Hamburg. Die Tonstudios in Hamm verkörpern eine ganz besondere Mischung aus Nostalgie und Leidenschaft.

Welche Musik empfindet ein Mensch als schön? Welcher Sound löst in uns Emotionen aus, Erinnerungen, Euphorie? „Unser Gehör funktioniert alles andere als linear, gerade in der Kunst“, sagt Dennis Rux, zieht an seiner Lucky Strike und schaut aus dem Fenster, wo die Bille ruhig durchs Industriegebiet fließt. Zwischen Autohändlern und Lagerhallen hat der 39-Jährige die Yeah! Yeah! Yeah! Studios mit aufgebaut, wo er Bands aufnimmt, die den warmen, rauen Sound vergangener Tage suchen. Diesen ganz speziellen Klang, der nicht perfekt ist. Und deswegen besonders gut.

Zu diesem Zweck hat Rux, der mit seinen langen Koteletten selbst sehr viel Retro-Charme ausstrahlt, zahlreiche alte analoge Geräte in seinen Studioräumen angesammelt. Etwa das wuchtige Mischpult der Firma ANT, die einst aus der Audioabteilung von AEG und Telefunken hervorgegangen war. Rux präsentiert zudem stolz ein klobiges RCA-Mikrofon aus den 50er-Jahren, wie Elvis es benutzte. Am Fenster ruht ein elektrisches Klavier von Wurlitzer. Nebenan eine alte Röhrenbandmaschine sowie diverse Verstärker von Fender, Vox, Hohner. Im wahrsten Sinne des Wortes klangvolle Namen. Und Designs, die trotz der Technik organisch wirken. Charaktervoll.

Für Rux ist die Persönlichkeit, die Equipment und Instrumente in sich tragen, entscheidend für seine Arbeit. Der Sound-Enthusiast umgibt sich mit all diesen Dingen nicht, um sie mit musealer Distanz zu betrachten. Zu jedem seiner Geräte führt Rux eine ganz eigene Beziehung. Er weiß, wie sie sich anfühlen. Und er kennt ihre Macken. Er weiß sie zu nehmen und zu bedienen. „Die Sachen zicken auch mal rum. Oder müssen erst mal eine Weile warm laufen“, sagt Rux, dreht sich ein wenig in seinem runden Sessel herum und lacht. Aber die Apparate von damals hätten alle eine hohe Qualität, seien belastbar, ließen sich auch mal gezielt übersteuern. „Solche Soundeffekte lassen sich nicht digital nachbauen“, ist der Produzent und Musiker überzeugt.

Sein Know-how hat sich Rux, der in Bremen aufwuchs, über Jahre hinweg erarbeitet. Sein erstes kleines Kellerstudio eröffnete er 1997 als Student der Germanistik und Philosophie in Göttingen. „Ich habe nebenbei bei Mercedes rangeklotzt und so die Knete zusammengekratzt“, erinnert er sich. Damals, vor dem großen Retro-Boom, da sei es noch möglich gewesen, Geräte aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren halbwegs günstig zu kaufen, erzählt er. In seinem zweiten Studio, zurück in der Bremer Heimat, nahm Rux die Musiker, die zu ihm kamen, ausschließlich mit Bandmaschine auf. Dass heißt: Allein aufgrund des Material-Verbrauchs konnten die Bands da nicht langwierig am Sound basteln. Sie mussten bestenfalls gut eingespielt sein und klare Entscheidungen treffen, wie ein Stück klingen soll. „Das war mir auf Dauer dann aber doch zu radikal“, sagt Rux über die altmodische Vorgehensweise.

In den Yeah! Yeah! Yeah! Studios arbeitet er meistens hybrid, verwendet also sowohl digitale als auch analoge Technik und versucht so, das Beste aus zwei Welten zu kombinieren. Nach Hamburg war er wegen der größeren Musikszene gezogen und schuf in Hamm im Jahr 2009 sein Sound-Refugium auf 250 Quadratmetern Lagerfläche. Neben Rux mit seinem Analogtonstudio existiert in dieser Soundschmiede noch ein zweites Studio namens Klangkombinat, betrieben von Tobias Kukla. Und dass während des Interviews in der Studioküche, die stilecht in orange-braunem Kreismuster tapeziert ist, schon mal ein verschwitzter Schlagzeuger durchs Bild läuft, kommt auch nicht von ungefähr, hat doch die Rockband Jupiter Jones ihre Proberäume auf derselben Etage.

Höchst anregend erzählt Dennis Rux, warum er mit 20 Mikrofonen aufnimmt

„Für jede dieser drei Einheiten steht ein Yeah“, erklärt Rux. Und natürlich symbolisiert der popkulturelle Schlachtruf auch diese besondere Mischung aus Nostalgie und Leidenschaft, die der Produzent verkörpert. Gar nicht trocken, sondern höchst anregend kann er etwa erzählen, warum er den Schlagzeuger einer Band mit vier oder doch lieber mit 20 Mikrofonen aufnimmt. Für ihn trägt jede technische Entscheidung zur Aura eines Songs bei. Und repräsentiert zudem eine bestimmte Ära der Tonaufnahme.

Rux wuchs mit der Oldie-Sammlung seiner Eltern auf und lernte bald zielsicher zu unterscheiden, ob eine Nummer in den 40ern oder in den 80ern produziert wurde. „Vor allem in den 50er- bis 70er-Jahren ist tontechnisch wahnsinnig viel passiert“, schwärmt er. Die Mischpulte operierten mit zunehmend mehr Spuren, der Fortschritt war auf den Platten einer jeden Dekade hörbar. „Das war für die Studios damals sicherlich ein ganz schönes Wettrennen“, meint Rux. Sein Ziel ist es, „beim Hörer etwas klingeln zu lassen, wodurch vielleicht Erinnerungen wach werden.“ An eine Begegnung etwa. Oder an eine bestimmte Phase des Lebens. Und um diese Nuancen spürbar zu machen, tastet er sich gemeinsam mit den Musikern an den gewünschten Sound heran. „Wenn eine Band mir zu Beginn ihre Songs vorspielt, dann kommen bei mir meistens sofort Assoziationen hoch“, sagt Rux und wedelt mit den Armen, als wolle er all seine akustischen Ideen in die Luft malen.

Um sein Schaffen einem größeren Publikum zugänglich zu machen, lädt er im Sommer nun erstmals ins Zirkuszelt im Schanzenpark, das von Ende Mai bis Anfang Juli ein reichhaltiges Musik- und Kulturprogramm bietet. Beim Yeah! Yeah! Yeah! Festival am 11. Juni treten vier Bands auf, die in Hamm aufgenommen haben oder die Rux noch produzieren wird.

French Boutique aus Paris zum Beispiel spielen Chansons mit Sixties-Anleihen. Neben der Pop-Band Freud aus Wien sowie der Beat-Combo The Youth aus Kopenhagen wird auch die Hamburgerin Miu zu erleben sein, die einige Songs ihres im August erscheinenden Albums „Watercoloured Borderlines“ vorstellen möchte. Und wenn es dann auf dieser Platte warm knistert und geheimnisvoll hallt und insgesamt wohlig geräuschvoll tönt, dann dürfte das wohl der Yeah! Yeah! Yeah!-Effekt sein.