Die Theatermacherin und ausgebildete Puppenspielerin Gisèle Vienne über ihre Uraufführung beim Sommerfestival auf Kampnagel.
Mit düsteren Performances, die das Unbewusste, Unheimliche thematisieren, wurde Gisèle Vienne zum Liebling internationaler Festivals. Beim Sommerfestival auf Kampnagel zeigt die französische Theatermacherin, Choreografin, bildende Künstlerin und ausgebildete Puppenspielerin heute die Uraufführung ihres neuen Stücks „Das Bauchrednertreffen“.
Hamburger Abendblatt: In „This is how you will disappear“ (2010) ging es um einen Mord, in „The Pyre“ (2013) um eine schizophrene Tänzerin und ihren Sohn. Warum inszenieren Sie jetzt ein „Bauchrednertreffen“?
Gisèle Vienne: Das hat mich schon 2005 bei der Arbeit an meinem Stück „Jerk“ interessiert, das vom Niedergang eines Serienkillers handelte, der plötzlich beginnt, als Bauchredner zu sprechen. Als mich das Puppentheater Halle eingeladen hat, mit seinen Darstellern zu arbeiten, kam mir die Idee, ein Stück, inspiriert von dem Bauchrednertreffen in Kentucky zu entwickeln. Ich hatte neun tolle Puppenspieler, die alle das Bauchreden erlernt haben und nun einen Dialog mit mehreren Stimmen führen können.
Wie wird man denn eigentlich Bauchredner? Kann das jeder lernen?
Vienne: Das muss man trainieren. Die eigene Stimme anders einsetzen, zum Beispiel das M als N auszusprechen, und das vor dem Spiegel üben. Es ist ein magischer Trick, den jeder lernen kann. Aber auch wenn man weiß, wie es geht, ist der Effekt verblüffend.
Ist der Text festgelegt oder improvisieren die Puppenspieler?
Vienne: Es gibt einen Text von Dennis Cooper, der mit Beiträgen der Spieler zusammengeschnitten wurde. Wir erzählen die Geschichte eines Bauchrednertreffens genau genommen in neun Geschichten, weil jeder Schauspieler sich von einem echten, historischen Bauchredner inspirieren lässt. Eine Darstellerin erzählt zum Beispiel die Geschichte der Tochter eines Bauchredners. Die Medien bezeichneten seine Puppe als ihren Bruder.
Klingt, als wären die Puppen lebendig?
Vienne: Ja, das sind richtige Charaktere. Eigentlich haben wir 18 Figuren auf der Bühne, die alle interagieren. Auch in Kentucky haben die Bauchredner außerhalb ihrer Bühnennummern mit ihren Puppen kommuniziert.
Es soll ja Ihr erstes lustiges Stück sein. Stimmt das?
Vienne: (lacht) Ich finde, es gibt immer Humor in meinen Stücken, auch wenn er nicht so sichtbar ist. Bauchredner sind eine spezielle Art von Komiker. Sie möchten wahnsinnig gerne lustig sein. Es ist aber kein humoristisches Stück. Es geht viel um Einsamkeit, um die Strategien, die wir entwickeln, ihr zu entkommen, um unsere Bedürfnisse, Nöte, Mängel. Es hat humorvolle Momente, aber es ist bestimmt an manchen Stellen gar nicht witzig.
Puppen spielen auch in Ihren Installationen eine große Rolle. Und haben da eher etwas Dämonisches als was Niedliches. Was fasziniert Sie an Puppen?
Vienne: Ich versuche, große Fragen von Leben, Tod, Sexualität häufig durch Momente des Unheimlichen darzustellen. Wir spielen mit groteskem Zeichentrickfilmhumor. Handpuppen wie die bekannte „Punch & Judy“ verhalten sich ja sehr gewalttätig und unmoralisch. Man hängt den Polizisten auf, man wirft die eigene Frau aus dem Fenster.
Puppenspiel ist nicht so angesehen wie das Schauspiel. In den vergangenen Jahren gab es so etwas wie eine Renaissance des Figurentheaters. Woher kommt das?
Vienne: Großartige Künstler des 20. Jahrhunderts wie Oskar Schlemmer, Antonin Artaud, Bob Wilson oder Mike Kelley haben mit Theater, Performance und Figurentheater auf den interessantesten Ebenen gespielt. Das Puppentheater hat seinen Ursprung in der Religion, in den Idolen, zum Beispiel bei den alten Ägyptern. Puppen bilden auch bei uns noch immer eine starke Projektionsfläche, obwohl wir eine viel rationalere Beziehung zu Gegenständen haben als die Menschen in anderen Kulturen. Wir wissen, es ist ein Gegenstand, und doch betrachten wir eine Puppe anders als einen Stuhl. Heute sind Beziehungen, Lüste, Ängste von vielen künstlichen Figuren um uns herum beeinflusst: Die Frage unserer Beziehung zu Puppen ist deshalb sehr aktuell.
Gisèle Vienne & Dennis Cooper & Puppentheater Halle: „Das Bauchrednertreffen“ 14.8. bis 16.8., jew. 19.00, Kampnagel, Jarrestr. 20 –24, Karten 24/12 Euro unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de