Nortorf. Laura M. Schwengber präsentiert ihr Können online und wird bei Rockkonzerten eingesetzt – im August zweimal in Hamburg.

Vor einigen Tagen in Nortorf: Der NDR ist auf Sommertour. Auf der Bühne steht die Band Tin Lizzy und covert den Song „An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen. Neben der Band auf der Bühne steht Laura M. Schwengber. Sie gestikuliert mit den Händen und bewegt sich im Rhythmus der Musik. Sie ist Gebärdendolmetscherin und übersetzt den Songtext für gehörlose Konzertbesucher. Ein ungewöhnliches Konzerterlebnis ist es natürlich auch für alle anderen, die miterleben können, wie der bekannte Text übersetzt wird. Und es geht nicht nur um Worte. Die Dolmetscherin versucht auch die Musik mit ihren Gesten darzustellen.

Laura Schwengber kommt aus dem Spreewald. „Da war aber nichts los“, erinnert sie sich. Weil sie sich heftig für Musik, Tanz und Gesang interessierte, belegte sie darin Kurse. „Zu so einem Studium hätte es aber wohl nicht gereicht“, seufzt sie. Sie wollte „etwas Reelles“ und begann deshalb nach dem Abitur damit, die Gebärdensprache zu erlernen. Ein Freund, der taub wurde und erblindete, bestärkte sie in dieser Entscheidung. Drei Jahre dauerte ihr Studium. „Ich lerne aber immer noch“, sagt sie.

Irgendwann meldete sich der NDR bei ihr, weil man gern am Tag der Gehörlosen Musikvideos in Gebärdensprache online präsentieren wollte. Sie war begeistert, dass sie ihre Leidenschaften bei diesem Projekt miteinander verbinden konnte. Und wie „übersetzt“ man einen Song? „Mit einer wellenförmigen Handbewegung kann man die Tonhöhe und den Rhythmus vorgeben“, sagt sie. „Die Hände sind unten, wenn es um Kinder geht, bei Erwachsenen oben. Mit einer Bewegung von unten nach oben kann man das Wort ,wachsen‘ darstellen.“

Schwengber, die seit drei Jahren live dolmetscht und vom rbb „Gebärdenrockerin“ getauft wurde, leidet immer noch unter Lampenfieber. Natürlich bereitet sich die 25-Jährige sorgfältig auf ihre Auftritte vor, lernt die Texte auswendig und überlegt sich, wie sie etwas darstellen will. Wenn die Musiker auf der Bühne sind, hält sie mit ihnen Blickkontakt. Manchmal stößt sie aber auch an ihre Grenzen. „Man macht sich zwar ein Konzept, aber man hat natürlich nur wenig Zeit, um die Metaphern und Bilder in ihrer Vielfalt zu vermitteln.“ Poesie kann eben übersetzungsresistent sein.

Wenn einer der Musiker zu einem Instrumentalsolo ansetzt, geht sie ein wenig zurück und spielt dann eben ein wenig Luftgitarre oder -schlagzeug.

Die Reaktionen auf ihre Übersetzungen sind gemischt. Ein Gehörloser hatte ihr mitgeteilt: „Endlich kann ich auf Konzerte gehen.“ Ein anderer sagte: „Ich höre immer noch nichts.“ Ein Konzertbesucher störte sich daran, statt einer gleich zwei Shows auf der Bühne zu sehen. Auf eins ihrer YouTube-Videos hatte ein User mit den Worten reagiert: „Bin ich der Einzige, der nicht versteht, was das soll?“ Sie antwortete selbstbewusst: „Ja.“ Thomas Worseck vom Gehörlosenverband Hamburg, der schon einige Aufführungen mit Dolmetscher erlebt hat, sagt: „Es ist auch ganz unterschiedlich mit den Erfahrungen, abhängig davon, wie die Übersetzung ist. Kommunikation mittels Dolmetscher hat eine andere Qualität als direkte Kommunikation.“

Konzertveranstalter reagierten zunächst zurückhaltend auf das Dolmetsch-Angebot. Einer sagte: „Super Idee! Aber kündigt das vorab bitte nicht an.“ Sie lässt sich dadurch nicht erschüttern. „Jeder soll sich seine Meinung bilden. Aber die Inklusion brauchen wir unbedingt.“ Gebärdensprache gibt es mittlerweile als Wahlpflichtfach an einigen Hamburger Schulen. Einige Chöre gestalten ihre Auftritte in Gebärdensprache.

Sie übersetzte vor 12.000 Konzertbesuchern ein Konzert von Revolverheld

Mittlerweile hat Schwengber, die sonst bei Arzt- und Amtsterminen oder Uni-Vorlesungen dolmetscht, mit ihren musikalischen Exkursionen viel erlebt. Sie übersetzte vor 12.000 Konzertbesuchern in der Zitadelle in Spandau ein Konzert von Revolverheld. Auch einen auf Latein singenden Chor hat sie schon gedolmetscht – den allerdings mit Spickzettel. Ein besonderes Faible hat sie für Herbert Grönemeyer. Ihm hat sie nach einem Konzert einen Brief geschrieben. „Ich stand am Sonntag heulend in der dritten Reihe auf Ihrem Konzert in der Waldbühne. ,Musik nur wenn sie laut ist‘ habe ich mitgebärdet, und Sie haben zwischendurch recht verwundert gegrinst. Bitte entschuldigen Sie die Verwirrung. Das muss so. Ich würde gern eines Ihrer kommenden Konzerte sprachbarrierefrei für taube Besucher machen und es in Gebärdensprache dolmetschen. Dazu brauche ich einen Quadratmeter ihrer Bühne, einen Spot, einen Monitor und Ihre Setliste.“ Seine Antwort steht noch aus. „Vielleicht kriegen wir ihn noch“, hofft sie.

Laura Schwengber dolmetscht im Rahmen der
NDR Sommertour am 8. August in Lurup und
am 15. August in Volksdorf