Ein Mann, ein Schwert: Schauspieler Philipp Hochmair verkörpert den Drachentöter „Siegfried“ im Thalia Theater. Am Sonnabend feiern Teil drei und vier der Wagner-Bühnenadaption Premiere.
Hamburg. Der Concierge des Hotel Atlantic staunt nicht schlecht, als ein Mann mit gigantischem Schwert durch die Drehtür läuft. Aber niemand hält ihn auf. Vielleicht liegt das an der Arglosigkeit und dem schalkhaften Lächeln, mit dem er dies tut. Es ist Thalia-Schauspieler Philipp Hochmair, und der Akt passt zu der Rolle, auf die er sich derzeit vorbereitet: Die des Siegfried in der Nibelungensaga. Ein reiner Tor, ein unbedarftes Waldkind, Spross zweier Geschwister mit wölfischen Vorfahren. Ein wenig Naivität. Viel gelebtes Hippietum.
Am 17. Januar haben Teil drei und vier der groß angelegten Wagner-Bühnenadaption „Siegfried/Götterdämmerung“ in der Regie von Antú Romero Nunes Premiere im Thalia Theater. Ab 31. Januar gibt es den ganzen „Ring“ dann für Hartgesottene mit Sitzfleisch als Blockbuster, als Marathon am Stück zu sehen. Zu Richard Wagner hatte Hochmair bislang kein Verhältnis. „Das ist ein riesiger toter Winkel, in den ich reingeleuchtet habe. Ich habe Achtung vor diesem Kraftwerk und der Ernsthaftigkeit dieser Kunst“, sagt Hochmair, jetzt in der Hotelbar, hellwacher Blick aus stahlblauen Augen, das Schwert ruht am Boden. Der Kult, der daraus entstanden sei, sei ihm allerdings sehr fremd.
Hochmair zählt zu den Stars im Ensemble
Am Thalia Theater zählt Philipp Hochmair, 41, seit Jahren zu den Stars im Ensemble. Zuständig für offene, direkte Zugänge zu schwergängigen Klassikerriemen, etwa als Mephisto in „Faust I und II“, als Dorfrichter Adam in Kleists „Der zerbrochne Krug“. Als „Werther“ spielt er auf der großen Bühne ganze Schulklassen weich. Berauscht vom eigenen Können und verletzlich zugleich. Ein Experte also für Großaufgaben wie diese.
„Siegfried“ ist nach „Rheingold“ und „Walküre“ der Part, in dem sich in der Nibelungensage das Geschehen zuspitzt. Es geht um politische Intrigen, Liebe, Verrat, Rache und Mord auf Basis von Richard Wagners „Ring“ und des 1861 uraufgeführten Trauerspiels von Friedrich Hebbel. Der furchtlose Siegfried, der das Schwert Nothung und den Nibelungenhort samt einer Tarnkappe erlangt, den Drachen besiegt und durch das Bad in dessen Blut – fast – unverwundbar wurde. Er verspricht sich der kriegerischen Brünnhilde, später gerät er in die Hofgesellschaft des Burgunderkönigs Gunter, wo er sich nach dem Genuss eines Vergessenstrunks in Kriemhild verliebt. Der Liebesverrat zieht den Mord aus Rache nach sich. Am Ende steht der Untergang der Götterwelt.
Siegfried steht für einen freien, ungebrochenen Menschen, der gebrochen wird. „Ich selbst habe ja auch eine gewisse Ungebremstheit und beiße mir die Zähne an Institutionen aus, weil ich oft nicht verstehe, was von mir verlangt wird“, sagt Hochmair. Einst bewarb sich der gebürtige Wiener am dortigen Max Reinhardt Seminar im Glauben, das sei die einzige Schauspielschule. Sein Lehrer Klaus Maria Brandauer war es, der den Meisterschüler Hochmair dort ein wenig zähmte, der früh gegen ein strenges katholisches Elternhaus aufbegehrte und lange das Gefühl hatte, irgendwie überall verkehrt zu sein.
Rettung fand er auf den Bühnen dieser Welt, deren hinterste Winkel er seither obsessiv bespielt. Hinter dem zivilisierten einnehmenden Lächeln verbirgt sich bis heute jene Wildheit, aus der sich seine expressive, körperliche Bühnenkunst speist. Um genau diesen Zwiespalt zwischen Wildnis und Zivilisation geht es auch bei „Siegfried“. Für Hochmair ist es selbstverständlich, dass dieses unbedarfte Waldkind, das die Sprache der Vögel versteht, kein Kostüm trägt außer einer blonden Langhaarperücke. „Woher soll der eine Hose haben und warum?“ Siegfried ist ein reiner Tor, aber auch ein Revolutionär. Unbewusst. Denn mit Politik hat er nichts am Hut. Die Hofgesellschaft will ihn kontrollieren, beißt sich an dem freiheitsliebenden Naturkind aber die Zähne aus.
Wenige Tage später beginnt die letzte Probenwoche. André Szymanski muss als Zwerg Alberich eine lange Rede halten und ruft nach der rettenden Souffleuse. Philipp Hochmair, der den Text aufgrund einer Lese-Rechtschreib-Schwäche nur über das mühsame Abhören durch Helfer lernt, hat seine Zeilen parat. Er wirft sich in die Rolle, scheint mit diesem Langhaarzausel Siegfried gänzlich zu verschmelzen. In mystischen Nebel getaucht, schmiedet Hochmair-Siegfried das Schwert. Später gilt es, mit Marina Galic als Brünnhilde jede Geste einer stürmischen Liebesszene auszuarbeiten. Fünfmal wird sie an diesem Morgen wiederholt. Es gibt noch einiges zu tun.
„Hier schwört jemand Treue, wird vergiftet, bricht die Treue, stirbt daran und erkennt seinen Fehler. Letztendlich ist er nur gestolpert, wird aber von der höfischen Gesellschaft gesteinigt.“ Hochmair ist dafür bekannt, sich seine Rollen sehr stark anzueignen. Wo andere zögern, langt er hin, wirft sich mit allem hinein, egal welche Schmerzen es kostet. „Das geht natürlich nur, wenn man die Freiheit bekommt und sich auch traut, sie zu nehmen“, sagt er. Bühnenrealismus braucht Hochmair nicht. „Ich spüre das ab einem gewissen Probenstadium vielleicht tiefer und persönlicher, um wen es sich da handelt, und ziehe daher das vorgegebene Kostüm nicht mehr brav an und gestalte von da aus eine Figur.“ Antú Romero Nunes ist der Regisseur, der Hochmair momentan diese Freiheit lässt. Zu beiderseitigem Gewinn. „Wir lassen die Wahrheit im Moment entstehen.“
Beim Film – der bekennende Workaholic Hochmair drehte allein vier von ihnen im vergangenen Sommer – gibt es diese künstlerischen Freiräume nicht. „Da ist die Zähmung notwendig, es gibt eine Mechanik, die abläuft. Die Energie ist vorgegeben“, so Hochmair. „Am Theater, wo du einen Bogen spannst und eine Energie flichtst, die dem Zuschauer bis in den Nabel gehen soll, nehme ich mir heraus zu sagen, ich bin instinktsicher und habe auch jenseits von Konzepten etwas zu spüren und zu geben.“ Mit einer gewissen Ignoranz geht Hochmair gerade die großen, klangvollen Rollen an. Findet aber genau darüber zu jener Dynamik, die ihnen am Ende häufig frischen Glanz verleiht. Stets folgt er seinem ureigensten Anliegen beim Spiel. „Ich sehne mich danach, Leute ins Theater zu holen, die gar nicht wissen, wer Siegfried oder Jedermann ist und denen ich einen neuen heutigen Begriff davon geben kann.“ Da ist sie wieder, die Wildheit, dieser flackernde Blick. So leicht wird dieser Siegfried nicht zu bezwingen sein. Ein Glücksfall für das Theater.
„Der Ring: Siegfried/Götterdämmerung“
Premiere Sa 17.1., 19.00, „Nibelungen! Der ganze Ring“ 31.1., 15.00, Thalia, Karten T. 32 81 44 44