Thomas Hengelbrock und sein Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble bewegen ihr Publikum mit der h-Moll-Messe. Aber Qualität der Solisten recht unterschiedlich
Hamburg. Johann Sebastian Bach ist nicht nur der vielbeschworene fünfte Evangelist, er ist auch der werbetauglichste von ihnen. Zuverlässig füllt er die Kirchen, und jetzt hat er sogar die Laeiszhalle annähernd ausverkauft. Und das, Advent hin oder her, nicht mit dem Evergreen Weihnachtsoratorium, sondern mit der h-Moll-Messe, dem Schlussstein seines Oeuvres und nach Meinung von Fachleuten bedeutendsten Sakralwerk der Musikgeschichte.
Bedeutend – und fordernd, auch was das Zuhören betrifft. Denn wo das Weihnachtsoratorium eine Geschichte erzählt, auf Deutsch, bis zum letzten Lämmchen jedem Kind bekannt und gefasst in herzwärmende, bildhafte Melodien, da gibt sich die Messe mit ihrem lateinischen Text hermetisch, streng und insoweit trotz ihres überkonfessionellen Charakters protestantisch.
Umso erstaunlicher, dass sich so viele Menschen für zwei pausenlose Stunden diesem Exerzitium ausgesetzt haben. Sie pilgerten offenkundig nicht nur zu Bach, sondern zu Bach, dargeboten von Thomas Hengelbrock und seinem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble. Die haben sich, Hengelbrocks Engagement als Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters einmal beiseite, dem Hamburger Publikum im Advent vor zwei Jahren bereits mit einem hinreißenden Weihnachtsoratorium empfohlen. Und nun, an diesem Abend, lag etwas in der Luft, das auch in der an Sternstunden nicht armen Laeiszhalle nur sehr selten vorkommt: ein religiöser Ernst und eine kollektive Aufmerksamkeit, die kein Nachlassen erlaubten und schon gar keine unbedachten Nebengeräusche.
In dieser Atmosphäre entfaltete Hengelbrock das Werk ab dem „Kyrie eleison“ zu Beginn zu einer überwältigenden sinnbildlichen Kathedrale. Allein der Mut zu einem ungewohnt gestauten Tempo der ausgedehnten Orchestereinleitung machte schon staunen. Aber nicht nur er. Der Chor sang auswendig und zeigte sich auch in den vielstimmig virtuosen Passagen mühelos souverän. Die Soli wurden, wie immer bei „Balthe“, von Choristen gesungen. Nicht alle Stimmen waren gleich stark, aber alle fügten sich auf eine Weise ins Ensemble ein und mischten ihre Klangfarben so delikat mit denen der Instrumentalisten, dass man schon darin Bachs Botschaft deutlich vernehmen konnte, nämlich das Aufgehobensein des Individuums in einer höheren Ordnung. Atemberaubend auch die Klangeffekte des Orchesters; im „Crucifixus est“ etwa konnte man jeden Nagel hören, den die Streicher mit ihren eiskalten Einzeltönen einschlugen.
So unmittelbar sinnlich kann geistliche Musik sein.