Chefredakteur Wolfgang Büchner geht zum Ende des Jahres, Geschäftsführer Ove Saffe legt sein Amt ebenfalls nieder. Zwei ehemalige Stellvertreter könnten die Nachfolge antreten.
Hamburg. Was sich bereits zu Wochenbeginn andeutete, ist nun Gewissheit: Der seit Monaten andauernde Führungsstreit beim „Spiegel“ ist vorerst beendet. Wolfgang Büchner, der bei der Printredaktion ungeliebte Chefredakteur, geht, und Geschäftsführer Ove Saffe, der sein Schicksal eng mit dem Büchners verbunden hatte, wird sein Amt ebenfalls niederlegen.
Büchner verlässt den Verlag zum Ende des Jahres, laut Verlagsmitteilung wird über seine Nachfolge „in Kürze entschieden“. Bis dahin würden die Geschäfte von seinen Stellvertretern Klaus Brinkbäumer und Clemens Höges für das Magazin sowie Barbara Hans und Florian Harms für „Spiegel Online“ geführt. Mutmaßungen, Büchner würde mit sofortiger Wirkung freigestellt, dementierte eine Verlagssprecherin. In Branchenkreisen gilt es gleichzeitig als ausgemacht, dass Büchner durch Brinkbäumer und Harms ersetzt wird.
Brinkbäumer ist ein altgedienter „Spiegel“-Mann: 1993 kam der 47-Jährige zum Nachrichtenmagazin, war Reporter in diversen Ressorts und New-York-Korrespondent, bevor er im Januar 2011 als Textchef in die Chefredaktion wechselte. Im selben Jahr wurde er stellvertretender Chefredakteur. Auch Florian Harms ist in der Redaktion ist schon lange dabei: Er kam 2004 zu „Spiegel Online“, der 41-Jährige ist ebenfalls seit 2011 stellvertretender Chefredakteur bei „Spiegel Online“.
Sollte der Wechsel an der Spitze so umgesetzt werden, ist er wohl als Kompromiss zu sehen, den beide Redaktionsteile als Gewinn betrachten sollen. Brinkbäumer mit seinen mehr als 20 Jahren Redaktionszugehörigkeit im Printbereich scheint ideal, um die zuletzt nah an der offenen Rebellion stehende Magazinredaktion zu beruhigen, während Harms als Onliner dasselbe in der Digitalredaktion zugetraut wird.
Dass der Verlag noch keinen Nachfolger präsentiert hat, könnte nicht nur mit der wohl noch nicht geklärten Aufgabenteilung zwischen Brinkbäumer und Harms zusammenhängen, sondern auch mit einem weiteren Stolperstein: Dem Vernehmen nach soll Jakob Augstein, Sohn des „Spiegel“-Gründers Rudolf, Sprecher der Erbengemeinschaft und Verleger/Chefredakteur der Wochenzeitung „Freitag“, ebenfalls den Wunsch bekundet haben, in der Chefredaktion des „Spiegel“ mitzumischen.
Dabei hätte der „Spiegel“ Ruhe dringend nötig: Nicht nur die Umstellung des Erscheinungstages vom Montag auf den Sonnabend steht bereits in wenigen Wochen bevor. Auch ein zukunftsfähiges Konzept, bei dem Print und Online voneinander profitieren können, fehlt bislang. Büchners Entwurf „Spiegel 3.0“, der vorsah, beide Zweige möglichst rasch eng zu verzahnen, ist anscheinend vorerst vom Tisch. Zwar hatten die Verlagsgesellschafter noch im August eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie sich zu dem Projekt bekannten. Wie der Branchendienst Meedia berichtet, sei den Mitarbeitern am Mittwoch mitgeteilt worden, einer der drei habe sich nun gegen das Konzept ausgesprochen, das unter anderem vorsah, alle Ressortleiterstellen neu auszuschreiben und mit Verantwortung für Print und Online gleichermaßen auszustatten. Der Verlag hat drei Gesellschafter: Die Mitarbeiter KG, die 50,5 Prozent der Anteile hält, den Verlag Gruner + Jahr (25,5 Prozent) und die Erbengemeinschaft Rudolf Augstein (24 Prozent).
An „Spiegel 3.0“ und der Person Büchners hängt auch der Posten des Geschäftsführers Saffe. Er gilt als einer der treuesten Unterstützer des Chefredakteurs und seiner Pläne, stemmte sich bis zuletzt gegen eine Demission Büchners, der auf sein Betreiben hin im September 2013 zum Chefredakteur wurde. Noch in der Verlagsmitteilung, die am Donnerstag sowohl die Vertragsauflösung Büchners wie auch sein eigenes Ende als Geschäftsführer des „Spiegel“-Verlags bekannt gab, pries Saffe Büchners Tätigkeit: Er habe das Magazin „weiterentwickelt“ und mit dem Digitalisierungskonzept die Weichen für „notwendige Veränderungen bei ‚Spiegel‘ und ‚Spiegel Online’ gestellt“. Büchner bewies unterdessen bei Twitter Selbstironie. Seine Selbstbeschreibung aktualisierte er am Donnerstag; nun ist dort ein Zitat von Samuel Beckett zu lesen: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“ Zu deutsch: „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“
Die Möglichkeit, besser zu scheitern, hat nun auch die Redaktion: Meedia zitiert einen Mitarbeiter, der „Spiegel“ stünde „an einem Nullpunkt“. Zumindest finanziell ist das vorsichtig formuliert. Eine Summe von mehr als drei Millionen Euro kursiert, die Büchner als Abfindung erhalten soll. Auch Saffe, der als Geschäftsführer laut Verlagsmitteilung zur Verfügung steht, „bis die Nachfolge geregelt ist, längstens jedoch bis Mitte des nächsten Jahres“, dürfte den Verlag kaum weniger kosten.
Dass es nun tatsächlich ruhiger zugeht im Verlagshaus an der Ericusspitze, darf also bezweifelt werden. Zumal die Digitalredaktion nicht mehr bereit ist, das Machtungleichgewicht zwischen Print und Online beim „Spiegel“ hinzunehmen: „Ein tragfähiges Digitalkonzept für die Marke ‚Spiegel‘ kann und wird es in diesem Haus nur mit der Redaktion von ‚Spiegel Online’ geben – und auch nur dann, wenn die Redaktion, und zwar unabhängig von der jeweiligen Zusammensetzung der Chefredaktion, in jeder Hinsicht gleichberechtigt ist. Wir vertrauen darauf, dass dies allen Beteiligten klar ist. Sollte dem nicht so sein, werden wir dies unmissverständlich klarstellen“, so ein Mitarbeiter von „Spiegel Online“, der ungenannt bleiben möchte, gegenüber dem Abendblatt.
In jeder Hinsicht gleichberechtigt, das hieße unter anderem, dass auch die Onliner künftig von den einzigartigen Besitzverhältnissen beim „Spiegel“ profitieren würden: Stille Gesellschafter in der Mitarbeiter KG können sie – im Gegensatz zu den Magazinkollegen, die sich gerade ihres Chefs entledigt haben – nicht werden. Dass eine so grundlegende Veränderung beim „Spiegel“ ohne weiteren Streit durchgesetzt werden kann, scheint wenig wahrscheinlich.