Der irakische Schriftsteller Najem Wali stellt seinen aktuellen Roman „Bagdad Marlboro“ anlässlich der Lessingtage im Nachtasyl vor. Dabei treibt ein schlechtes Gewissen den Autor zum Schreiben an.
Hamburg. Irgendwann erzählte der Mann, dieser Mann mit jener eindrucksvollen Vita, von seiner Schwester. Der Schriftsteller Najem Wali hat die Schwester, eine von fünf, aus Bagdad nach Deutschland geholt. Es war gleichsam eine Flucht aus dem Irak, das chronisch instabile Land hatte auch er selbst schon Jahrzehnte vorher verlassen. Die Schwester, eine Arzthelferin, lebt jetzt in Dresden. Zurzeit will sie wieder fliehen.
„Wegen Pegida“, erklärte Wali – und lachte. Eine Pointe, eine Anekdote, eine gute, eine bittere Geschichte. Wali, der im Rahmen der Lessingtage und gefördert von der Initiative „Künstler für die Menschenrechte“ im Nachtasyl zu Gast war, liebt gute Geschichten. Und er kennt die bitteren. Denn die guten Geschichten sind auch oft die aus der Schattenwelt: Berichte und Beschreibungen aus Krieg und Nachkrieg, wie er sie zum Beispiel in seinem zuletzt erschienenen Roman „Bagdad Marlboro“ (Hanser Verlag) literarisch zu Papier gebracht hat. Den Roman stellte Wali, 58, in Hamburg nun vor, es geht um den Golfkrieg, die (Nicht-)Begegnung zwischen einem Iraker und einem Ami, um Schuld und Gewissen. Und um das Glück, überlebt zu haben.
Im Krieg, sagte Wali im Gespräch mit der Moderatorin Gabriele von Arnim, „kann man sich der Frage des Tötens oder Getötetwerdens nur durch Desertion entziehen“. In einem sehr offenen Dialog, der leider in ein enges Zeitkorsett gepresst wurde (warum müssen Lesungen nach 90 Minuten enden, wenn sie gut sind?), äußerte sich Wali zu seinen eigenen künstlerischen Antrieben. Und die haben im Falle seines bislang letzten Buches viel mit einem schlechten Gewissen zu tun. „Ohne das könnte ich nicht schreiben“, sagte Wali.
Es ist eine Art Schuld, die er abträgt, seit er 1980 nach Hamburg floh – und sich so seiner Einberufung in die Armee entzog. Während andere im Irak-Iran-Krieg starben, studierte er in Deutschland Germanistik. Er wurde Schriftsteller, lebte insgesamt 23 Jahre in Hamburg und kam am Ende über Stationen in Spanien und Italien in seine neue Wahlheimat Berlin.
Der preisgekrönte Autor Wali schreibt in seiner Muttersprache Arabisch, fünf seiner Bücher sind ins Deutsche übersetzt. Wali ist zuletzt ein häufig angefragter Interviewpartner gewesen, weil man im Westen wissen will, wie der „Islamische Staat“ so mächtig werden konnte. Im Nachtasyl ordnete Wali den IS in größere Zusammenhänge ein, nämlich nicht nur den des Syrienkrieges, sondern auch des Ukrainekonflikts – eine entweder kühne oder sehr grundsätzliche Einschätzung, die Wali nicht weiter ausführte.
Gemeint hat er wohl, dass derzeit weltweit so viele Menschen wie lange nicht mehr bereit sind, für ihren Glauben oder ihr Land zu töten.
Als Najem Wali im vergangenen Jahr erstmals in Bagdad las, erhielt er Morddrohungen. Es seien aber 500 junge Menschen da gewesen, die ihn hören wollten, erzählte Wali – „danach war ich enthusiastisch“.
Der Zustand sollte nicht lange anhalten. Die Gotteskrieger machten viele Hoffnungen liberaler Araber wie Wali zunichte, dass der Irak eine Erfolgsgeschichte westlicher Prägung schreiben kann. Eine der Schwestern habe ihn zuletzt angerufen und gefragt, was denn da los sei – warum reisten ausgerechnet aus Deutschland, dem Land, in dem der Bruder lebe und in dem ihre Söhne studieren wollten, junge Männer in den Irak, die Selbstmordattentate verüben wollten?