dem Balkon zu sehen sind. Warum?

Georges Delnon: Ich hatte in Basel das Glück, sehr viel mit bildender Kunst zu tun zu haben. Zwei Jahre, bevor es dort losging, war ich während der Art Basel zugegen, fand diese Messe großartig und dachte, ein Theater muss auf so etwas reagieren. Ich habe mit Sam Keller, der damals die Art Basel leitete, „Art on stage“ erfunden, eine Kombination aus bildender Kunst und Theater. Als ich erzählte, dass ich nach Hamburg gehe, haben sie gefragt: Hamburg? Was ist da mit bildender Kunst los? In Basel, da ...

... tragen sie in Sachen Kunst die Nase ein bisschen höher?

Delnon: Da tragen sie in Sachen Kunst die Nase sehr hoch, allerdings. Ich bin der Überzeugung, dass man sich interdisziplinär gegenseitig bereichern kann. Mir war deshalb wichtig, auch hier schon bei der Eröffnung ein Kunstprojekt dabeizuhaben. Die Installation von Rosalie signalisiert: Wir atmen, der Organismus lebt, wir sind da. Für mich ist es ein Zeichen in die Stadt, es ist auch ein Teil meiner Denke in Bezug auf Oper als multimediale Kunstform.

Wir hatten jetzt zehn Jahre lang die Personalunion von Intendanz und Generalmusikdirektion durch Simone Young. Wo genau liegt Ihr Bereich als Intendant und der von Kent Nagano als GMD?

Delnon: Der Intendant ist Mitgeschäftsführer, dadurch hat er automatisch eine Verantwortung für den Betrieb nach innen und für die Gesellschaft nach außen. Da geht es um Finanzen, um sehr viele organisatorische und juristische Belange. Fürs Funktionieren des Betriebs ist der Intendant mit dem kaufmännischen Geschäftsführer verantwortlich. Künstlerisch ist er fürs Programm und für die personellen Entscheidungen verantwortlich. Das heißt: Was wird gemacht, und mit wem. Dies in enger Abstimmung mit dem GMD.

Das betrifft aber nicht das Philharmonische Staatsorchester?

Delnon: Nein. Da ist Kent Nagano allein verantwortlich. Ich bin zwar auf dem Papier auch Intendant der Philharmoniker, aber da bin ich ganz im Hintergrund, das ist ganz und gar sein Terrain. Unsere Arbeitsweise war allerdings von Anfang an die, möglichst vieles gemeinsam auszudenken, zu planen und dann zu realisieren. In dieser Entente sehe ich den Schlüssel zum Erfolg. Diese drei Jahre Vorbereitung mit Kent Nagano haben mein künstlerisches Denken sehr bereichert.

Wie würden Sie die Chemie zwischen Ihnen beiden beschreiben?

Delnon: Wir sind beide sehr neugierig auf das, was der andere denkt, sagt, vorschlägt. Wir versuchen, die Bälle aufzunehmen, weiter und wieder zurückzuspielen. Die allerbesten Ideen entstehen in diesem Pingpong-Moment. Der ist manchmal sehr überraschend, weil der eine beim anderen eine Tür öffnet, da wo er sie nicht vermutet hätte. Jeder kommt von seinem Metier, aber wir haben auch sehr viel Spaß daran, jeweils ins Metier des anderen zu schauen.

Wie kommunizieren Sie?

Delnon: Auf Französisch. Das war lustig, weil wir es zuerst auf Deutsch versucht haben, dann auf Englisch. Französisch klappt am besten.

Sie sprechen nahezu akzentfrei Deutsch. Es klingt einen Hauch französisch, aber nicht schweizerisch. Wie kommt das?

Delnon: Ich bin in Bern aufgewachsen. Meine Mutter kam aus der Westschweiz, zuhause haben wir Französisch gesprochen. Auf der Straße habe ich natürlich Berndütsch gelernt.

Die Eröffnungspremiere der Oper besteht gleich aus drei Komponenten ...

Delnon: Ja, dieser Dreiklang ist mir sehr wichtig. Mit Christoph Marthaler hatte ich das Glück, in Basel sieben Arbeiten machen zu können. Alle diese Uraufführungen hatten den Schwerpunkt Musik. Er ist ja eigentlich Musiker, ich sage manchmal, er ist eigentlich der beste Komponist, denn er hört Dinge, die hört kein Komponist. Aber er.

Mit Marthaler und Anne Sofie von Otter hatten Sie in Basel schon eine ziemlich ungewöhnliche „Großherzogin von Gerolstein“ rausgebracht.

Delnon: Ja, das war wunderbar. Da entstand eine sehr schöne Beziehung zwischen den beiden, und als es darum ging, die letzte Produktion für Basel zu planen, die jetzt „Isoldes Abendbrot“ heißt, haben wir sofort beschlossen: Die zeigen wir zur Eröffnung auch in Hamburg. Ich möchte mit „Isolde“ bewusst einen poetischen und humorvollen Einstieg durch die Seitentür nehmen.

Und Berlioz’ „Les Troyens“? Eine Hommage der beiden französisch parlierenden Chefs an die Grand Opéra?

Delnon: Ja. „Les Troyens“ war Kent Naganos Wunsch. Auch für mich eine super Eröffnung schon aus inhaltlichen Gründen, bei Kent noch stärker auch aus musikalischen Gründen. Berlioz komponiert nicht nur, er inszeniert mit seiner Musik gleich mit, es ist eigentlich schon alles drin. Die Musik ist so farbenreich und kontrastreich ...

Aber Sie verwenden ja eine stark kondensierte Fassung ...

Delnon: Ja, dennoch brauchte ich einen Regisseur, der genau das Gegenteil macht, der reduziert, was das Zeug hält, die Oper in eine klare Form gießt, ja nicht redundant zur Musik inszeniert. Thalheimer macht das sehr gut. Und Thalheimer legt durch seine Reduktion sogar mehr Schichten im Stück frei. Es ist für mich wie eine Kläranlage, was er da baut. Kent Naganos Wunsch war, den Abend, wie Sie sagen, zu kondensieren – ein sehr gutes Wort. Berlioz-Liebhaber, Musikwissenschaftler, vielleicht auch Rezensenten werden sagen, das kann man nicht machen, aber uns war es wichtig, dass der Abend in sich funktioniert. Er muss dicht sein, spannend, musikalisch aufregend. Naganos Idee war, dass Pascal Dusapin vom Blickwinkel eines Komponisten an der Idee des Kondensierens mitarbeitet.

Nummer drei ist ein Auftragswerk an Ihren Landsmann Michael Wertmüller, der als Schlagzeuger auch Free Jazz mit Peter Brötzmann gespielt hat.

Delnon: Klar, natürlich musste neue Musik bei der Saisoneröffnung dabei sein. Michael Wertmüller kenne ich vom Lucerne Festival. Ich will jetzt keine billigen Vergleiche ziehen, aber wenn ich an den verrückten Berlioz denke: Michael hat ein bisschen was davon, er ist ein Verrückter, einer, der mit seiner Musik die Welt verändern möchte. Ich habe ihm damals gesagt: Ich glaube an neues Musiktheater nur, wenn es wirklich Inhalte transportiert. Lass uns eine Geschichte erzählen, in der es um Menschen in einer Krisensituation geht. Denn ich vermisse in den meisten neuen Opern die Dringlichkeit. Dann kamen wir auf Dea Loher, ihre Stücke haben immer etwas sehr Authentisches. Sie war interessiert, ihr erstes Libretto zu schreiben. Jette Steckel hatte ich in Basel ihr Operndebüt mit „Tosca“ ermöglicht. Ich halte sie für ein Riesentalent. Klar, mit Marthaler, Thalheimer, Steckel habe ich jetzt drei Abende drei Schauspiel-Regisseure, die auch Hamburger Theater-Geschichte geschrieben haben.

Haben Sie eine Ahnung, was für ein Publikum Sie hier erwartet?

Delnon: Schon; das nimmt man seismografisch auf, wenn man in die Oper geht oder in die anderen Theater. Das ist jetzt meine vierte Intendanz; man kann es nicht berechnen, aber man bekommt mit der Zeit ein Gefühl für sein Publikum. Man sieht ja auch, wie sie auf die jeweiligen Vorstellungen reagieren.

Dem Hamburger Opernpublikum eilt nicht der Ruf voraus, besonders offen und experimentierfreudig zu sein.

Delnon: Ja, aber zugleich hört man immer wieder, dass es zu Liebermanns Zeiten das mutigste Opernhaus der Welt war. Am Ende wird es darum gehen, dass der Mix stimmt, das Programm und die Menschen, die es machen. Man macht die Oper ja FÜR die Menschen, nimmt auf, wie sie reagieren, aus diesem Dialog entstehen wieder neue Ideen. Aber Kent und ich sind eher Menschen, die Kurs halten. Wir wollen überzeugen, verführen. Wir wollen die Menschen für unser Hamburger Projekt gewinnen.

„Les Troyens“: NDR Kultur sendet am 19.9. ab 17.55 Uhr. Das Binnenalster Filmfest zeigt die Premiere zeitversetzt am Jungfernstieg, ARTE Concert streamt im Internet. Beides ab 20.45 Uhr.