Das neue Buch „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq ist eine politische Fiktion mit reichlich Zündstoff. Frankreichs Staatschef François Hollande hat vor Panikmache gewarnt.
Paris. Frankreich im Jahr 2022: An der Universität Paris IV – Sorbonne prangt der Halbmond, die Studentinnen tragen Schleier und in den Supermärkten ist die Abteilung für koschere Lebensmittel verschwunden. Mit seinem jüngsten Buch „Unterwerfung“ setzt Michel Houellebecq, 56, ein aktuelles und hochsensibles Thema literarisch um: die angebliche Islamisierung des Westens. Der Roman, der an diesem Mittwoch in Frankreich erscheint, verspricht heftige Debatten und Reaktionen. In Deutschland kommt die politische Fiktion am 16. Januar in den Buchhandel.
Sein Roman sei keine Provokation, erklärte Houellebecq in einem Interview in der amerikanischen Literaturzeitschrift „The Paris Review“ vor wenigen Tagen. Er beschleunige nur die Geschichte einer möglichen Entwicklung, erläuterte der Bestseller-Autor weiter. Das Interview ist bislang das einzige, das der Autor zum Buch gegeben hat. Es wurde teilweise in deutscher Übersetzung in der „Welt am Sonntag“ veröffentlicht.
„Unterwerfung“ (im Original: „Soumission“) spielt am Ende von zwei Mandaten von Staatschef François Hollande. Die Präsidentschaftswahlen stehen an. Der rechtsextreme Front National (FN) strebt nach der Macht. Um einen Sieg der FN-Chefin Marine Le Pen zu verhindern, gründen Sozialisten und Konservative eine republikanische Front zur Unterstützung des gemäßigten muslimischen Kandidaten Mohammed Ben Abbes. In Paris kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Identitären und jungen Dschihadisten.
Das Szenario seines Buches verspricht Polemik, nicht nur von Seiten empfindlicher Muslime. Der Autor von „Elementarteilchen“ spielt seine Zukunftsvision mit realen Politikern durch. Vor allem der Zentrumspolitiker François Bayrou, Premierminister des neuen fiktiven Präsidenten Abbes, bekommt sein Fett als „politisch konturloses Tier“ und „Idiot“ ab.
Houellebecq gilt als „enfant terrible“ des französischen Literaturbetriebs. In „Plattform“ stieß der Schriftsteller 2001 mit seiner Rechtfertigung des Sextourismus in Thailand vor den Kopf. Noch im selben Jahr bezeichnete er in einem Interview den Islam als die „dümmste“ Religion.
An seine Zukunftsversion glaubt Houellebecq nur teilweise. Um in Frankreich an die Macht zu kommen, müssten die Muslime sich erstmals vereinen und das könnte mehrere Jahrzehnte dauern, wie der Autor in „The Paris Review“ sagte. Woran Houellebecq jedoch eher glaubt, ist ein Sieg der FN-Chefin. Die rechtsextreme Politikerin erscheine ihm für 2022 als Präsidentin für Frankreich ziemlich wahrscheinlich, sogar schon für 2017, erklärte er der Zeitschrift weiter. Aus den Europawahlen im Mai 2014 ist die FN in Frankreich als stärkste Partei hervorgegangen.
Houellebecq betreibt bewusst Panikmache. „Ich spiele mit der Angst. Nur weiß man nicht genau, ob man vor den Identitären oder den Muslimen Angst haben soll“, zitiert ihn „The Paris Review“ weiter. Die identitäre Bewegung, mehrere lose verbundene Gruppierungen, sehen die europäische Kultur durch eine Islamisierung bedroht. Entstanden ist die Bewegung in Frankreich. Heute existieren Gruppierungen unter anderem auch in Deutschland.
Frankreichs Staatschef François Hollande hat vor dieser Angst des Anderen gewarnt. Er werde das Buch lesen, weil es für Diskussionen sorgt, doch solle man sich nicht durch diese Panikmache beeinflussen lassen, sagte er im französischen Radiosender France Inter. Er respektiere die literarische Freiheit. Es sei nicht an ihm zu sagen, ob Bücher gut oder schlecht seien.
Im Mittelpunkt des Romans steht die Frage nach dem Niedergang des dekadenten Westens und das Verhältnis der drei Religionen Judentum, Islam und Christentum zueinander. So hat Houellebecqs Protagonist, der Literaturwissenschaftler François seine Dissertation über den französischen Schriftsteller Joris-Karl Huysmans (1848-1907) geschrieben. Dieser hat die Dekadenz gefeiert, bevor er zum Katholizismus konvertierte. Auch François bekehrt sich. Er wird Muslim, jedoch weniger aus religiöser Überzeugung. Denn an der Islamischen Sorbonne wartet nicht nur ein höheres Gehalt auf ihn, sondern im Namen der Polygamie auch drei Frauen.
In seinem typisch unberührten Stil zwischen Ernsthaftigkeit und Zynismus hat sich Houellebecq auf gefährliches Terrain gewagt, auch wenn dieses Mal sein Ton weniger provozierend ist. Über die Brüderschaft der Muslime spricht er eher wohlwollend. Er habe den Koran gelesen, er sei besser, als er gedacht habe, gestand er in „The Paris Review“. Die Dschihadisten seien schlechte Muslime. Doch er sein kein Intellektueller und ergreife für niemanden Partei. Ob alle so denken wie Houellebecq, wird sich zeigen.