An diesem Freitag erscheint das neue Album „Alles brennt“ des Hamburger Sängers und Songschreibers Johannes Oerding. Ein Gespräch über Turbulenzen, lange Nächte, große Bühnen und ätzende Kritiken.

Hamburg. Manchmal verschluckt einen die Nacht, und der Tag spuckt einen aus. Und so kommt der Hamburger Sänger Johannes Oerding etwas spät zum Gespräch ins Café in St. Georg. Umso mehr Zeit nimmt er sich, um über sein neues Album „Alles brennt“ zu sprechen, das am Freitag erscheint.

Hamburger Abendblatt: Der erste Gedanke beim Hören Ihres neuen Albums „Alles brennt“ war: Johannes Oerding will in größere Hallen. Der Sound ist dynamischer, die Arrangements und Effekte sind groß angelegt. Ist das das Ziel?

Johannes Oerding: Auf die großen Bühnen wollte ich schon immer, da wird man ja schon bei Festivals angefixt. Die Dimensionen, die Energie. Das macht schon mehr Spaß, als in einem Café zu spielen. Aber das neue Album ist jetzt nicht gezielt für die große Bühne geschrieben worden. Auch dieses Mal war das Konzept: Es gibt kein Konzept.

Und Konzepte, Pläne können auch scheitern. Im Song „Alles brennt“ geht es drunter und drüber. Sind Sie schon einmal für etwas entflammt und haben dann, panisch herumrennend, alles um Sie herum angezündet?

Oerding: In meinem Umfeld hat jemand etwas erlebt, was leider kein Happy End hatte. Diese Art des emotionalen Flächenbrands kenne ich aber auch, und die Grundaussage ist, dass man die Initiative ergreift und Feuer am besten mit Feuer bekämpft.

Ein Song, der stellvertretend für die Grundthemen des Albums zu stehen scheint, ist „Turbulenzen“. Auch in „Gesucht und nichts gefunden“ oder „Ich will noch nicht nach Hause“ herrscht kein eitel Sonnenschein. Wie viel Johannes Oerding steckt da drin?

Oerding: Ich könnte nie einen Song singen, wenn ich die beschriebene Erfahrung nicht selber gemacht hätte. Ich könnte nicht darüber singen, ein junger Vater zu werden, selbst wenn der Text noch so schön ist.

„Nie wieder Alkohol“ ist also authentisch? Wenn man Ihnen begegnet, wirken Sie nicht gerade wie ein wüster Zecher.

Oerding: Ich bin schon stark am Glas, ich bin halt ein Dorfjunge. Da weiß man, was man kann, aber auch wo die Grenzen sind. Aber manchmal verschluckt einen die Nacht und der Tag spuckt einen aus.

Zufällig vor der „Daniela Bar“ am Schulterblatt? Annett Louisan erzählte mal, wie bei ihr da die Nacht zum Tage wurde.

Oerding: (lacht) Ja, das kommt hin. Dort trifft man oft Musiker, die von ihren Konzerten kommen. Das ist wie bei Bergarbeitern, die nach harter Schicht aus dem Schacht kriechen.

Und nach harter Schicht fühlt man sich „mal Held und mal Dreck“, wie Sie in „Das zweite Gesicht“ singen. Mussten Sie sich eine öffentliche Person anerziehen?

Oerding: In dem Lied geht es darum, was man so hört und liest. Da kotzt man nicht selten, ob es nun Zeitungskritiken sind oder Facebook-Trolle. Man lernt damit zu leben, aber das Herz sagt einem doch: Da ist einer, der hasst dich. Und ich bin Künstler, ich möchte geliebt werden, bin harmoniebedürftig. Klar müssen meine Lieder nicht jedem gefallen, aber wenn man persönlich angegriffen wird, fragt man sich warum.

Weil sie ein romantischer Mainstreamsänger sind und nicht gerade Punkrock. Pop für die Dame. Ist so.

Oerding: Bei meinen ersten beiden Alben sicherlich. Das ist mein Profil. Aber die harte Arbeit hinter der Musik ist Punkrock. Das sieht nur keiner und würde wohl auch einiges entzaubern.

Sie schreiben ja auch Lieder für andere Künstler. Wie schwer ist es für Sie, einen guten Song abzugeben?

Oerding: Kann ich gar nicht!

Ina Müller bekommt von Ihnen B-Ware?

Oerding: Nein, denn Komponieren kann ich immer, mein Kopf ist voller Melodien. Aber Texte abzugeben, damit tue ich mich schwer.

„So oder gar nicht“: Was hat Sie zu dem Lied angestiftet? Reggae? Klaus-Meine-Gedächtnispfeifen? Geht gar nicht.

Oerding: (lacht) Und dann noch dieses Ace-Of-Base-Klavier. Das ist so 90er, da haben wir alle Register gezogen, und ich bekomme von allen Seiten zu hören, was für ein fieser Ohrwurm das ist. Die sieben Zwerge pfeifen (pfeift) mit dem Sack über der Schulter. Eine akustische Trotzreaktion.

Fühlen sie sich wie im Song bei Medien-Events deplatziert? Alle sind chic, und Sie tauchen mit Lederschwarte auf?

Oerding: So tauche ich überall auf. „Abendgarderobe, Herr Oerding!“, höre ich dann immer. Deshalb gehe ich lieber auf Konzerte. Für Spionage, Inspiration und Freundschaften pflegen.

Der NDR zeigte mal eine Sendung mit den beliebtesten Popstars des Nordens ...

Oerding: Ina (Müller) war auf eins, ich war zum Glück nur auf zwei. Nein, im Ernst: Ina und ich sind schon sehr lange dabei, sie steht für etwas ganz Besonderes. Hmmh... und mit mir können wohl auch einige etwas anfangen.

Nervt es Sie manchmal, auf „Hamburger Sänger“ beschränkt zu werden?

Oerding: Was? Nein! Es ist doch schön, dass ich als Rheinländer dazu gehören darf. Ich mochte von Anfang an die Musikszene, Hip-Hop, Hamburger Schule, Rock, Pop. Für mich ist das die kreativste Musikstadt Deutschlands.

Was könnte an der Musikstadt Hamburg noch optimiert werden?

Oerding: Ich habe das Gefühl, dass es bei meiner Ankunft mehr kleine Liveclubs gab und dass die Bedingungen für die Betreiber schwerer geworden sind. Konzerte gibt es zwar mehr denn je, aber eine Möglichkeit, wie ich vor 12Jahren erste Kröten zu verdienen, ist nicht einfach zu finden. Und gleichzeitig ist die Elbphilharmonie immer noch nicht fertig, ich finde, da darf man sich auch mal stammtischmäßig aufregen.

Mit Glück klingt die immerhin besser als die olle Sporthalle.

Oerding: In die Sporthalle muss man nur eine ordentliche Anlage reinhängen, Bosse oder Tim Bendzko haben es vorgemacht. Und wir hängen da das Beste vom Besten rein. So oder gar nicht.

Johannes Oerding: „Alles brennt“ Album (Sony) ab 30.1. im Handel, Konzert: 13.6., Sporthalle; www.johannesoerding.de