Der international renommierte Hamburger Graffitikünstler DAIM hat in einem Buch seine Werke dokumentiert. Einige seiner Arbeiten sind im Museum für Völkerkunde zu sehen.
Hamburg. Der Standort ist so, wie man sich das vorstellt: Von tosendem mehrspurigem Auto- und Busverkehr umgeben, ringsum Beton. Es staubt, es stinkt nach Abgasen, nur die S-Bahn-Gleise sind ein bisschen weit weg. In dieser Gegend muss das Atelier eines Graffitikünstlers liegen, und sicher wird er gleich mit der Maske auf dem Kopf und der Sprühflasche in der Hand die Tür aufmachen.
So ist es nicht, wenn man Mirko Reisser besucht, den die Kunstwelt besser unter dem Namen DAIM kennt. DAIM ist 43, er gehört zu den Etablierten, arbeitet viel am Computer und hat fast von Anfang an auch auf Leinwand gesprüht, nicht nur auf Mauern und Wände. Er logiert hier in Hammerbrook gemeinsam mit seinen Kumpels vom Künstlerkollektiv „getting up“. Drei von den damals vieren sind seit der Gründung 1999 mit von der Partie, neben Reisser noch Heiko Zahlmann (RKT one) und Gerrit Peters (Tasek).
DAIM ist seit langen Jahren in der internationalen Sprayer-Szene unterwegs, seit seinem 17. Geburtstag kann er von seiner Kunst leben. Jetzt hat er ein Buch herausgegeben, mit dem er die vergangenen 25 Jahre seines Schaffens dokumentiert: „Mirko Reisser – (DAIM), 1989-2014“.
Wenn er so vor einem steht, dann hat er gar nichts Wildes und Anarchistisches. Er sieht ein bisschen schüchtern aus und ist recht förmlich. Mit der gemütlichen Sitzgruppe, der Grünpflanze und der Miniküche wirkt das Atelier fast wie ein normales Wohnzimmer. Mirko Reisser ist der Sohn zweier Lehrer, und er ist auch mit einer Lehrerin liiert, mit der er zwei Kinder hat. Etwas Bürgerliches steckt also durchaus in ihm. Und das ist das krasse Gegenteil von dem, was sich in seinen Bildern entlädt. Darauf sind zwar Buchstaben zu sehen, aber die scheinen von innen aufgesprengt zu werden. Viele von ihnen gleichen einer Explosion.
Seine Eltern haben Mirko Reisser nicht gegängelt, sondern von Anfang an ermutigt, das zu tun, was er tun wollte. Und es gibt wohl nur wenige Künstler, die so konsequent ihren Weg verfolgt haben wie DAIM, der in vielfältigsten Varianten seither seinen eigenen Namenszug sprüht – in tausendfachen Selbstporträts und Charakterstudien, abstrahiert durch die Form der Buchstaben. Was andere als extreme Eingrenzung und Beschränkung empfinden würden, findet Reisser richtig schön: „Ich habe ja auch ganz viel anderes gemacht. Aber der Schriftzug hat sich durchgezogen.“ Eine Sprühdose, die sei ja ebenfalls extrem einengend, man könne auch nur die Farben verwenden, die drin seien, Mischen unmöglich. „Die Begrenzung ist aber auch ein Gerüst, innerhalb dessen man dann Schritt für Schritt rausfinden kann, was man da noch spannend findet.“
Angefangen hat alles, da war er knapp 17, wohnte am Osdorfer Born, hörte Hip-Hop, legte auf, mochte Skaten und eben auch Sprayen: „Mein erstes Bild habe ich mit einem Musiker von der Band ‚Fettes Brot’ gesprüht.“ Schon bald hatte DAIM seine Spiegelreflex-Kamera dabei: „Ich habe alles fotografiert in diesen 25 Jahren. Weil es mir auch Spaß gemacht hat.“ Schließlich war DAIM von Anfang an mit der Vergänglichkeit vertraut. Auf locker 80 Prozent schätzt er nämlich den Anteil seiner Wandarbeiten, die inzwischen übergestrichen wurden. „Aber wenn man draußen arbeitet, weiß man, dass kein Bild für die Ewigkeit ist, bei all dem Regen, Dreck und Frost. Wir haben ja auch unsere eigenen Bilder übermalt. Und schließlich soll man sich nicht auf den eigenen Ergebnissen ausruhen.“
Anfangs, da hat er noch fotorealistisch-figurativ gearbeitet, „aber da bin ich völlig von weg. Ich fand, Buchstaben waren die interessantere Form der Raumeroberung.“ Er experimentierte mit Tiefenunschärfe, Techniken, speziellen Winkeln und fotografischen Vorlagen. Und noch immer findet er „Transformationsprozesse sehr spannend“. Auf die „szeneinternen Dogmen“ aus New York hatte er überhaupt keine Lust, „das fand ich nicht interessant, das war gar nicht meins. Ich habe auch relativ schnell auf die umrandende schwarze Outline verzichtet, weil bei mir Licht und Schatten die Form bestimmen“. 1996 bis 1998 studierte er in Luzern an der Hochschule für Angewandte Künste, „einfach, um alles mal auszuprobieren: Öl, Acryl, Drucktechniken, Skulptur. Am Ende des Studiums wusste ich, dass ich dranbleibe an der Sprühdose.“
Damals gründete sich die Gruppe „getting up“, und die internationale Graffitikünstler-Szene nahm mächtig Fahrt auf. Hier im getting-up-Atelier übernachteten die heutigen Superstars der Szene, der Engländer Banksy oder die Brasilianer Os Gemeos, regelmäßig. Man realisierte Projekte oder Ausstellungen und genoss die Gemeinschaft. Zusammen Bilder zu sprühen, war das große Abenteuer, eine Bereicherung. Graffiti sei eine Sprache, über die man sich verständigen könne, auch wenn man keine gemeinsame Sprache spreche. „Zusammen ein Bild malen, bedeutet aber auch, ein Stück weit respektlos zu sein, auch eine eigene Form über die eines anderen zu setzen, die Dinge in einander zu verschachteln. Diesen Anspruch muss man haben, das muss man sich auch trauen und sich andererseits nicht angegriffen fühlen“.
Da stoße man aber hin und wieder an Grenzen, denn „wir alle haben Riesen-Egos. Ohne das kannst du kein Sprüher werden. Es geht also in solchen Gruppenarbeiten um das bessere gemeinsame Bild. Da entstehen dann auch Sachen, die wiederum andere Leute beeinflussen. Man sollte nur nicht zu viele Kompromisse machen.“ Davon aber entfernt sich DAIM immer weiter. Seine dynamisch auffahrenden, sich in alle Richtungen spreizenden Namenszüge, die fast wie Architektur wirken, scheint er unendlich variieren zu können, in Farben, Größe, Lichtverhältnissen, Typografie, aufgelöst durch herunterlaufende Farbrinnen oder akzentuiert durch schwarzes Klebeband. Kompromisse sind da nicht vorgesehen.
„Mirko Reisser – (DAIM), 1989–2014“, Drago Verlag, 317 Seiten, 40 Euro
Beyond Melancholia noch bis 4.1. (auch Werke von DAIM) Museum für Völkerkunde