Ausblick auf das Programm der sechsten Lessingtage am Thalia, die am 24. Januar beginnen. Intendant Joachim Lux setzt auf Eigenproduktionen. Jetzt schon Karten für die wichtigsten Events sichern.
Hamburg. Wir leben in unübersichtlichen globalisierten Zeiten. Die Konflikte in aller Welt sind vielfältig. Häufig sind sie auch schwer verstehbar. Die jährliche Resonanz auf das große Festival des Thalia Theaters „Um alles in der Welt – Lessingtage 2015“ belegt, dass es eine kluge Entscheidung ist, im Theater auf politische Themen zu setzen. Die Zuschauer schätzen politisch relevante, künstlerische Auseinandersetzungen.
Thalia-Intendant Joachim Lux hat das erkannt und die mutige Entscheidung, seit 2010 jährlich auf ein Themenfestival zu setzen, ging auf. Die Gedanken des in Hamburg als Dramaturg wirkenden Dichters Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), wie er sie beispielsweise in der berühmten Ringparabel „Nathan der Weise“ niederlegte, sind es heute mehr denn je wert, gehört zu werden. Ein Plädoyer für Aufklärung, Toleranz, Vielfalt und Religionsfreiheit. Im kommenden Jahr finden die Lessingtage bereits zum sechsten Mal vom 24. Januar bis zum 8. Februar statt. Heute startet der Vorverkauf für zahlreiche Aufführungen: Gastspiele, Eigenproduktionen, Rundgänge, Gespräche und Konzerte.
Der inhaltliche Schwerpunkt ist erneut von Lux und Thalia-Dramaturgin und Festival-Kuratorin Sandra Küpper klug gewählt: „Aufruhr“. Es ist auch schon lange Richard Sennetts Thema. Der amerikanischer Kultursoziologe, Philosoph und Autor lässt sich in seinen Werken wie „Der flexible Mensch“ oder „Die Kultur des neuen Kapitalismus“ unermüdlich über die Schattenseiten der dominierenden Wirtschaftsordnung und ihre Folgen für die Menschheit aus. Er wird am 25. Januar die programmatische Eröffnungsrede halten.
Weitere inhaltliche Schwerpunkte finden sich zu den Komplexen Eskalationen, fremde Welten oder Bürgerkriege. Inhaltlich stark gewählt ist da auch die Eröffnungsproduktion, Johan Simons’ Inszenierung von „Das schweigende Mädchen“ (24./25.1.), die nach einem Text von Elfriede Jelinek an den Münchner Kammerspielen entstand. Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin konnte angesichts manch offener Fragen im derzeit in München laufenden NSU-Prozess die Tinte nicht halten.
Die Terroristen, von denen ja nur noch die Hauptangeklagte am Leben ist, treten nicht auf. Stattdessen sind Prozessprotokolle, Medienberichte und literarische Referenzen montiert zu einem literarischen Oratorium. Das Thema hat auch Nuran David Calis, Theatermacher mit türkisch-armenisch-jüdischen Wurzeln zu einem Abend mit dem Titel „Die Lücke“ (25./26.1.) animiert. Neben Schauspielern treten darin als Laiendarsteller Bewohner der Kölner Keupstraße auf, in der die Zwickauer Terrorzelle vor zehn Jahren eine Bombe zündete.
Das Thema Bürgerkrieg verhandelt etwa Yael Ronen, israelische Regisseurin mit Wohnsitz in Berlin, mit ihrem Ensemble in dem exakt recherchierten „Common Ground“ (31.1., 1.2.). Die Inszenierung, die am Maxim Gorki Theater entstand, vereint Schauspieler aus Ex-Jugoslawien. Gemeinsam mit Ronen begeben sie sich auf eine theatrale Reise in eine zerfallene, versehrte Region, in der die Schrecken des Krieges fortleben. Ganz aktuell spiegeln die Theatermacher Andriy May & Natascha Vorozhbit vom Ivan Franko National Drama Theatre Kiew die blutigen Proteste des Volksaufstands in der Performance „Maidan Tagebücher“ (7./8.2.). Auch Thalia-Oberspielleiter Luk Perceval wird seine beim Baltic House Theatre Festival in St. Petersburg entstandene Neuinszenierung von Shakespeares „Macbeth“ (8.2.) zeigen.
Große, bilderstarke, internationale Produktionen finden sich erneut etliche im Programm. Der ungarische Autor, Filmemacher und Regisseur Kornél Mundruczó wird mit „Dementia. Or The Day Of My Great Happiness“ (3.2.) seine persönliche Fußnote zur Kulturkrise zeigen. Kunstproduktion in Ungarn ist abhängig von einer nationalkonservativ geprägten „Künstlerischen Akademie“. Folgerichtig erzählt Mundruczó mit Ironie und Slapstick von den letzten Tagen einer verfallenden Psychiatrie-Station.
Eigenproduktionen haben starkes Gewicht im Lessingtage-Programm
Kunst unter erschwerten Bedingungen produziert auch der Algerienfranzose Abou Lagraa, der in Algeriens Hauptstadt Algier die erste Kompanie für zeitgenössischen Tanz etabliert hat. Mit dieser und seiner erfolgreichen französischen Kompanie La Baraka zeigt der Choreograf „El Djoudour“ (Die Wurzeln), eine Reflexion über das Dasein als Europäer und Afrikaner, als Choreograf und frei denkender Muslim. Ein Wiedersehen gibt es auch mit dem jungen chinesischen Regisseur Meng Jinghui, der mit der Beijing Young Dramatists Association „Bernstein“ (29./30.1.) nach dem Stück Liao Yimeis zeigt.
Aber auch die Eigenproduktionen haben starkes Gewicht im Lessingtage-Programm. Von Nicolas Stemanns Jelinek-Arbeit „Die Schutzbefohlenen“ zur Flüchtlingsproblematik bis zur Wilhelmsburg-Odyssee „Die Wilde 13“. Antú Romero Nunes wird erstmals alle vier Teile seines Wagner-Rings „Rheingold/Walküre“ sowie „Siegfried/Götterdämmerung“ (31.1.) als Marathon zeigen. Es gibt viel zu entdecken beim Festival. An Aufruhr herrscht in unserer Welt bekanntlich kein Mangel, das Theater kann helfen, die Ereignisse einzuordnen und zu verstehen.
„Um alles in der Welt – Lessingtage 2015“ Sa 24.1. bis So 8.2.2015, Thalia Theater, Thalia in der Gaußstraße und diverse Orte, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de