Der Komponist und Gitarrist Tornado Rosenberg traf früh auf Musikgrößen wie Harry Belafonte, Nina Hagen und Udo Lindenberg. Ein Porträt.

Die Kellnerin trägt ein Dirndl, im Hintergrund läuft bayerische Musik, und man überlegt, warum der Mann, der gerade seinen Hut beiseite legt und kurz den dunklen Nadelstreifenanzug glatt streicht, ausgerechnet dieses Lokal am Großneumarkt ausgewählt hat. Schließlich ist Gitarrist Tornado Rosenberg bei Kennern für ganz andere Musik bekannt, für Jazz, Blues, Swing, Bossa Nova, Folklore auch. „Schrammelmusik ist mir nicht fremd, die habe ich manchmal selbst mit meinem Vater gemacht“, sagt Rosenberg und lächelt freundlich.

Sehr vertraut ist ihm auch dieser Platz in der Neustadt. Hier besaß sein Bruder in den 80er-Jahren die Musikkneipe Gamasche, die Stars wie Howard Carpendale und Chris de Burgh nach ihren Konzerten im CCH besuchten. Hier lebte der Vater vor und auch nach dem Krieg – vom Dazwischen möchte Rosenberg lieber später erzählen, vielleicht. Er mag Menschen. Aber er kennt sie auch gut genug, um sein Herz nicht auf der Zunge zu tragen.

Es ist einfacher, damit zu beginnen, wie der Vater, Alfred Rosenberg, ihm das Gitarrenspiel beibrachte. Und wenn er davon spricht, wie er als Fünfjähriger auf dessen Schoß saß, um am zu großen Instrument die richtigen Griffe zu üben, dann leuchten seine Augen. „Mit sieben oder acht Jahren gehörte ich dann schon zum Sissi-Orchester, in dem mein Vater mitspielte“, erzählt der Musiker, der sein Alter nur andeutet. „Geboren Mitte der 50er-Jahre.“ Keine eitle Marotte, bloß der Wunsch nach etwas Privatsphäre.

Das „Sissi-Orchester“ hatte die Musik zu den berühmten Romy-Schneider-Filmen gemacht. Nach deren Erfolg ging man in Europa auf Tournee. In den Ferien war sogar der kleine Tornado dabei, nur einer von drei Jungs, die die insgesamt rund 30-köpfige Truppe verstärkten – und meist auf Stühle gestellt wurden, damit man sie besser sehen konnte. „Unsere Konzerte fanden oft in Kirchen statt, wir interpretierten Strauss, christliche Lieder und spielten auch ungarische Musik.“ Der Junge war nicht sehr begeistert, als die Mutter ihm später irgendwann die Gitarre wegnahm, für die der Vater extra seinen Borgward verkauft hatte. „Sie wollte unbedingt, dass ich Geige lerne.“

Durchgesetzt hat sie sich nicht, noch heute verraten die langen Fingernägel der rechten Hand den Gitarristen. Wer begreifen will, wie stark Tornado Rosenberg – kein Künstlername übrigens – in der hiesigen Musikszene verankert ist, der braucht ein wenig Zeit. Denn dann erzählt er davon, wie schon sein Vater Freddy Quinn Gitarre spielen beigebracht hat. Wie er selbst als Halbwüchsiger Swing, Blues und Jazz im „Onkel Pö“ in Eppendorf machte, weil sein Bruder Leute wie Udo Lindenberg und Otto Waalkes kannte. „Pianist Gottfried Böttger sagte nur zu mir: Wenn einer fragt, sagst du, du bist schon 18!“ Nach dem Schulabschluss überlegte Tornado Rosenberg, einen sozialpädagogischen Beruf zu ergreifen. „Mein Vater sagte: Du kannst auch mit der Musik anderen helfen.“

Der Musiker zögerte, ob er ein Porträt von sich in der Zeitung lesen möchte

Passend, dass bekannte Kollegen wie Henning Venske, Nina Hagen, Wolf Biermann und Konstantin Wecker den Weg des jungen Musikers kreuzten, dessen selbst komponierte Lieder zunehmend sozialkritisch wurden. Es ging darin auch um die Jahre von ‘33 bis ‘45. Unter der Schirmherrschaft von Harry Belafonte fand Anfang der 80er-Jahre im St.-Pauli-Stadion die Veranstaltung „Künstler für den Frieden“ statt. „Ida Ehre kündigte mich an, und ich spielte vor 20.000 Menschen, ging später sogar mit Belafonte und Joan Baez auf Tournee“, erzählt Rosenberg. Das „Künstler für den Frieden“-Album wurde damals als „Beste Platte des Jahres“ ausgezeichnet. „Ich bin stolz darauf. Aber dann auch wieder nicht.“ Dass er die Geschichte von Juden, Sinti und Roma und anderen Menschen, die in Konzentrationslager deportiert wurden, musikalisch verarbeitet hat, sei kein Verdienst, sondern eine Pflicht gewesen. Genauso wie der Hungerstreik, in den er einmal trat, um darauf aufmerksam zu machen. „Sonst bleiben die Toten vergessen.“

Der Musiker hat erst in Ruhe überlegen müssen, ob er ein Porträt von sich in der Zeitung lesen möchte. Er ist es gewohnt, öffentlich aufzutreten, trotzdem stellt er sich nicht gern in den Mittelpunkt. „Jeder Hamburger ist ein besonderer Mensch, ohne Ausnahme.“ Dass Tornado Rosenberg so denkt, hat viel mit seiner christlichen Anschauung zu tun, er ist ein sehr gläubiger Mensch. Vielleicht, weil ihm sein Glaube dabei hilft, die Vergangenheit seiner Eltern besser zu bewältigen, die ja auch ein Teil seiner eigenen ist.

Wenn man etwas über ihn liest, wird er meist als Sinto-Gitarrist bezeichnet. Rosenberg ist jedoch schon so oft in eine Schublade gesteckt worden, dass er keine Lust mehr auf Etiketten hat. „Ich bin, wenn man es genau nimmt, einfach ein Europäer. Es macht keinen Unterschied, welche Wurzeln jemand hat.“ Stücke von Django Reinhardt gehören immer noch zu seinem Repertoire. Sein Lied „Lustig wär das Zigeunerleben“, das vor mehr als 30 Jahren wichtig gewesen sei, spiele er nicht mehr. „Ich hoffe, dass es nicht mehr erforderlich ist, derartige Lieder zu singen – obwohl sie aktuell bleiben. Wir müssen etwas dafür tun, damit Vorurteile ganz allgemein abgebaut werden.“

Vielleicht habe es auch Juden in seiner Familie gegeben, der Großvater ging noch zur Schule der Synagoge Kohlhöfen, unweit des Großneumarktes. Beide Eltern waren im KZ, mussten dort Zwangsarbeit leisten. Viele Verwandte wurden in Lagern umgebracht. Und wenn Tornado Rosenberg dann doch ein wenig davon erzählt, wird seine Stimme etwas leiser, und er spricht langsamer. Er sei stolz auf diesen Vater, der sogar einmal einen Beschwerdebrief an Hitler geschrieben hat. Was ihn tief geprägt hat, war jedoch dessen Fähigkeit zu vergeben. „Er hat immer gesagt: Begegne diesem Hass nicht. Er blockiert und hindert einen daran, unschuldige Menschen zu lieben.“ Tornado Rosenberg hat sein Leben lang daran gearbeitet. Hat den Dialog gesucht, wo es ihm sinnvoll erschien. Ist denen aus dem Weg gegangen, die nicht zum Gespräch bereit waren. Und er hat sich immer bemüht, beides zu respektieren. Weil er Feindbilder aus tiefstem Herzen ablehnt.

Die bekannte Schlagersängerin Marianne Rosenberg ist seine Cousine

Als sein Zuhause bezeichnet Tornado Rosenberg Finkenwerder, wohin die Familie 1961 zog. Die Flutzeit habe ihn sehr geprägt. Das Füreinanderdasein. Er erinnert sich genau, wie das Wasser bis zum Balkon stand. „Mein Vater war ein guter Angler. Er fischte Lebensmittelpakete aus dem Wasser, die aus dem Tante-Emma-Laden stammten, und verteilte sie an die Nachbarn.“ Tornado Rosenberg ist ein Familienmensch, ist sehr, sehr eng mit seiner Mutter und seiner Schwester. Von seinen beiden erwachsenen Töchtern spricht er wenig, beide leben im Ausland. Mit Musik haben beide nichts zu tun, im erweiterten Familienkreis gibt es jedoch zahlreiche Musiker. In Holland, in Frankreich, aber auch in Deutschland: Marianne Rosenberg, die eigentlich Gina heißt, ist seine Cousine. Er erwähnt es erst spät.

Schon seit zwei Jahren arbeitet Tornado Rosenberg an einer CD mit Hamburger Kneipenliedern. In seiner Wohnung hat er ein Tonstudio, komponiert dort Stücke, lädt sich andere Musiker ein. Eine Hörprobe der neuen CD gibt es auf Youtube. Tornado Rosenberg ist sicher, dass alle Lokalpatrioten genau darauf gewartet haben. Parallel zur Studioarbeit ist er mit dem Tornado Rosenberg Trio unterwegs. „Wenn man die Musik-Szene in Hamburg mit der meiner Jugend vergleicht, ist heute wenig los“, sinniert er und schaut auf den Großneumarkt hinaus. Genau hier würde er gern junge Talente fördern. Manchmal tritt er im „Kamm in“ auf, wenige Schritte entfernt. Aber nun muss er zurück ins Studio, um an seinen Liedern zu arbeiten. „Ich bin ein Hamburger Jung“ heißt eines davon.