Bayreuth. Die Regie von „Tristan und Isolde“ zur Bayreuth-Eröffnung ist eher gut gemeint als gut, Musikdirektor agiert dafür phänomenal.

War’s das jetzt? War diese „Tristan und Isolde“-Inszenierung der Befreiungsschlag, mit dem sich Katharina Wagner im verflixten siebten Dienstjahr als dynastisch würdig für die Wagner-Instanz Bayreuth erwiesen hat? Als die Regisseurin und Hausherrin sich nach der Premiere einmal und nur sehr kurz mit ihrem Inszenierungs-Team ins Rampenlicht traute, gab es keine Buh-Rufe vom genügsam gewordenen Stammpublikum, kein Kontra. Das war so erhofft (und ist mehr, als viel versiertere Kollegen dort schon verdauen mussten), ist aber längst nicht genug für ein Vertrauensvotum. Denn der größte Leistungs- und verlässlichste Hoffnungsträger hieß, wieder einmal, Christian Thielemann.

Was der frischgebackene Bayreuther Musikdirektor aus der Partitur herausgeheimniste, war nicht weniger als phänomenal. Feinfühlig, detailsicher, dynamisch dezent fordernd, aufmerksam mitgestaltend und vorausahnend, klangfarbengenau und mit einer musikdramaturgischen Selbstverständlichkeit, die ihresgleichen sucht. Thielemann, der nicht ganz widerspruchslos gefeiert wurde, hat virtuos parat, wie die gefürchtete, geliebte Akustik funktioniert und wie man mit ihr spielen kann. Zumindest in dieser Hinsicht war dieser Abend über so ziemlich jeden Zweifel weit erhaben.

Von der Sängerbesetzung lässt sich das nicht ohne „Ja, aber ...“-Einwände sagen. Evelyn Herlitzius, kurzfristig für Anja Kampe nachnominiert, war mehr als gut, doch nach einem kräftezehrenden Dauerauftrag als Elektra in München nicht so toll, wie es sich für eine Bayreuther Isolde gehört, erst recht bei einer Premiere im „Tristan“-Jubiläumsjahr. Mitunter entglitt ihr die Stimme ins Metallisch-Scharfe. Stephen Goulds unabgründiger Tristan: solide, handfest zupackend, konditionssicher. Angenehm überraschend: Christa Mayer als Brangäne, vor allem aber Georg Zeppenfeld als König Marke, weil er mit Leichtigkeit demonstrierte, dass man Wagners Texte auch verständlich singen kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ehemann Joachim Sauer
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ehemann Joachim Sauer © dpa

Jenseits der Bühne, auf der Freiluft-Bühne für das Publikum, war fast alles so schön feierlich wie immer: Die Bundeskanzlerin war da. Merkel habe in der ersten Pause eine kurze Ohnmacht erlitten, hieß es nach der Premiere, später stellte ihr Sprecher klar, dass nur ihr Stuhl zusammengebrochen war. Leuchtend türkiser Zweiteiler, die Haare schön. Landesvater Horst Seehofer und sein Hofstaat hielten brav gebührend Abstand. Gloria von Thurn und Taxis wurde beim Fotografiertwerden fotografiert, Thomas Gottschalk flanierte über den Vorplatz. Eine rundum gelungene Neuinszenierung hätte es also für viele nicht gebraucht, solange am Bratwurst-Stand flott bedient wird und das Handynetz für Markus Söders Selfie vom Grünen Hügel hält. Eva Wagner-Pasquier jedoch, die Noch-Mit-Chefin, um deren wenig halbschwesterliche Behandlung durch Katharina es im Vorfeld bedenkliche Gerüchte gab, blieb so unsichtbar wie der fliegende Holländer ohne Landgang.

„Gelungen“ wird im Sommer 2015 als Prädikat für die einzige Neuheit im Spielplan aber nicht benötigt, „disparat“ war die spontane erste Haltungsnote, die nach Verlassen des Allerheiligsten durch den leicht ermüdeten Kopf trudelte. Dieser „Tristan“ war keine schlüssige Inszenierung. Nichts wie aus einem Guss. Er war ein vorsortierter Zettelkasten aus Perspektiven, einigen guten Ansätzen und vielen gut gemeinten Feldversuchen. Jeder der drei Aufzüge hatte eine andere chemische Zusammensetzung, eine andere Betriebstemperatur. Jeder Teil stand auf seine ganz eigene Weise vor allem still, obwohl durchgängig Bewegung simuliert wurde, nur oft an der Grenze zum Einerseits-Andererseits-Aktionismus.

Einerseits würfelt die Regie das Ensemble im ersten Bild in ein Treppen-Labyrinth, in dem ständig scheinbar neue Wege angeboten werden, die aber niemanden weiterbringen. Andererseits meint Wagner, es könne schon genügen, dass Tristan und Isolde den verhängnisvollen Trank, der sie einander verfallen lässt, nur gut sichtbar ausgießen müssen, um so seine fatale Wirkung auszulösen. Brangäne muss ständig an einem Brautkranz herumzupfen, damit auch der begriffsstutzigste Neu-Bayreuther kapiert, dass aus der geplanten Ehe von Isolde mit König Marke todsicher nichts wird. Der Rest: arg viel Standbein, arg wenig Spielbein, halbkonzertantes Vorglühen für die kommenden Komplikationen.

Im zweiten Akt mutiert Markes Schloss zur kruden Mischung aus Versuchslabor und Hochsicherheitstrakt, die man so oder sehr ähnlich schon fünf­mal zu oft gesehen hat. Einerseits bezaubert beim „O sink hernieder“-Duett, das Tristan und Isolde mit dem Rücken zum Saal singen, die anrührende Idee, in einer Lichtprojektion zwei Schattengestalten zu dieser verknallt süffigen Musik sanft verschmelzen zu lassen. Ausgerechnet diese Stelle, und dann die Miles-Davis-Gedächtnis-Pose, von der die Aufmerksamkeit intensiv zur Musik gedrängt wird. Andererseits aber wird danach ein Multifunktions-Fahrradständer in Position gebracht, an dem die zwei Liebenden sich blutsverbrüdernd ihre Unterarme verletzen können und das Metalldingsbums auf Stadttheater-Niveau die grausame Schicksalsgefangenheit symbolisiert.

Das Finale wiederum – Tristan ist tödlich verletzt und stirbt, ein letztes Mal wunderbar singend, vor sich hin – bebildert die Urenkelin des Komponisten mit Mehrfach-Isolden. Wie Marien-Erscheinungen ploppen sie hier, da, dort gespenstisch im Dunkel auf, das Tristans Burg eben nicht zeigt. Fein, denkt sich der Rezensent, geht doch, die Regie will nicht nur das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert mit dem Ensemble besiedeln, sondern endlich auch etwas wagen. Aber dann geht das Licht brutal an, und es wird wieder holzhämmernd eindeutig. Tristan verblichen, Isolde singt sich selbstopfernd in die Verzückung. Und Katharina Wagner rebelliert noch mal gegen den Uropa: Marke spendet nicht, posthum versöhnend, seinen Segen, sondern zerrt Isolde weg von der Leiche ihres Geliebten, als sei er der Lude, nach dem seine senfgelbe Garderobe aussieht, und sie sein Eigentum. Nicht-Dynastiemitgliedern hätte die Festspielleitung diese Hau-drauf-ist-Tristan-Schluss-Pointe wahrscheinlich nicht bis in die Premiere durchgehen lassen. Hier aber heiligt der Name ein Regie-Mittel.