Am 1. Dezember feiert Literaturhaus-Chef Rainer Moritz sein zehntes Jubiläum. Ein Gespräch mit dem 56-Jährigen über Bücher, denkwürdige Leseabende und stets drängende Finanzierungsfragen.

Hamburg. Vor zehn Jahren, am 1.Dezember 2004, unterschrieb Rainer Moritz seinen Vertrag als Geschäftsführer des Hamburger Literaturhauses. Programmchefin war damals noch Ursula Keller, die Moritz dann Ende Januar 2005 beerbte. Seitdem leitet Moritz, 56, das mit jährlich 160.000 Euro von der Kulturbehörde subventionierte Haus in Doppelfunktion. Von 1998 bis 2004 war der gebürtige Heilbronner und ehemalige Fußballschiedsrichter Programmgeschäftsführer bei Hoffmann und Campe.

Hamburger Abendblatt: Ist das Literaturhaus heute so, wie Sie es sich bei Ihrem Amtsantritt vorgestellt haben?

Rainer Moritz: In groben Zügen schon. Ich kannte das Haus und das Programm aus meiner Zeit bei Hoffmann und Campe ja schon gut. Als mich damals der Vorstandsvorsitzende des Literaturhausvereins, Matthias Wegner, eingestellt hat, macht man sich natürlich Gedanken, was könnte man ändern, wie könnte man arbeiten. Ich habe dabei meine alte Maxime verfolgt: Erst einmal schaue ich mir alles in Ruhe an und spreche mit den Mitarbeitern, bevor ich frohe Botschaften aus dem Fenster heraus verkünde.

Jeder neue Trainer hat ja auch ein Konzept, eine Spielidee, im Koffer. Hatten Sie einen Stufenplan, wie sich das Literaturhaus entwickeln soll?

Moritz: Ja, natürlich. Nach der Phase des Aktenblätterns und der Sichtung der Finanzen – wo muss man betteln?, wo müssen neue Förderer akquiriert werden? – habe ich schnell ein paar Dinge ausprobiert, etwa das „Gemischte Doppel“ mit Annemarie Stoltenberg und mir, das wir jetzt bereits seit 2005 machen. Wir haben Reihen im Kinder- und Jugendbereich ins Leben gerufen, wie „Gedankenflieger“ und „Philosophieren mit Kindern“, wir haben historische Abende ins Programm genommen.

Das größte Problem ist vermutlich, wie überall, das Geld? Oder sind Sie da die Ausnahme von der Regel?

Moritz: Leider nein, das Dauerproblem des Literaturhauses ist, dass wir seit 1989 den selben Betrag von der Kulturbehörde erhalten. Wir haben glücklicherweise mit der „Zeit“-Stiftung, der das Haus gehört, ausgehandelt, dass wir jedes Jahr einen Zuschuss erhalten für die Renovierung. Denn wir als Literaturhaus-Verein sind zuständig für die Instandhaltung des Hauses, was ein heikler Punkt ist bei einem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude.

In zehn Jahren Literaturhaus sammeln sich nicht nur Autoren an, sondern auch Anekdoten. Was war besonders kurios?

Moritz: Das war 2005 bei einer Lesung von Matthias Politycki aus seinem Kubaroman „Herr der Hörner“. In dem Buch gibt es so eine Voodoo-Stelle, die schon harte Kost ist. Als Politycki diese Stelle las, hörte ich, ohne etwas zu sehen, so ein Geräusch, als sinke etwas zu Boden. Es war der bereits etwas erschöpfte Buchhändler Stefan Samtleben, der beim Hören der Voodoo-Passage hinter seinem Verkaufsstand zusammengesackt war. Hinterher waren beide sehr glücklich, Autor und Buchhändler: Politycki, weil es ihm gelungen ist, solch intensive Prosa zu schreiben, und Samtleben, weil er äußerst sensibel auf Prosa zu reagieren wusste.

Eine komische Sternstunde.

Moritz: Ja, es gibt eben manchmal Abende, wo das Publikum mit einem seligen Lächeln den Saal verlässt. Dass die Leute etwas Besonderes erleben, etwas, das sie nicht erleben, wenn sie das Buch allein zu Hause lesen. Das ist ja überhaupt der Sinn unseres ganzen Tuns, dass wir das hinbekommen.

Sie haben aus dem Literaturhaus in den letzten Jahren eine genremäßig weit geöffnete Institution gemacht: historische Romane, Krimis, Jugendliteratur, Graphic Novels. Wo sind da die Grenzen?

Moritz: Wenn ich Texte für literarisch unbedeutend halte, dann verläuft da die Grenze. Gleichwohl waren in den letzten zehn Jahren einige Abende dabei, bei denen ich mir im Nachhinein gesagt habe, darauf hätte man auch verzichten können. Ich nenne aber keine Namen!

Bedauerlich.

Moritz: Ildikó von Kürthy und Dora Heldt würde ich, obwohl sie das Genre des gewitzten Unterhaltungsromans bereichert haben, nicht ins Literaturhaus einladen. Aber natürlich muss auch nicht alles, was ich einlade, nobelpreistauglich sein, aber literarisch reizvoll muss es schon sein.

Welche Ziele gibt es für die nächste Zeit?

Moritz: Sie liegen vor allem im ökonomischen Bereich. Ich habe natürlich das Ziel, dass wir in der Kulturbehörde noch breitere Anerkennung finden, was gar kein persönlicher Vorwurf ist. Ich weiß ja, wie es um die Finanzen steht. Aber man muss die Literatur ernst nehmen, schließlich ist sie eine gewissermaßen billige Kunst. Wenn man sieht, was Oper, Ballett oder Theater kosten... Bekäme der Literaturhausverein von der Stadt im Jahr 50.000 Euro mehr, dann wäre ich viele Sorgen los. Ich will dieses Haus noch auf finanziell bessere Füße stellen, wir möchten keine Zitterpartien mehr haben.

Den Satz „Ich will dieses Haus noch auf finanziell bessere Füße stellen“ könnte man so fortsetzen: „...damit mein Nachfolger bessere Bedingungen hat.“ Denken Sie so weit?

Moritz: Nein, mein Vertrag endet, wenn ich 65 bin.