Literarischer Horror-Trip auf der Bühne: Der Schauspieler Matthias Brandt und der Musiker Jens Thomas bringen „Angst“ ins Schauspielhaus.
Hamburg. Ostern muss der blanke Horror gewesen sein für Alfred Hitchcock. „Ich fürchte mich vor Eiern. Dieses runde, weiße Ding ohne irgendwelche Löcher. Hat man jemals etwas Widerwärtigeres gesehen als ein Eidotter, das seine gelbe Flüssigkeit verschüttet? Blut ist vergnügt rötlich, aber Dotter ist gelb, eklig.“
Man kann sich seine privaten Ängste, und seien sie noch so bekloppt, nun mal nicht aussuchen, der Großmeister des Grauens war da keine Ausnahme. Beruflich jedoch wusste er genau, wie er sein Publikum effektvoll in Richtung panischer Schweißausbruch manövrieren konnte. Deswegen hat die eine oder andere Schauergeschichte aus dem Hitchcock-Kosmos lohnender Phobien einen Stammplatz im Sortiment, wenn der Schauspieler Matthias Brandt und der Pianist Jens Thomas ihr Duo-Programm „Angst“ präsentieren. An diesem Freitag sind sie damit im Schauspielhaus zu Gast.
Die Kombination von Thema und Akteuren hat ihren Reiz: Der sehr freistilig agierende Pianist Thomas hat sich eine Einzelstellung als spezieller Bühnenmusiker erobert. In Luc Percevals Münchner „Othello“-Inszenierung war Thomas an seinem Flügel ein brausendes Kraftzentrum auf der Bühne, er kommentierte und grundierte das Eifersuchtsdrama so passend, als wäre er Teil des Shakespeare-Texts. Das privat so freundlich harmlos wirkende Allerweltsgesicht und die zurückgenommene Tonlage von Brandt bieten eine ideale Ausgangssituation für das Verabreichen literarischer Schockeffekte.
Während andere Kollegen gern den verträumt versonnenen Gedichtonkel geben, der am Stehpult bei einem Glas Rotwein Rilke-Gedichte rezitiert, der Pianist sich durch eine lauwarme Portion Chopin fingert und die pensionierten Deutschlehrerinnen in den ersten Reihen selig wegdösen, haben sich die beiden eindeutig gegen diese Art verbaler Wellnessbehandlung entschieden. „Das schien uns jetzt nicht so interessant“, gluckst Brandt bei der Antwort auf diesen Vorschlag. Und überhaupt, Gedichte sollen lieber andere vorlesen: „Ich glaube, ich habe eine Art Lyrik-Legasthenie... Hat wohl mit der Form zu tun. Da muss ich mich unglaublich hineinarbeiten.“
Textauswahl aus Romanen und Kurzgeschichten
Brandt liest also seine Textauswahl aus Romanen und Kurzgeschichten, während die Zuhörer immer tiefer in der Scheinsicherheit ihres Theatersitzes versinken. Thomas erfindet dazu seinen Soundtrack aus Anspielungen und Stimmungen. „Jens ist jemand, der auch ein großes szenisches Empfinden hat“, sagt Brandt. Die Anfrage eines Jazz-Festivals in Mannheim, mit wem er gern auf eine Bühne wollte, führte die beiden zusammen, seit anderthalb Jahren touren der Vorleser und der Mitspieler mit ihrer grausamen Textsammlung durch die Republik. Zunächst gab es „Psycho“, später „Die Vögel“, auch „Dracula“ durfte es schon mal sein. Die bewährten Klassiker eben. Auch wenn jeder weiß, wo die sprichwörtlichen Leichen im Keller versteckt sind, ist es immer wieder schön, sich freudig verspannt solchen Schlimme-Nacht-Geschichten auszusetzen.
Inzwischen sehen die beiden ihre Auftritte mehr als literarisch-musikalische Jamsessions. Nur der Anfang und das Ende werden vorher festgelegt, wenn sie Lust dazu haben, singt einer oder auch beide. Der Rest findet sich dann irgendwie. „Aber Norman Bates geht immer“, amüsiert sich Brandt mit sanfter Vorfreude in der Stimme, „ein sich versammelnder Vogelschwarm an einer Küstenlandschaft geht auch immer. Da ist Hitchcock nach wie vor der Meister. Scheint offenbar ein Bedürfnis zu sein, sich damit zu beschäftigen, sonst wäre dieses Genre nicht so erfolgreich. Es ist einfach interessant, in die schwärzesten Bereiche der Seele vorzudringen.“ Man muss sich das dann wohl wie eine nicht stumme Stummfilmvorführung vorstellen, bei der das Gelesene die Bilder vor dem geistigen Auge auslöst, und die Musik der Sache den Rest gibt. Oder besser noch: dem Publikum.
Die Privatperson Matthias Brandt kann mit ausgefallenen Ängsten nicht dienen. Sagt er jedenfalls. Neulich lief im NDR eine „Tatortreiniger“-Folge mit dem auf Edgar Wallace schielenden Titel „Der Putzer“, in der Brandt einen manischen Saubermacher verkörperte. Diese Form von Angst vor den Dingen des Alltags, immerhin, fand er durchaus interessant, beim eigenen Horrorkonsum darf es aber gern eine Ladung mehr sein. „Ich bin ziemlich hartgesotten, was das angeht“, sagt er. „Da braucht’s schon einiges, um mich aus dem Sulky zu heben.“ Vom „Exorzist“ aufwärts, erst das ist die Abteilung, in der ihm der kalte Schweiß ausbricht.
Typisch für die aktuellen Befindlichkeiten der Deutschen ist das allerdings nicht. Auf einer Hitliste der Lieblingsängste führt nicht etwa die vor einer Messerattacke beim Duschen oder die Furcht vor blutrünstigen Möwen und Krähen. Wenn der Deutsche an sich in diesen Tagen vor etwas Angst hat, dann vor allem vor: steigenden Lebenshaltungskosten. Danach kommen Naturkatastrophen, die Furcht davor, zum Pflegefall zu werden, die damit verwandte Angst vor Krankheiten und – kein Witz – die vor einer Überforderung von Politikern. Wie beruhigend. Denn so gesehen, ist das Programm von Brandt und Thomas ja noch weit davon entfernt, seinen Opfern ernsthaft schlaflose Nächte zu bereiten.
„Angst“ 9.1., 20 Uhr, Schauspielhaus; Karten (12 bis 25 Euro) unter T. 248713