Wer geht, was kommt, wie war’s? Ein Rückblick auf die Hamburger Konzertsaison 2014. Unterhalb der großen drei NDR/Philharmoniker/Symphoniker bleibt es immerhin stellenweise interessant.

Hamburg. Am Ende der „Luisa Miller“-Premiere in der Staatsoper war vor einigen Wochen ein kurioses Karriereende-Phänomen zu beobachten, das schon Tradition hat in der Hamburger Kulturszene: der zweite Wind. Generalmusikdirektorin Simone Young hatte die Verdi-Rarität sehr ordentlich dirigiert und musste sich dafür nicht jenen Buhrufern stellen, die ihre Amtszeit oft lautstark aus dem sicheren Dunkel kommentiert hatten. Sie schien gelöst, zuversichtlich, fast entspannt, als der Schlussapplaus für sie kam. Das Licht am Ende ihres Tunnels nähert sich, nur noch wenige Monate bis zum Ende der Saison 2014/15, dann hat die Australierin ein „ehemalige“ mehr in ihrem Dirigentinnen-Lebenslauf.

Der Erfolgsdruck früherer Jahre ist von Young abgefallen. Wenn es so weitergeht, wird sie im späten Triumph die Ziellinie an der Dammtorstraße passieren. Ähnlichen Auftrieb kurz vor dem Abgang erlebten auch ihr Vorgänger Ingo Metzmacher und Tom Stromberg am Schauspielhaus. Zunächst nahezu vergöttert. Dann immer öfter verwirrt und verzagt. Dann fertig. Und danach weg, wieder raus aus dem Tor zur Welt. Bevor es so weit ist, steht im März 2015 immerhin noch Korngolds „Die tote Stadt“ als eine klassische Hamburgensie aus den 1920ern auf dem Spielplan. Ein Stück, das hier uraufgeführt wurde und danach große Karriere machte.

Am 31. Dezember wird Young ihr letztes „Salut“-Programm in der Laeiszhalle dirigieren. Die wenigsten der Philharmoniker dürften ihr bei dieser ersten Abschiedsgelegenheit mehr als eine Träne nachweinen. Wie immer, wenn die Entscheidung für eine neue Führungspersönlichkeit gefallen war, heißt es aus dem für seine Selbstwahrnehmung berüchtigten Orchester, wie froh man sei, endlich jemand Ebenbürtiges zu bekommen. Danach änderte man seine Meinung. Gründlich. Künstlerische Impulse waren in dieser Situation von Young schon länger nicht mehr zu erwarten. Sie will nach England ziehen und mehr in Asien dirigieren. In Hamburg arbeitet sie bei den Abo-Konzerten ihr restliches Pflichtpensum ab. Im letzten regulären Konzert steht – bei diesem Titel garantiert kein Zufall – Franz Schmidts Oratorium „Buch mit sieben Siegeln“ auf dem Spielplan.

Das genaue Gegenteil von Pflicht ist beim NDR zu besichtigen. Chefdirigent Thomas Hengelbrock ist und bleibt offenbar auch Everybody’s Darling und genießt die Kür. Er ist mit seinen Programmen und Konzepten sehr kurz vor ständigem Pauschal-Lob, die elbphilharmonische Maestro-Positionierung hat für ihn längst begonnen. In den Konzertzusammenstellungen schlägt sich die Vorfreude auf kommende Attraktionen bislang aber nur bedingt wieder. Die Handschrift der neuen NDR-Klangkörperchefin Andrea Zietzschmann wird erst ab 2016 klar zu erkennen sein; was jetzt noch kommt, kommt noch von ihrem Vorgänger Rolf Beck, der zugleich auch Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) war.

Becks SHMF-Nachfolger (und früherer Vize und früherer Pro-Arte-Chef) Christian Kuhnt hat in diesem Sommer, mit weniger Betonung auf den Spielort Hamburg als in früheren Jahren, sein Rückkehrer-Debüt hingelegt – ohne große Ausbrecher nach oben und vor allem mit schier unendlich vielen Auftritten der Cellistin Sol Gabetta. Die klassischen Platzhirsch-Konzerte von Pro Arte haben sich mittlerweile mehr und mehr mit den Machtverhältnissen in der Stadt arrangiert. Geschäftsführer Burkhard Glashoff ist offenkundig aus anderem Holz geschnitzt als seine beiden Vorgänger, denn er setzt auf Harmonie statt auf Konflikt. Das Angebot: solide Wertarbeiter mit etwas mehr Mut zum Interessanten als früher.

Nachdem das erste „Internationale Musikfest“ mit viel kulturbehördlichem Rückenwind als angeblich kommende Musikstadt-Attraktion installiert wurde, obwohl es fast nur aus regulärem Spielzeit-Sortiment bestand, ist der schwelende Streit um die Vorherrschaft zwischen Hengelbrock und Youngs Nachfolger Kent Nagano wohl nur aufgeschoben. Im Frühjahr wird Nagano seine erste Konzertsaison als neuer Chef der Philharmoniker vorstellen, dann wird sich zeigen müssen, wie viel Harmonie zwischen den beiden großen Orchestern der Stadt herrscht und wann der Konkurrenzkampf beginnt. Oder auch nicht. Das Philharmoniker-Programmprofil bleibt derweil austauschbar und gediegen. Manches kann man hören. Manches kann man aber auch getrost an sich vorbeiziehen lassen.

Das dritte Orchester, die Symphoniker, ist unterdessen noch eindeutiger auf dem dritten Platz geblieben. Nach gerade eben überstandener Fast-Pleite des Orchesters kann sich Intendant Daniel Kühnel keine großen und erst recht keine teuren Sprünge mehr erlauben und fügt sich in sein Schicksal. Chefdirigent Jeffrey Tate hält tapfer die Stellung und wird dafür liebevoll gefeiert, der Rest verklingt unter „ferner spielten“ und hat überregional trotz der Reformationsjahr-Spezialitäten keine bleibendere Bedeutung. Ein Highlight wie der Gastauftritt von Simon Rattles Frau Magdalena Kozena im Juni 2015 bleibt Ausnahme.

Auf ähnlichem Niveau bewegt sich auch das Sortiment der „Elbphilharmonie Konzerte“. Sicher, es gibt kleine Farbtupfer wie den Mozart-Zyklus der Hagens (auch wenn die Idee, ein Salzburger Quartett mit diesen Stücken zu engagieren, nicht gerade revolutionär ist). Aber Tour-Allerlei, das es so oder ähnlich auch hier, da und dort gibt, reicht nach wie vor nicht aus, um sich jetzt nur noch zwei Jahre vor der geplanten Fertigstellung der Elbphilharmonie gerüstet fühlen zu dürfen für die Chancen und Herausforderungen dieser neuen Zeit. Mutige neue Programmlinien fehlen. Das „Lux aeterna“-Festivälchen ab Februar, ein bescheidener Lückenbüßer im musikfestfreien Jahr 2015, ist zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben. Und viel zu wenig zum Imponieren auf höherem Niveau. Für dieses Programm und sonst nichts grundlegend anderes bräuchte man noch keine Elbphilharmonie zu bauen.

Unterhalb der großen drei NDR/ Philharmoniker/Symphoniker bleibt es immerhin stellenweise interessant. Die Camerata pflegt nach wie vor die Vorlieben ihres Stammpublikums, mit wackeren Programmen im Rahmen der Möglichkeiten. Aufbruchstimmung wegen einer tollen neuen Heimat verspürt und verbreitet das Ensemble Resonanz. Der neue „Resonanzraum“ einige Etagen unter dem Club namens Uebel & Gefährlich im Bunker an der Feldstraße hat das Potenzial zu einem Wegweiser in Sachen Musikstadt. Besonders groß ist der Raum nicht, aber sehr besonders. Dort können sich Genres und Publikumsgenerationen so entspannt mischen wie nirgendwo sonst in der selbst ernannten Musikstadt. Es tut sich also doch was. Nur nicht unbedingt dort, wo man es erwarten würde.