Günter Grass starb an einer schweren Infektion. Bundespräsident Gauck und Weggefährten würdigen die Leistung des Nationaldichters.

In zwei Wochen wollte er wieder in Hamburg auftreten: mit Nina Hagen beim Lesen ohne Atomstrom im Ohnsorg-Theater. Doch jetzt ist völlig überraschend der deutsche Literatur-Nobelpreisträger und große streitbare Autor Günter Grass im Alter von 87 Jahren in Lübeck gestorben. Das hat der Steidl Verlag (Göttingen) mitgeteilt.

Der Schriftsteller erlag einer schweren Infektion. Er sei kurzfristig in ein Lübecker Krankenhaus gekommen und dort Montagfrüh im Kreis seiner Familie gestorben, teilte sein Sekretariat in Lübeck mit.

Trotz des hohen Alters sei der Tod sehr überraschend gekommen, sagte seine Sekretärin Hilke Ohsoling, die noch am Sonnabend mit Grass gesprochen hatte. Über Ort und Zeitpunkt der Beisetzung könne sie noch nichts sagen.

Noch am 28. März hatte Grass im Thalia Theater die Uraufführung einer neuen Bühnenfassung seines Romans „Die Blechtrommel“ im Thalia Theater mit seiner Frau besucht und mit dem Ensemble auf der Bühne den Schlussapplaus entgegengenommen. „An der Premierenfeier, bei der auch viele seiner eigenen Kinder dabei waren, nahm er noch mit großem Vergnügen teil“, sagte Ohsoling. „Es war sein letzter großer Auftritt in der Öffentlichkeit.“

Unmittelbar vor seinem Tod hat Grass die Arbeit an einem neuen Buch beendet. „In der vergangenen Woche haben wir zusammen gegessen und das Werk in die letzte Fassung gebracht“, sagte Steidl. Das Buch mit dem Titel „Von Endlichkeit“ beinhalte sowohl Lyrik als auch Prosa und sei „ein kleines literarisches Experiment“, sagte Steidl weiter. Der Band werde im Juli oder August erscheinen. Auszüge würden aber bereits während einer Lesung am 12. Juni in Göttingen vorgestellt. An diesem Tag wird in einem dem Verlag gehörenden Haus auch das Günter-Grass-Archiv eröffnet.

"Ein wahrer Gigant, ein Freund, eine Inspiration"

Nach Bekanntwerden der Nachricht vom Tode des Schriftstellers würdigen Wegbegleiter und Persönlichkeiten aus Kultur und Politik das Leben und die literarische Leistung von Günter Grass.

Bundespräsident Joachim Gauck hat das Lebenswerk des am Montag gestorbenen Schriftstellers Günter Grass gewürdigt. „Günter Grass hat mit seiner Literatur und seiner Kunst die Menschen in unserem Land bewegt, begeistert und zum Nachdenken gebracht“, schrieb Gauck in einem Kondolenzschreiben an die Witwe des Literaturnobelpreisträgers, Ute Grass. „Sein Werk ist ein beeindruckender Spiegel unseres Landes.“

Gauck bezeichnete den Künstler als streitbaren und eigenwilligen politischen Geist, der Auseinandersetzungen und Kritik nicht fürchtete. In seinen Romanen, Erzählungen und in seiner Lyrik fänden sich die großen Hoffnungen und Irrtümer, die Ängste und Sehnsüchte ganzer Generationen, ergänzte Gauck. Man werde ihn nicht vergessen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schrieb an die Witwe des verstorbenen Schriftstellers. Grass habe „die Nachkriegsgeschichte Deutschlands mit seinem künstlerischen sowie seinem gesellschaftlichen und politischen Engagement wie nur wenige begleitet und geprägt“, schrieb Merkel. „Mit dem Tod von Günter Grass verliert die Bundesrepublik Deutschland einen Künstler, von dem ich mit tiefem Respekt Abschied nehme.“

Bundestagspräsident Norbert Lammert äußerte sich ebenfalls in einem Kondolenzbrief. „Mit Günter Grass verlieren wir nicht nur einen der bedeutendsten Literaten deutscher Sprache, sondern auch einen engagierten Staatsbürger, der immer wieder öffentlich Stellung bezogen hat“, schrieb der CDU-Politiker an Grass' Frau. „Er scheute keine noch so heftige Kontroverse, im Gegenteil, er suchte sie, wo er sie für notwendig erachtete. Das machte ihn zu einer Instanz in der politischen Debatte, die zuweilen störte und manchmal auch verstörte.“ Dem Schriftsteller Grass verdanke man „vor allem große, unvergängliche Lesemomente“.

Der Schriftsteller Salman Rushdie hat via Twitter den Tod des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass bedauert. „Das ist sehr traurig. Ein wahrer Gigant, eine Inspiration, ein Freund“, schrieb der Autor („Die satanischen Verse“). „Trommele für ihn, kleiner Oskar“, schrieb er in Anlehnung an Oskar Matzerath, die Hauptfigur aus Grass' Roman „Die Blechtrommel“.

Der rumänische Schriftsteller Mircea Cartarescu („Orbitor“): „Grass war für mich einer der letzten lebenden großen Schriftsteller. Ein Bezugspunkt für die ganze heutige Literatur. Die Nachricht von seinem Tod hat mich tieftraurig gemacht“,

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) „Grass war ein Weltliterat, sein literarisches Vermächtnis wird neben dem von Goethe stehen“, erklärte Grütters am Montag in Berlin. Er hat sich an der Geschichte gerieben, abgearbeitet und auch manche Interpretation gefunden, die für seine Leser wie für seine Kritiker nur schwer auszuhalten war. Aber auch dies machte Günter Grass aus: das Streitbare, das Laute, das Belehrende und so bleibt er in unserer Erinnerung ein Geschichtenerzähler, der nicht nur Geschichte schrieb, sondern auch lebte.“

Regisseur Jürgen Flimm, Intendant der Berliner Staatsoper: „Es geht auch eine polemische Stimme verloren, die überspitzen konnte, sehr oft zum Ärgernis einiger Menschen. Ich werde vor allem seine Freundschaft und seine raue Aussprache vermissen.“

Thomas Oppermann (SPD): "Günter Grass ist gestorben. Das ist eine traurige Nachricht. Sein literarisches Werk ist unsterblich. Die Blechtrommel war mein erstes wichtiges Buch.“

Joachim Lux, Intendant des Hamburger Thalia Theaters, empfindet den Tod von Günter Grass, nur wenige Monate nach dem von Siegfried Lenz, als tiefen Einschnitt. „Mit dem Tod von Siegfried Lenz und Günter Grass innerhalb kurzer Zeit geht eine ganze Epoche endgültig zu Ende - literarisch und auch politisch“, sagte Lux. „Die letzten Zeitzeugen verstummen - siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.“

Sigmar Gabriel (SPD) würdigte Grass als Wegbegleiter, engen Freund und Ratgeber der deutschen Sozialdemokratie. „Mit ihm verlieren wir einen der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsgeschichte und einen engagierten Autor und Kämpfer für Demokratie und Frieden.“

Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz (85) trauert um seinen Freund. „Wir haben uns nicht mit dem selben Thema beschäftigt, aber wir waren Freunde und haben uns gegenseitig geschätzt“, ließ der schwer kranke Ungar der Deutschen Presse-Agentur über seine Frau Magda mitteilen.

Das Europäisches Übersetzer-Kollegium hat Grass als „großen Freund der Übersetzer“ gewürdigt. „Übersetzer sind die genauesten Leser“, zitierte das Kollegium Grass am Montag in einer Würdigung. „Sie nehmen den Autor beim Wort. Unerbittlich sind sie ihm auf der Spur. Sie finden sich nicht bereit, Unverständliches oder dem Autor unterlaufende Ungenauigkeiten hinzunehmen.“

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat sich „tief bestürzt“ vom Tod des Schriftstellers gezeigt. Grass sei ein großer Bürger und Sohn der Stadt Lübeck, wie ein Außenamtssprecher in Berlin sagte. Es sei tragisch, dass Grass jetzt gestorben sei, einen Tag, bevor die Welt auch wegen eines G7-Außenministertreffens in Lübeck auf die Stadt blicken werde.

Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, hob die Bedeutung des Schriftstellers hervpr. „Mit Günter Grass verliert die Welt der Literatur einen wortmächtigen Autor und unsere Republik einen ihrer streitbarsten Mitbürger“, erklärte Staeck. „Wenn er die Demokratie in Gefahr sah, ging er keiner notwendigen Auseinandersetzung aus dem Wege“, so der Akademiepräsident. „Ich persönlich verliere in ihm einen Freund mit Haltung, auf den man sich sowohl politisch, als auch ganz praktisch stets verlassen konnte.“

Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) hat erschüttert auf den Tod von Literaturnobelpreisträger reagiert. „Das ist ein schwerer Verlust für Lübeck, aber auch für die deutsche und die internationale Literatur“, sagte Saxe. „Mein tief empfundenes Mitgefühl gilt seiner Ehefrau und seiner Familie.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD): „Mit Günter Grass verliert Schleswig-Holstein eines seiner profiliertesten Gesichter und die Welt einen ganz großen Schriftsteller. Sein Werk hat Generationen von Lesern beeindruckt, er hat die Auseinandersetzung im Deutschland der Nachkriegsjahre maßgeblich beeinflusst und mitbestimmt."

Tief betroffen äußerte sich auch der Leiter des Lübecker Günter-Grass-Hauses, Jörg-Philipp Thomsa. „Wir sind dankbar für die vielen Erlebnisse, die wir mit ihm teilen durften“, sagte Thomsa. Grass war am Montag im Alter von 87 Jahren gestorben.

Unbequemer Nationaldichter

„Die Blechtrommel“ brachte dem gebürtigen Danziger auch international den Durchbruch. Sie gehört zu den wichtigsten Romanen der deutschen Nachkriegsliteratur und gilt als Jahrhundertwerk. Das Nobelpreis-Komitee nannte das Buch die „Wiedergeburt des deutschen Romans im 20. Jahrhundert“. Grass erzählt darin von den Erlebnissen des aus Danzig stammenden Zwerges Oskar Matzerath, der sich mit drei Jahren weigert, weiter zu wachsen.

Das Erscheinen des Bildungs- und Schelmenromans rief in der Bundesrepublik manche Sittenwächter auf den Plan, die sich an den teils deftigen erotischen Szenen störten. Seit den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann habe kein Erstling einen derartigen Aufruhr verursacht, befand das Nobelpreiskomitee. Die Verfilmung des deutschen Regisseurs Volker Schlöndorff wurde 1980 mit dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet.

Der zuletzt in Behlendorf bei Lübeck lebende Grass hatte nach dem Krieg eine Steinmetzlehre gemacht und in Düsseldorf und Berlin Kunst studiert; er war Bildhauer und Grafiker. Er zeichnete auch und schrieb Gedichte. „Die Blechtrommel“ bildet zusammen mit der Novelle „Katz und Maus“ (1961) und dem Roman „Hundejahre“ (1963) die sogenannte Danziger Trilogie.

Weitere wichtige Werke sind die Novelle „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“, die Romane „Der Butt“ (1977) und „Die Rättin“ (1986), das skandalumrankte Buch „Ein weites Feld“ (1995) sowie die Novelle „Im Krebsgang“ (2002). Fast ein halbes Jahrhundert nach der „Danziger Trilogie“ schrieb Grass seine „Erinnerung der Trilogie“ mit drei autobiografischen Bänden.

In der Bundesrepublik engagierte sich Grass schon seit den 1960er Jahren als Gesellschaftskritiker. Seit den 1960er Jahren warb er in Wahlkämpfen für die SPD. Aus Protest gegen deren Asylpolitik trat er 1992 zwar aus der Partei aus, blieb ihr aber bis zuletzt verbunden. Früh setzte er sich auch für eine deutsch-polnische Verständigung und für den Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete ein. Immer wieder löste er heftige Kontroversen aus, zuletzt 2012 wegen eines Israel-kritischen Gedichts.

NDR-Fernsehen ändert sein Programm

Das NDR Fernsehen ändert anlässlich des Todes von Günter Grass am Montag sein Programm und nimmt drei Sondersendungen ins Programm. Um 15.15 Uhr wird die Dokumentation "Ich schrieb Buch nach Buch'" ausgestrahlt. Um 20.15 Uhr sollen der Schrifsteller in der Nachrichtensendung "Dichter und Provokateur" gewürdigt werden. Um 23.25 Uhr wird der Film "Dichter und Provokateur" (2012) ausgestrahlt, in dem sich Ulrich Wickert mit dem Leben und Arbeiten von Günter Grass befasst.