Der düstere Thriller „Spuren des Bösen: Schande“ mit Heino Ferch in der Rolle als Psychologieprofessor ist ein Fernsehfilm der Extraklasse. Das ZDF zeigt den Film an diesem Montag.
Es dauert länger als fünf Minuten bevor der erste Satz gesprochen wird. Die düstere Exposition von „Spuren des Bösen: Schande“ führt allein über die Bilder von Kameramann David Slama in die verschiedenen Handlungsstränge ein: Richard Brock, Psychologieprofessor an der Wiener Universität (Heino Ferch) und seine Kollegin Paula Moser (Maria Köstlinger) erleben eine heimliche Liebesnacht. Als Moser zurück in ihre Wohnung schleicht, bemerkt sie im Treppenhaus einen unbekannten Mann, der später ihre Wohnung in Brand setzen wird. Brock, Moser und ihre beiden Kinder werden gerettet und treffen sich am Rettungswagen wieder.
Derweil kommt Paulas Mann von der Nachtschicht heim, während in einem nahen Caféhaus Richard Brock seinen ersten kleinen Schwarzen trinkt. Und es gibt einen Toten: Professor Lukas Gabner, ein älterer Kollege von Brock, ist ermordet worden.
Brocks Tochter Petra (Sabrina Reiter) ermittelt für die Mordkommission in dem Fall Gabner, doch tappt sie hinsichtlich eines Motivs im Dunklen. Ihr Vater Richard wird unterdessen von einem unheimlichen Mann kontaktiert, der sich als Dr. Pliem (Fritz Karl) vorstellt. Er möchte bei Brock eine Psychoanalyse machen. Der aber lehnt ab, weil er keine neuen Klienten mehr übernimmt. Pliem erpresst ihn daraufhin mit Fotos, die Brock in eindeutigen Situationen mit seiner verheirateten Kollegin Moser zeigen. Die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass Pliem auch den ermordeten Gabner gekannt hat. Weil er den toten Professor innerhalb kürzester Zeit 35-mal angerufen hat, wird er von Petra Brock vernommen. Doch Pliem möchte nur mit Richard Brock sprechen.
„Schande“ ist der vierte Fall um den Psychologen Richard Brock. Wieder ist er von Martin Ambrosch geschrieben und von dem österreichischen Ausnahmeregisseur Andreas Prochaska inszeniert worden, der auch die drei früheren Folgen als Regisseur verantwortet. Prochaska hat 2013 gute Kritiken für seinen Alpen-Western „Das finstere Tal“ bekommen. Bei dieser Arbeit für das Fernsehen zeigt er zusammen mit Kameramann David Slama, über welche außergewöhnliche Filmsprache er verfügt. „Schande“ geht weit über gängige Fernsehästhetik hinaus, es ist ein düsterer Film noir in der Tradition französischer Thriller von Jean-Piere Melville oder Bertrand Tavernier. Es gibt zudem albtraumhafte Sequenzen, die „Schande“ zu einem Horrortrip machen, die Bilder dominieren oft das Wort in diesem außergewöhnlichen Fernsehkrimi.
Dr. Richard Brock ist ein Einzelgänger und ein Meister der Ein-Wort-Sätze. Nur wenn er seine Vorlesungen hält, über das Unterbewusste doziert und zur Verdeutlichung einen Eisberg an die Tafel malt, reiht er mehrere Sätze aneinander. Auch sie sind extrem pointiert und können von den Studenten als Schlüsselsätze in die Kladden hineingeschrieben werden. Immer wieder verfolgt Slamas Kamera den Psychologen, wenn Brock mit offenem Mantel durch die Straßen Wiens läuft, scheinbar ziellos, immer nachdenklich. Brock umgibt Einsamkeit und Melancholie gleichermaßen, das Lachen ist ihm abhanden gekommen. Umso schärfer ist sein Blick in die Seelen seiner Gegenüber. Heino Ferch hat es in „Schande“ mit einem ebenbürtigen Gegenüber zu tun. Fritz Karl, bekannt aus einigen Filmen von Lars Becker, spielt den Dr. Pliem als einen undurchsichtigen und abgründigen Mann, der im Laufe der Handlung immer mehr von sich preisgibt. Seine Schande besteht darin, dass er die entscheidende Prüfung während seines Medizinstudiums versäumt hat und gegenüber der Mutter nur vorgibt, als Arzt zu arbeiten. In Wirklichkeit ist er ein Zeittotschläger, der seit Jahren von Parkbank zu Parkbank und von Caféhaus zu Caféhaus wandert. Pliem hat eine traumatische Störung, doch es braucht eine ganze Weile, bis Brock das ganze Geheimnis entschlüsseln kann.
Es ist ein Hochgenuss, diesen Schauspielern zuzusehen. Sie geben sich kaum eine Blöße und legen falsche Fährten. Zwischen ihnen herrscht Distanz und Nähe gleichermaßen. Pliem möchte Hilfe, Brock die Bedrohung für seine Liaison ausschalten. Doch eine weitere Katastrophe passiert, und Brock fängt an, die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren. Bis zum Finale hält Prochaskas überragender Film die Spannung hoch. Der Zuschauer muss einiges aushalten, doch „Schande“ ist ein Fernsehspiel der Extraklasse.
Spuren des Bösen: Schande, Montag, 19.1., 20.15 Uhr, ZDF