In einem Dokumentarfilm sucht Klaus Scherer nach einer Antwort auf den Atombombenabwurf auf Nagasaki 1945.

Die zweite Stadt, die zweite Bombe. Wenn es um das Ende des Zweiten Weltkriegs im pazifischen Raum geht, wird Nagasaki oft in einem Atemzug mit Hiroshima genannt, fast immer jedoch an nachgeordneter Stelle. 70 Jahre, nachdem die beiden japanischen Städte infolge nuklearer Detonationen dem Erdboden gleich gemacht wurden, stellt der Dokumentarfilm „Nagasaki – Warum fiel die zweite Bombe?“ die Frage nach dem Sinn des Einsatzes der todbringenden Waffe.

Als sich die „Großen Drei“ – Truman, Stalin und Churchill – im Juli 1945 im Potsdamer Cecilienhof trafen, ging es nicht nur darum, was nach dem Ende des Krieges in Europa geschehen sollte. Thema war auch der Krieg mit Japan, wo damals immer noch gekämpft wurde. Aber die Friedensstiftung in dieser Region war damals natürlich nicht das oberste Gebot der Großmächte, stellt der Film klar. Die Russen und Amerikaner taktierten, um einen politischen Vorteil zu erringen.

Nach dem Abwurf der beiden Atombomben im August verbreiteten Wochenschauen in den USA den Eindruck, als sei der Einsatz dieser Waffen notwendig gewesen, um die Japaner davon abzuhalten, einen endlosen Krieg zu führen. Diese Argumentation entlarvt der Film als Propagandalüge. Japan sei damals schon kurz vor einer Kapitulation gewesen. Aber Stalin, der nach dem Angriff auf Pearl Harbor 1941 die Bitte des damaligen US-Präsidenten Roosevelt zum gemeinsamen Feldzug gegen das Reich der aufgehenden Sonne noch abgelehnt hatte, wollte nicht als Vermittler agieren.

Es wurde hoch gepokert in der Konferenz von Potsdam. Stalin wusste, dass die Amerikaner kurz vor der Fertigstellung einer Atombombe standen. Truman erfuhr während der Konferenz, dass der Test der Waffe positiv verlaufen war. Der Stahlturm, an dem man sie befestigt hatte, war bei der Explosion verglüht. Der US-Präsident hatte damals noch in seinem Tagebuch notiert, man wolle die Bombe nur gegen militärische Ziele einsetzen: „Wir sind eine zivilisierte Nation.“

Wenig später wurde diese Behauptung von der Realität eingeholt. Hunderttausende starben, in erster Linie Zivilisten. Der Uran-Bombe von Hiroshima vom 6. August folgte noch die Plutonium-Bombe von Nagasaki am 9. August. Den US-Historiker Peter Kuznick von der Washingtoner American University zitiert der Film: „Hätte es noch eine Thorium-Bombe gegeben, wären drei gefallen.“ Ebenfalls perfide: Die weltoffene Stadt war nur das „Ersatzziel“, um einen eventuellen Sieg ging es nicht mehr. Japan lag damals militärisch schon am Boden. Die Amerikaner wollten ihre neuen Waffen aber unbedingt auf dem Gefechtsfeld ausprobieren. Der Film erwähnt US-Generäle, die die Abwürfe als verwerflich brandmarken. Es sind letztlich Kriegsverbrechen, die zu taktischen Notwendigkeiten umgedeutet werden.

Der Film zitiert amerikanische und japanische Historiker. Und er lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Der letzte Überlebende des US-Bombers, der die Bombe „Fat Man“ abwarf, ist ebenso dabei wie einige Bewohner von Nagasaki, die als Kinder die fatale Explosion überlebten. Ihre Erzählungen sind erschütternd. So zieht der Film die Eindrücke weg von den ewig gleichen schrecklich-schönen Bildern eines Atompilzes hin zu konkreten menschlichen Schicksalen.

Klaus Scherer, der lange in Japan und den USA als Korrespondent lebte, hat mit dieser Dokumentation Licht in ein düsteres und zu wenig beachtetes Kapitel der Geschichte geworfen. „Wir wollten Nagasaki endlich einmal ins Bild rücken, weil es bei den bisherigen Rückblicken immer zu kurz kam“, sagte er. „Ein Film nur mit Archivbildern und Historikern ist nicht vollständig. Wenn die Opfer nicht zu Wort kommen, fehlt deren Geschichte.“ Der Wettlauf zwischen Truman und Stalin habe ihn bei den Recherchen überrascht und sich als Polit-Thriller entpuppt.

Der Film wirft viele moralisch-ethische Fragen auf. Was soll man von einem US-Präsidenten halten, der in Vorfreude auf das Ergebnis des Bombenabwurfs „fini Japs“ in sein Tagebuch schreibt? Was soll man über einen Sowjetführer denken, der den Japanern nach Hiroshima noch den Krieg erklärt? Und wie gingen die Wissenschaftler im US-Forschungszentrum Los Alamos mit ihrem Gewissen um? Die Geschichte der Atombomben, so Scherer, der für seinen Film „Kamikaze“ den Grimme-Preis gewonnen hat, werde bis heute verklärt erzählt. „Die Wahrheit war bekannt. Sie hat sich nur nicht durchgesetzt.“ Das Fazit des Films ist bitter. Die zweite Bombe fiel, weil es die zweite Bombe gab. „Das Leben, die Liebe – alles verglüht“, heißt es im Film.

„Nagasaki – Warum fiel die zweite Bombe?“ Mo, 23.45 Uhr, ARD